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Beilage 2.
Vortrag
des Zerrn Wauratljs Wrockmann in der elften ordenll- Versammlung am 10. Aktober 1874
über
Wetli's Eisenbahnsystem fiir Gebirgsbahnen.
Mit Zeichnungsbeilage 1.
Vor ungefähr 7 Jahren, als der Bau der Rigi-Eisenbahn
in Aussicht genommen wurde, tauchte in der Schweiz noch ein
anderes Projekt für steile Gebirgsbahnen auf, welches damals die
Aufmerksamkeit der Fachleute in hohem Maße auf sich zog und
lebhaft discutirt wurde, allmählig aber, wenigstens außerhalb der
Schweiz, wieder in Vergessenheit zu fallen schien. Inzwischen hat
aber der Erfinder, Ingenieur Wetli, sein Projekt nicht aufge
geben, sondern unverdrossen und unbeirrt durch Hindernisse aller
Art, welche ihm entgegengestellt wurden, für die Verwirklichung
desselben gearbeitet. In Folge dessen hat sich bereits vor mehre
ren Jahren eine Gesellschaft gebildet, um eine kleine Bahn nach
dem System Wetli zu bauen und zwar ist dieses die Linie von
dem am Zürichsee gelegenen Orte Wädenswyl nach dem bekannten
Wallfahrtsorte Einsiedeln, welche Bahn keineswegs in einer isolir-
ten Stellung verbleiben, sondern nach Vollendung der zur Schwei
zerischen Nordostbahn gehörenden, am linken Ufer des Zürichsees
durch Wädenswyl hinlaufenden und im nächsten Frühjahre in Be
trieb kommenden Bahn eine Zweigbahn der Nordostbahn bilden
wird und Aussicht hat, mittelst einer Verlängerung nach Schwyz
und Brunnen mit der Gotthardbahn verbunden zu werden. Der
Bau dieser kleinen Bahn ist bereits weit vorgerückt und ist ihre
baldige Vollendung um so mehr zu erwarten, als dem Vernehmen
nach die Nordostbahn nicht abgeneigt ist, den Bau und Betrieb in
die Hand zu nehmen, wobei zugleich bemerkt werden kann, daß
sowohl die Bau- als auch die Maschinen-Techniker der Nordostbahn
eine günstige Meinung von dem Wetli'schen Systeme haben.
Einstweilen ist nun aber bereits bei Wädenswyl eine kurze
Versuchsstrecke nach dem System Wetli ausgeführt und sind seit
diesem Frühjahre vielfach Probefahrten auf derselben angestellt worden.
Bei Gelegenheit einer Urlaubsreise habe ich selbst Wädenswyl be
sucht, traf dort zufällig Herrn Wetli und konnte mit einigen an
deren Ingenieuren mehreren Probefahrten anwohnen, so daß meine
Mittheilungen auf eigener Anschauung beruhen.
Das System Wetli basirt bekanntlich auf dem Principe, daß
an die Stelle der Adhäsion, welche bei dem gewöhnlichen Systeme
der Stützpunkt für den Angriff der Zugkraft der Lokomotive bildet,
ein besonderer Angriffspunkt geschaffen wird und zwar dadurch,
daß (wie die Zeichnungsbeilage 1 darstellt) zwischen die Schienen
geleise noch weitere Schienenstücke paarweise gelegt werden, welche
von der Geleiseachse aus in schräger Richtung gegen die Geleis
schienen laufen. An der Lokomotive befindet sich ferner eine quer
und horizontal gelagerte Walze, auf deren Oberfläche Vorsprünge
in Schraubenlinien angeordnet sind, welche von der Mitte aus
symmetrisch gegen die Enden hinlaufen. Diese Vorsprünge legen
sich nun gegen die erwähnten schräg liegenden Schienenstücke, rollen
sich, wenn die Walze gedreht wird, auf derselben ab und bewirken
dadurch ein gleichförmiges Vorrücken der Lokomotive. Die Schie
nenstücke sind gerade, da bekanntlich die Abwickelung einer Schrau
benlinie eine gerade, gegen die Schraubenachse geneigte Linie bildet.
Was nun die praktische Ausführung dieses Systems, wie sie
sich bei der Versuchsstrecke in Wädenswyl findet, anbelangt, so
bemerke ich, daß die erwähnten, paarweise in schräger Richtung
gelegten Leitschienen einen Winkel von ca. 50" einschließen, und
daß die einzelnen Paare sich so aufeinander folgen, daß der An
fang des einen Paars immer noch etwas über das Ende des nach
folgenden Paares hinausreicht, so daß von der sich drehenden
Walze das eine Paar der schraubenförmigen Vorsprünge die Enden
der betreffenden Leitschienen nicht verlassen kann, bevor nicht das
nächste Paar Vorsprünge mit dem Anfange der folgenden Leit
schienen in Angriff gekommen ist.
Aus dieser Anordnung ergibt sich ein vollkommen sanfter
Uebergang von einem Paar Leitschienen zum andern und die Ver
meidung jedes Stoßes bei diesem Uebergange.
Der Oberbau bedarf ohne Zweifel einer sehr sorgfältigen Her
stellung und einer Anordnung, welche ihm eine unverrückbare Lage
sichert und es wird dieser Anforderung wohl nur dann genügt
werden können, wenn er ganz von Eisen hergestellt sein wird.
In Wädenswyl ist dieses aber bei der Probestrecke aus Gründen
der Oekonomie noch nicht geschehen, die Querschwellen sind näm
lich von Holz; dabei sind aber diejenigen Theile, welche zum
Wetli-System gehören, ganz solide unter sich und mit den Quer
schwellen verbunden. Auf letzteren sind nämlich I Eisen mit der
nach unten gerichteten Rippe eingelassen und sind mit jedem dieser
I Eisen sowohl die Enden je eines, als auch die Spitzen des fol
genden Paares von Leitschienen verschraubt; außerdem sind die
Leitschienen in der Mitte ihrer Länge, also zwischen den Schwel
len durch ein untergelegtes Schienenstück gegen einander versteift.
Die Leitschienen und deren Versteifung sind aus Brückschie
nen von dem Querschnitt, welcher bei den ersten Linien der badi
schen Staatsbahn in Anwendung war, gebildet, so daß sie also
der nahezu horizontal wirkenden Angriffskraft einen erheblichen
Widerstand entgegen zu setzen vermögen.