Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1874)

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genommen, da man es in der Hand hatte, vor Ort durch Ver 
strebungen nach rückwärts der Möglichkeit von Längenverschiebun 
gen vorzubeugen. 
Nach der Arbeits-Disposition sollte der Vollausbruch zwischen 
zwei benachbarten Förderschächten, von beiden Schächten her vor 
gehend, fertig gestellt werden, um sodann von dem in der Mitte 
liegenden Hülfsschacht aus nach beiden Seiten die Ausmauerung 
herstellen zu können. 
Die Vortheile dieses Systems, welches auf die geringen Di 
mensionen des Siel-Querschnitts und verhältnißmäßig günstige 
Gebirgsverhältnisse, denn nur für solche konnte dieser Einbau an 
wendbar sein, basirt war und mit dessen Ausführung auch der An 
fang gemacht wurde, waren folgende: 
Durch das Vorgehen mit Vollausbruch strebte man an, das 
Gebirge so wenig als möglich in Bewegung zu setzen und da 
durch ungünstige und wachsende Drucküußerungen thunlichst zu ver 
hindern. Beim Anhauen von schwimmendem Gebirge konnte man 
sofort mit Abtreibearbeit vorgehen, auch bei größerem Druck die 
Thürstöcke nach Erforderniß enger stellen. Die Zimmerung war 
sehr einfach und es sollte sich die verlorene Zimmerung auf die 
Firstpfähle und Sohlschwellen beschränken. 
Der Raum konnte in erwünschter Weise für die Maurerar 
beiten stet bleiben, auch war ein Theil der Zimmerung, die ho 
rizontalen Zangen, direkt für das Mauergerüst zu benützen. Der 
Betrieb endlich war Vortheilhaft einzutheilen und besonders konnten 
Kollisionen zwischen Bergleuten und Maurern möglichst vermieden 
werden, da jeder Parthie ein besonderer Schacht angewiesen war. 
Der Uebelstand, welcher auf den ersten Blick bei diesem Ein 
bausystem bemerkbar ist, daß nämlich rechts und links vom First 
hinter der Mauerung Zwickel bleiben, welche ausgestopft werben 
müssen, wurde nicht hoch angeschlagen, da gebrüches Gebirge er 
wartet und daher schlimme Folgen nicht befürchtet wurden. Die 
Arbcitsvermehrung, welche durch das nothwendige Hinterfüllen des 
Mauerwerks entstand, erschien nicht bedeutend,, da angenommen 
wurde, daß das unmittelbar vor dem fertigen Mauerwerk aus der 
Sohle gewonnene Haufwerk das Material zum Hinterfülleu ab 
geben würde. 
Im schwimmenden Gebirge mußte freilich ein Ausmauern 
dieser Zwickel in Aussicht genommen werden, ein Nachtheil des 
Systems, das unter Umständen bedeutende Mehrarbeiten und Kosten 
verursachen mußte. 
Die Ausmauerung konnte in rascher Folge betrieben werden, 
sobald der Einbau von einem Förderschacht zum andern vollendet 
war. Das Sohlengewölbe bis zum Kämpfer wurde ununterbro 
chen fortgesetzt, indem vorläufig nur Schlitze für die später her 
auszunehmenden Thürständer und Bockstreben offen gelassen wur 
den. Ueber den Kämpfern wurde das Gewölbe von Thürstock zu 
Thürstock mit Stockverzahnung geschloffen, die verlorenen First 
pfähle */, Stein stark untermauert und sodann die übrige Zimme 
rung weggenomnien. 
Der Versuch mit diesem System wurde auf einer kurzen 
Strecke von der Bauleitung in eigener Regie ausgeführt. 
Das Gebirge zeigte sich jedoch keineswegs so günstig als man 
erwartet hatte und es war daher vorauszusehen, daß dw schon 
oben berührten Nachtheile des großen Stollenbaus so groß werden 
würden, daß dessen Anwendung überhaupt in Frage gestellt wer 
den mußte. Besonders war es der große Wasserreichthum des 
Gebirges, welcher es wünschenswerth, ja nothwendig erscheinen 
ließ, einen möglichst raschen Durchbruch des Gebirges behufs dessen 
Entwässerung einzuleiten. Bei dem Unistand, daß der ursprünglich 
feste und trockene blaue Thon in der Tiefe in kurzer Zeit durch 
das von den Schächten aus nachdringende Wasser gänzlich erweicht 
und zum zähflüssigen Schlamm wurde und in dem unerwartet 
häufig auftretenden schwimmenden Gebirge konnte das große Stol 
lenbau-System schon deshalb keinen Vortheil bieten, weil damit 
ein rasches Vordringen nicht möglich war. Der große Stollenbau 
konnte aber auch dem länger andauernden Gebirgsdruck keinen 
genügenden Widerstand leisten. Nachträgliche Einschaltung von 
Thürstöcken erforderten viele Arbeit und erfüllten doch nicht voll 
ständig ihren Zweck; dazu kam noch, daß sich, wie schon erwähnt, 
die Sohle durch das Wasser aufweichte, was ein Setzen des gan 
zen Einbaues zur Folge hatte. Die Schwierigkeiten, welche nun 
entstanden, um wieder hinreichendes Profil für die Mauerung zu 
erhalten, waren ganz enorm; auch war an eine Einhaltung der 
Arbeits-Disposition nicht zu denken, da man sich gezwungen sah, 
dem Einbau so rasch als möglich die Ausmauerung folgen zu lassen. 
Große Schwierigkeiten waren auch mit dem Schachtbau ver 
bunden. — Hiebei war zunächst der Zudrang großer Wasser 
massen zu bewältigen, wozu Dampfmaschinenbetrieb nothwendig 
wurde. Das häufie Vorkommen von Triebsand und schwimmendem 
Gebirge nöthigte zur Anwendung von Spuntpfählen, welche nach 
beistehender Form bearbeitet waren. Ein Fort 
schwemmen des Triebsandes durch das Wasser hinter den Pfählen, 
war trotz der gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln gegen das Auswaschen 
des Gebirges durch Ausstopfen mit Stroh und Faschinenbündeln 
nicht zu verhindern. Die dadurch hervorgerufenen Aeußerungen 
des Gebirgsdrucks auf die Schachtwände verursachten ein Rutschen 
der Pfähle und veranlaßten wiederholte Hinterfüllungs-Arbeiten, 
welche sehr störend auf den Betrieb einwirkten. Ein weiterer An 
laß zu Senkungen der Schachtzimmerung bestand darin, daß der 
bis in den Sumpf fertige Schachtbau behufs Einbruchs zur großen 
Stollenzimmerung ausgewechselt werden mußte und damit seine 
ursprüngliche Unterstützung verlor. Da man bei dem angetroffenen 
milden Gebirge von der Anbringung von Tragstempeln im Schachte 
keinen Nutzen erwarten tonnte, so sah man sich nun genöthigt, 
die ganze Schachtzimmerung an den Tragstempeln über dem Trag 
kranz aufzuhängen und dieselben zu dem Zwecke durch Ueberein- 
anderlegen von mehreren starken Hölzern und durch Sprengwerke 
zu verstärken. 
Diese Nachtheile wären größtentheils zu vermeiden gewesen 
durch eine seitliche Anordnung der Schächte, anstatt der vorge 
schriebenen Lage senkrecht über der Sielachse. 
Ungünstig wirkte auch die übergroße Anzahl der Förder- und 
Hilfsschächte, welche zur Wasserzuführung und damit Erweichung 
des Gebirges wesentlich beitragen mußte, da man statt im untern 
festen Thon zu bleiben, die Wasser führenden Sandadern zu oft 
ausschloß. 
Man sah sich daher genöthigt, den kostspieligen und zeitrau 
benden Schachtbau möglichst zu reduziren. 
Dieß gab, außer den schon oben angeführten Gründen, die 
Veranlassung zur Anwendung des englischen Einbausystems, welches
	        

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