Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1874)

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seien ein und dieselbe Person. Die geschichtlichen Recherchen un 
serer Tage haben diese Sage auf ein Minimum reducirt. Ebenso 
wird nicht selten die Kreuzkirche en miniature mit dem Dom von 
Milano verglichen; wer beide gesehen, weiß, was von diesem Ver 
gleich zu halten. Aber ein Vergleichungspunkt bietet sich denn 
doch: wie der Dom in Mailand dem Auge des Beschauers nur 
Einen, den Hauptaltar, im Presbyterium bietet und alle übrigen 
Altäre nur in den Chorkapellen placirt sind und gerade hiedurch 
das wundervolle Kirchengebüude noch an Großartigkeit gewinnt, 
so auch in der Gmünder Kirche. Die freien Räume und Hallen, 
welche ersteren so imposant machen, steigern auch die architektonische 
Schönheit der letzteren. Beide sind um so schöner und großartiger, 
je weniger man hineinthat! 
Unter den elf Altären findet sich Altes und Neues! Keinem 
geübten Auge wird der Altar in der Taufkapelle entgehen. Der 
selbe stellt die Wurzel Jesse oder die dreimal 14 Geschlechter aus 
dem Stammbaum des Herrn nach dem Berichte des Evangelisten 
Matthäus dar. Das Hauptbild dieses von ebenso kühner als ge 
wandter Hand geschnitzten Bildwerkes, welches ohne Zweifel seiner 
Zeit den Hochaltar zierte und mit Sehnsucht einer Retrans- 
locirung wartet, ist eine gar liebliche Gruppe von vier zarten 
Frauen- und drei ebenso lieben Knaben - Gestalten. Die drei 
Knaben bedeuten die drei Kinder der Verheißung: rechts Sara 
mit Isaak, links Bethsaba mit Salomon, mitten Christus mit 
Mutter und Großmutter, Maria und Anna, d. i. Christus als 
Sohn Davids, als Sohn Abrahams, wie der Evangelist seinen 
Bericht beginnt. Weithin bekannt und mit Recht ist Blaubeuren 
mit seinem Syrlin; ich stehe dem Gmünder Stammbaumaltar zu 
nahe, als daß ich mir ein uupartheiisches Urtheil erlauben könnte, 
zweifle aber nicht, daß mein unmaßgebliches Urtheil noch von com- 
petenter Seite seine Bestätigung finden wird. 
Nicht der localen Reihenfolge, sondern dem künstlerischen 
Werthe nach schließt sich an diesen Prachtbaum altdeutscher Kunst 
der Sebaldus-Altar an. Er steht in der zweiten Chorkapelle der 
Südseite. Auch dieses gediegene, halb erhaben gehaltene Bildwerk 
ward vor der Restauration von keinem Auge beachtet. Es befand 
sich an der Rückwand einer der Chorkapellen als altes Trödelwerk; 
jetzt kann ein auch gewöhnliches Laienauge sich kaum von seiner 
tiefgreifenden Zartheit und Schönheit trennen. Es ist der Nürn 
berger Sebaldus, mit dem Attribut einer Kirche, in voller Lebens 
größe. Zu Häupten schweben zwei wahre Engelgestalten mit den 
französischen drei Lilien und den dänischen drei Löwen; zu Füßen 
knieen die beiden Donatoren: Sebaldus Schreier, ein Nürnberger 
Patrizier und seine Gattin Margareth Kellermeisterin. Nach dem 
Organ für christliche Kunst in Köln soll Schreier an mehreren 
Orten in dieser Weise seinem Namen ein so schönes Denkmal seines 
frommen Sinnes gesetzt haben. Der Altar bildet einen sog. Flü 
gelaltar. Die Flügelthüren sind mit Malereien in 8 Tableaux, 
d. i. mit 8 Scenen aus dem Leben des hl. Sebaldus geschmückt; 
die Predella zeigt die 14 Nothhelfer in streng deutschem Styl. 
Aus wessen Hand das schöne Werk, ist unbekannt; einige wollten 
schon Anklänge an Wohlgemuth gefunden haben; jedenfalls 
würden Ort und Zeit nicht widersprechen. 
Unter den neueren Schnitzwerken dürfte zu nennen sein: 
1) eine Maria und Johannes, etwas mehr als lebensgroß, unter 
einem colossalen alten Crucifixus, von Pauly; 2) ein Fegfeuer, 
Abendmahl, ein Antonius von Padua und besonders ein Oelberg, 
alle 4 von Wörmann aus Münster in Westphalen, aber gefer 
tigt in München. Die anatomischen Feinheiten im ersten, die 
selbstständige Gruppirung und charaktervollen Köpfe der Apostel, 
das schlichte Gewand und dessen wahrheitsgetreues Gefält des 
frommen Religiösen, besonders aber das Erhabene in der Oelbergs 
gruppe haben noch immer Aller Augen auf sich gezogen und 
erfreut! 
Durch die Restauration am Aeußern wie im Innern hatten 
vor allem aber die Fenster Schaden gelittten. In Ermangelung 
der großartigen Mittel zur Herstellung von Glasgemälden suchte 
man einen Mittelweg einzuschlagen, um die großen Glasflächen der 
Fenster mit ihren herrlichen Maßwerken doch nicht ganz ohne 
Schmuck zu lassen. Die Fenster der oberen Reihe an den Seiten 
wänden haben bloß teppichartigen Farbengrund; nur die obere 
Lucida mit den beiden anstoßenden, in das Schiff der Kirche her 
unterschauenden Fenster haben sigurativen Schmuck und architekto 
nische Ornamentation. Das mittlere, resp. Hauptfenster, repräsen- 
tirt den Titel des Chores: Mariä Aufnahme in den Himmel vor 
den Augen der 12 Apostel. Der Carton zu diesem wie zu den 
beiden Seitenfenstern ist aus der Hand des Herrn Professors 
Eberlein in Nürnberg; die Ausführung wurde in der Glas 
malerei-Anstalt des verstorbenen Ludwig Mittermaier in 
Lauingen a./D. in Bayern besorgt. 
Die zehn Fenster in den Chorkapellen haben ebenso viele 
Scenen aus dem Leben des Herrn. Das Glasgemälde in der 
unteren Lucida ist eines der letzten Werke aus dem Mitter- 
maier'schen Etablissement; der Carton ist gefertigt von Herrn 
Professor Andreä in Dresden. Die übrigen unteren Glas 
gemälde sind aus der Hand des Glasmalers Hecht in Ravens 
burg. Hecht fertigte je ein so großes Fenster, dessen Schutzgitter 
317n y enthält, für die Summe von 800 fl.. Alles in Allem: 
Scizze, Carton, Malen, Brennen und Einsetzen. Scherer in 
München verlangte als Minimalsumme 3500 fl. und ein anderer 
Künstler nur für den Carton 1000 fl. Wer dieses weiß, wird 
zweimal nachsichtig in der Beurtheilung unseres bunten Fenster 
schmuckes sein. Wenn Herr Hecht da hätte anfangen dürfen, 
wo er hat endigen müssen, das würde ihm wohl selbst am will 
kommensten gewesen sein. Zu seiner Ehre aber wird es stets ge 
reichen, daß seine Werke nicht der künstlich beigefügten Jahreszahl 
bedürfen, um die Reihenfolge zu erkennen zu geben, in der sie aus 
seiner Hand hervorgegangen sind, sondern alle der sichtliche Fort 
schritt chronologisch charakterisirt. 
Bevor wir das Innere der Kirche verlassen, möge noch 
eine bildliche Darstellung in der mittleren Chorkapelle Erwäh 
nung finden. Es ist das Grab des Herrn mit den Engeln und 
frommen Frauen, sowie den schlafenden Kriegern an demselben. 
Die Figur des im Grabe ruhenden Herrn ist von kolossaler 
Größe; Kenner des christlichen Alterthums halten diese grandiose 
Gruppe für den ersten plastischen Schmuck der Kirche aus dem 
Ende des 14. Jahrhunderts. Dieser Gruppe entsprechend finden 
sich zwei Wandgemälde an den beiden Wandflächen der ge 
nannten Kapelle; die Kunstakademie' in Berlin datirte sie circa 
1450. Auch diese beide Gemälde, nach Erklärung des Herrn Hof 
maler v. G egen baur mit Oel auf Stein gemalt, bedurften 
einer Renovation und haben solche erhalten durch den Gemälde-
	        
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