Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1874)

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Die Versuchsstrecke geht von der Horizontalen des Wädens- 
wyler Bahnhofes zu einer Steigung von 5°/ 0 (1:20) über; sie 
ist 400 m. lang und liegen davon 156 m. in Curven von 300 und 
600 m. Radius. In dem horizontalen Theile liegen natürlich 
keine Leitschienen, dieselben beginnen vielmehr erst bei dem Ueber- 
gange in die Steigung und führt über diese Stelle auch ein Weg 
übergang im Niveau der Schienen, so daß auf der kurzen Ver 
suchsstrecke die schwierigsten Umstände (größte Steigung bei kleinem 
Curven-Radius und Wegübergang im Niveau) vereinigt sind. 
Was nun die Lokomotive für den Betrieb dieser Probestrecke 
anbelangt, so ist sie als eine dreiachsige Tender-Maschine gebaut 
und zwar sind die drei Achsen gekuppelt und werden in der bei 
den gewöhnlichen Güterzug-Lokomotiven üblichen Weise in Drehung 
versetzt. Das Neue besteht darin, daß nur die beiden äußersten 
Achsen mit Rädern versehen sind, während die mittlere Achse die 
erwähnte Walze mit den schraubenförmigen Vorsprüngen trägt. 
Diese mittlere Achse, mit dieser Walze, welche einen Durchmesser 
von ca. 900 mm. besitzt und 3 Paar Schraubengänge trägt, kann 
etwas gehoben und gesenkt werden; sie soll nur da arbeiten, wo 
wegen der stärkeren Steigungen die Leitschienen angebracht sind, 
aus den anderen Bahnstrecken soll die Achse mit der Walze ge 
hoben sein, sie dreht sich dann zwar gleichzeitig mit den 4 Trieb 
rädern, verrichtet dabei aber keine Arbeit. 
Interessant ist die Art und Weise, wie die Achse gehoben und 
gesenkt wird. Die Hebung geschieht selbstthätig und zwar durch 
eine in der Bahn gemachte Anordnung. An denjenigen Stellen 
nämlich, wo wegen Aufhörens der scharfen Steigung auch die 
Leitschienen aufhören, ist der Zwischenraum zwischen den Geleis 
schienen bis zur Höhe der letztem mit Dielen von Eichenholz auf 
eine Länge von etwa 3 m. ausgefüttert und es sind in diesen 
Dielen parallel mit den Leitschiencn in entsprechender! Abständen 
Rinnen angebracht, in welche die Vorsprünge der Walzen eingrei 
fen; diese Rinnen werden aber gegen das Ende der Dielen hin 
immer flacher und hören zuletzt ganz auf, so daß dadurch die 
Walze gezwungen wird, bei dem Vorwärtsrollen allmühlig in die 
Höhe zu steigen; sobald sie aber auf der nöthigen Höhe angelangt 
ist, werden die Lager, in welchen sie sich dreht, an ihren oberen 
Verlängerungen durch einen Fangapparat gepackt und unverrück 
bar in ihrer Stellung erhalten, so daß die Walze frei über der 
Bahn schwebend bleibt. 
Das Senken der Walze, welches an derjenigen Stelle nöthig 
ist, wo ein Uebergang von der Horizontalen oder von einer schwa 
chen Steigung zu einer stärkeren vorhanden ist, dürfte Manchem 
als mit großen praktischen Schwierigkeiten verknüpft erscheinen, da 
es während der Fahrt zu geschehen hat und da es nicht wohl 
möglich ist, für das Senken der Walze immer genau denjenigen 
Moment zu treffen, wo sie eine solche Stellung hat, daß ihre Vor 
sprünge genau auf die Leitschienen passen. In der Wirklichkeit 
macht sich die Sache aber ganz einfach; der Lokomotivführer löst 
da, wo die Leitschienen im Geleise beginnen, den erwähnten Fang 
apparat aus, und die Walze fällt dadurch so weit hinunter, daß 
ihre Vorsprünge eingreifen können. In den meisten Fällen wird 
nun kein Eingreifen stattfinden, sondern die Vorsprünge der Walze 
werden zwischen die Leitschiencn treffen; die Lokomotive geht in 
zwischen aber auf ihren Rädern vorwärts und sobald sie dann der 
stärkeren Steigung sich nähert, macht sich der Umstand, daß ihre 
Zugkraft der Adhäsion nicht entspricht, geltend; es stellt sich neben 
dem Vorwärtsschreiten auch ein Gleiten der Räder ein und da die 
Achse der Walze mit den Achsen der Räder gekuppelt ist, sv folgt 
sie dem Gleiten der Räder, bis nach einem kurzen Zeitraum ihre 
Vorsprünge zum Angriff gekommen sind. Bei den Versuchsfahr 
ten, denen ich beiwohnte, fand dieses Eingreifen der Walze in die 
Leitschienen mehrfach in so sanfter Weise statt, daß es von gar 
keinem Geräusche begleitet war, zuweilen jedoch war der dabei vor 
kommende Stoß allerdings deutlich zu hören, niemals aber dabei 
auf der Maschine eine Erschütterung zu spüren, und glaube ich 
daher, daß diese Art des Einrückens in der Praxis zu keinen Jn» 
convenienzen führen wird, und daß sie wegen ihrer großen Ein 
fachheit und Zuverlässigkeit zu empfehlen ist. 
Die Kuppelung der Walze mit dm 4 Triebrädern hat man 
cherlei Bedenken erregt und viele Meinungs-Verschiedenheiten zu 
Tage gebracht. Von der einen Seite hat man die Ansicht ver 
fochten, daß, wenn die Walze arbeite, dann die Triebräder keine 
Kraft mehr übertragen, von der anderen hat man wieder behaup 
tet, die Triebräder üben unter allen Umstünden Zugkraft aus und 
überlassen der Walze nur einen Theil der zu leistenden Arbeit. 
Ich neige mich der letzteren Ansicht zu und zwar aus folgenden 
Gründen: Die Walze schreitet nothwendiger Weise in einem Maße 
vor, welches dem Umfange des Berührungskreiscs ihrer Vorsprünge 
genau entspricht, und die Räder der anderen Achsen müssen, weil 
sie mit der Walze gekuppelt sind, um ein gleiches Maß vorrücken; 
sie werden daher, wenn ihr Umfang größer oder kleiner, als der 
jenige der Walze ist, fortwährend etwas schleifen müffen. Nun 
ist es aber eine bekannte Thatsache, daß der Berührungskreis der 
Triebräder an den gewöhnlichen Lokomotiven immer einen größeren 
Weg zurücklegt, als der von ihnen bewegte Zug, daß sie mithin 
immer während des Ziehens etwas schleifen; bei schlüpfrigen Schie 
nen bemerkt man häufig ein sehr starkes Gleiten der Räder, ohne 
daß dieselben dabei aufhören, den Zug fortzubewegen; das Gleiten 
hebt also das Ziehen nicht auf. Es kann deßhalb der Umstand, 
daß unter bestimmten Verhältnissen das Vorrücken der Walze ein 
continuirliches geringes Schleifen der Triebräder verursacht, die 
letzteren nicht abhalten, die ihrer Belastung und der Reibung auf 
den Schienen entsprechende Arbeit zu verrichten und es liegt daher 
kein Grund vor, diese Arbeit gleich Null zu setzen. Die Befürch 
tung, daß, wenn die Triebräder etwas größer sind, als die Walze, 
dann die letztere durch schnelleres Vorrücken der Räder zuweilen 
vom Eingriff in die Leitschienen abgezogen würde, worauf dann 
wieder ein plötzliches mit Stoß verbundenes Zurückgehen an die 
Leitschienen erfolgen könnte, dürfte unbegründet sein, da, wenn für 
die Fortbewegung die Adhäsion der Triebräder nicht genügt, bei 
denselben fortwährend ein Rückwärtsgleiten stattfinden muß, wo 
durch die Walze unwandelbar im Eingriff erhalten wird. 
Die Frage, um welches Maß der Durchmesser der Trieb 
räder größer oder kleiner sein dürfe, als derjenige des Berührungs 
kreises der Walze, ohne wesentliche Nachtheile im Gefolge zu 
haben, läßt sich vom theoretischen Standpunkte aus nicht be 
antworten, da die Kenntnisse von denjenigen Vorgängen, welche 
bei dem Gleiten der Triebräder stattfinden, noch zu mangel 
haft sind. Es werden in dieser Beziehung praktische Erfah 
rungen allein entscheiden können. Herr Wetli beabsichtigt übri 
gens , die Bandagen der Triebräder anfänglich ein wenig zu 
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