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seien ein und dieselbe Person. Die geschichtlichen Recherchen un
serer Tage haben diese Sage auf ein Minimum reducirt. Ebenso
wird nicht selten die Kreuzkirche en miniature mit dem Dom von
Milano verglichen; wer beide gesehen, weiß, was von diesem Ver
gleich zu halten. Aber ein Vergleichungspunkt bietet sich denn
doch: wie der Dom in Mailand dem Auge des Beschauers nur
Einen, den Hauptaltar, im Presbyterium bietet und alle übrigen
Altäre nur in den Chorkapellen placirt sind und gerade hiedurch
das wundervolle Kirchengebüude noch an Großartigkeit gewinnt,
so auch in der Gmünder Kirche. Die freien Räume und Hallen,
welche ersteren so imposant machen, steigern auch die architektonische
Schönheit der letzteren. Beide sind um so schöner und großartiger,
je weniger man hineinthat!
Unter den elf Altären findet sich Altes und Neues! Keinem
geübten Auge wird der Altar in der Taufkapelle entgehen. Der
selbe stellt die Wurzel Jesse oder die dreimal 14 Geschlechter aus
dem Stammbaum des Herrn nach dem Berichte des Evangelisten
Matthäus dar. Das Hauptbild dieses von ebenso kühner als ge
wandter Hand geschnitzten Bildwerkes, welches ohne Zweifel seiner
Zeit den Hochaltar zierte und mit Sehnsucht einer Retrans-
locirung wartet, ist eine gar liebliche Gruppe von vier zarten
Frauen- und drei ebenso lieben Knaben - Gestalten. Die drei
Knaben bedeuten die drei Kinder der Verheißung: rechts Sara
mit Isaak, links Bethsaba mit Salomon, mitten Christus mit
Mutter und Großmutter, Maria und Anna, d. i. Christus als
Sohn Davids, als Sohn Abrahams, wie der Evangelist seinen
Bericht beginnt. Weithin bekannt und mit Recht ist Blaubeuren
mit seinem Syrlin; ich stehe dem Gmünder Stammbaumaltar zu
nahe, als daß ich mir ein uupartheiisches Urtheil erlauben könnte,
zweifle aber nicht, daß mein unmaßgebliches Urtheil noch von com-
petenter Seite seine Bestätigung finden wird.
Nicht der localen Reihenfolge, sondern dem künstlerischen
Werthe nach schließt sich an diesen Prachtbaum altdeutscher Kunst
der Sebaldus-Altar an. Er steht in der zweiten Chorkapelle der
Südseite. Auch dieses gediegene, halb erhaben gehaltene Bildwerk
ward vor der Restauration von keinem Auge beachtet. Es befand
sich an der Rückwand einer der Chorkapellen als altes Trödelwerk;
jetzt kann ein auch gewöhnliches Laienauge sich kaum von seiner
tiefgreifenden Zartheit und Schönheit trennen. Es ist der Nürn
berger Sebaldus, mit dem Attribut einer Kirche, in voller Lebens
größe. Zu Häupten schweben zwei wahre Engelgestalten mit den
französischen drei Lilien und den dänischen drei Löwen; zu Füßen
knieen die beiden Donatoren: Sebaldus Schreier, ein Nürnberger
Patrizier und seine Gattin Margareth Kellermeisterin. Nach dem
Organ für christliche Kunst in Köln soll Schreier an mehreren
Orten in dieser Weise seinem Namen ein so schönes Denkmal seines
frommen Sinnes gesetzt haben. Der Altar bildet einen sog. Flü
gelaltar. Die Flügelthüren sind mit Malereien in 8 Tableaux,
d. i. mit 8 Scenen aus dem Leben des hl. Sebaldus geschmückt;
die Predella zeigt die 14 Nothhelfer in streng deutschem Styl.
Aus wessen Hand das schöne Werk, ist unbekannt; einige wollten
schon Anklänge an Wohlgemuth gefunden haben; jedenfalls
würden Ort und Zeit nicht widersprechen.
Unter den neueren Schnitzwerken dürfte zu nennen sein:
1) eine Maria und Johannes, etwas mehr als lebensgroß, unter
einem colossalen alten Crucifixus, von Pauly; 2) ein Fegfeuer,
Abendmahl, ein Antonius von Padua und besonders ein Oelberg,
alle 4 von Wörmann aus Münster in Westphalen, aber gefer
tigt in München. Die anatomischen Feinheiten im ersten, die
selbstständige Gruppirung und charaktervollen Köpfe der Apostel,
das schlichte Gewand und dessen wahrheitsgetreues Gefält des
frommen Religiösen, besonders aber das Erhabene in der Oelbergs
gruppe haben noch immer Aller Augen auf sich gezogen und
erfreut!
Durch die Restauration am Aeußern wie im Innern hatten
vor allem aber die Fenster Schaden gelittten. In Ermangelung
der großartigen Mittel zur Herstellung von Glasgemälden suchte
man einen Mittelweg einzuschlagen, um die großen Glasflächen der
Fenster mit ihren herrlichen Maßwerken doch nicht ganz ohne
Schmuck zu lassen. Die Fenster der oberen Reihe an den Seiten
wänden haben bloß teppichartigen Farbengrund; nur die obere
Lucida mit den beiden anstoßenden, in das Schiff der Kirche her
unterschauenden Fenster haben sigurativen Schmuck und architekto
nische Ornamentation. Das mittlere, resp. Hauptfenster, repräsen-
tirt den Titel des Chores: Mariä Aufnahme in den Himmel vor
den Augen der 12 Apostel. Der Carton zu diesem wie zu den
beiden Seitenfenstern ist aus der Hand des Herrn Professors
Eberlein in Nürnberg; die Ausführung wurde in der Glas
malerei-Anstalt des verstorbenen Ludwig Mittermaier in
Lauingen a./D. in Bayern besorgt.
Die zehn Fenster in den Chorkapellen haben ebenso viele
Scenen aus dem Leben des Herrn. Das Glasgemälde in der
unteren Lucida ist eines der letzten Werke aus dem Mitter-
maier'schen Etablissement; der Carton ist gefertigt von Herrn
Professor Andreä in Dresden. Die übrigen unteren Glas
gemälde sind aus der Hand des Glasmalers Hecht in Ravens
burg. Hecht fertigte je ein so großes Fenster, dessen Schutzgitter
317n y enthält, für die Summe von 800 fl.. Alles in Allem:
Scizze, Carton, Malen, Brennen und Einsetzen. Scherer in
München verlangte als Minimalsumme 3500 fl. und ein anderer
Künstler nur für den Carton 1000 fl. Wer dieses weiß, wird
zweimal nachsichtig in der Beurtheilung unseres bunten Fenster
schmuckes sein. Wenn Herr Hecht da hätte anfangen dürfen,
wo er hat endigen müssen, das würde ihm wohl selbst am will
kommensten gewesen sein. Zu seiner Ehre aber wird es stets ge
reichen, daß seine Werke nicht der künstlich beigefügten Jahreszahl
bedürfen, um die Reihenfolge zu erkennen zu geben, in der sie aus
seiner Hand hervorgegangen sind, sondern alle der sichtliche Fort
schritt chronologisch charakterisirt.
Bevor wir das Innere der Kirche verlassen, möge noch
eine bildliche Darstellung in der mittleren Chorkapelle Erwäh
nung finden. Es ist das Grab des Herrn mit den Engeln und
frommen Frauen, sowie den schlafenden Kriegern an demselben.
Die Figur des im Grabe ruhenden Herrn ist von kolossaler
Größe; Kenner des christlichen Alterthums halten diese grandiose
Gruppe für den ersten plastischen Schmuck der Kirche aus dem
Ende des 14. Jahrhunderts. Dieser Gruppe entsprechend finden
sich zwei Wandgemälde an den beiden Wandflächen der ge
nannten Kapelle; die Kunstakademie' in Berlin datirte sie circa
1450. Auch diese beide Gemälde, nach Erklärung des Herrn Hof
maler v. G egen baur mit Oel auf Stein gemalt, bedurften
einer Renovation und haben solche erhalten durch den Gemälde-