Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1876)

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unter dem Wasserspiegel des Sees befindlichen Quellen 
durch die Auffüllung der kleinen Seebuchten zum Theil ge 
hindert wurde, und da sie in Folge der großen diesjährigen 
Regengüße bedeutend angeschwollen sein mußten, übten sie 
einen bedeutenden Druck gegen die im Wege liegenden Erd 
massen und setzten dieselben in Bewegung. Möglich ist 
auch, daß sie in Folge der Verhinderung ihres Laufes eine 
der angedeuteten Thonschichten aufgeweicht haben. Daß 
die Bewegung des Bodens nicht früher eintrat, mag darin 
seinen Grund haben, daß das Niveau des Sees höher war 
und "so einen stärkeren Gegendruck ausüben konnte." 
Winterthur, den 30. December 1875. 
Schleebach. 
Hiezu waren 2 Karten beigelegt, welche wie das Experten 
gutachten unter den Mitgliedern circuliren werden. 
Aus dem Bericht der Expertencommission, aus welchem 
das wichtigste hervorgehoben werden soll, werden sich einige 
Vermuthungen, deren Herr Schleebach erwähnt, beseitigen 
oder berichtigen lassen, Referent glaubt jedoch hier schon der 
Annahme entgegen treten zu sollen, die früher vielfach ver 
breitete Meinung, es sei der Abbruch einer unterwaschenen 
Felsplatte die Ursache der Senkung, wäre von den aus- 
sührenden Ingenieuren aufgestellt worden, denn dies hätte 
nicht nur wie Herr Schleebach bemerkt, der Vermuthung 
nicht genügender Untersuchungen vor dem Bau, sondern wohl 
auch der Vermuthung einer sehr ungenauen Beurtheilung, nach 
dem Eintritt des Unfalls Eingang schaffen können, was voll 
ständig unbegründet wäre. 
Dem Bericht der Experten ist ein solcher des Herrn 
Oberingenieur's Moser vorausgeschickt, welcher über die Bahn 
anlage und deren Entstehung Auskunft gibt, wie sie schon 
kurz von Herrn Schleebach berührt ist, und woraus im 
übrigen hervorgeht, daß nach der angenommenen Trace die 
neuen Uferlinien nicht über die alten Einbauten hinaus fallen, 
obgleich die Profilaufnahmen die Seeufer sehr flach angaben; 
die oberen Schichten waren allerdings etwas schlammig, aber 
nur am obern Ende der Station wurden größere Auffüllungen 
nöthig. Diese wurden mit zusammen circa 12000 Kbm. an 
fangs 1875 vollendet, ebenso die auf breitem Steinwurf er 
baute Ufermauer. 
Am 9. Februar 1875 Mittags stürzte ein Theil der 
Mauer 135 Meter lang ein und nahm den größeren Theil 
der Anschüttung mit; der See hatte in der Bahnachse, wo 
er früher nur 1 Meter tief war, 7 Meter Tiefe erreicht. 
Sofort eingerammte Probepfähle ergaben bei 15—20 Meter 
Tiefe „eine absolut feste, gegen den See etwas geneigte 
Schichte." Dies führte zur Vermuthung, daß „nicht eine 
Abrutschung des Gesammtkörpers, sondern mehr ein Ver 
drängen von weichen Schichten stattgefunden habe." Bei 
weiteren Nachschüttungen stellte sich jedoch immer wieder die 
gleiche Uferlinie her, diese wurden um so mehr ausgesetzt, als 
sich auch ergab, die Pfähle haben den festen Grund nicht 
erreicht. Die Station wurde nach einem abgeänderten Plane 
ausgeführt und es zeigte sich in den übrigen Theilen nichts 
Bedenkliches, insbesondere hatte sich die Ufermauer von 
Nr. 17,1 — Nr. 17,39 ganz gut, fast ohne Setzung erhalten; bei der 
ersten Fahrt an: 11. September 1875 blieb Alles in Ordnung. 
Den 21. und 22. September 1875 war starkes Regen 
wetter, am 22. früh zeigten sich im Planum bei dem Stations- 
Gebäude Risse, Geleise und Seemauer hatten sich circa 
9 cm gesetzt. Um 10 Uhr 30 Minuten verschwanden 
85 Meter Mauer und das Planum mit 3 Geleisen bis zu 
23 Meter Breite im See. Nachmittags 2 Uhr waren bis zu 
48 Meter Breite und die Mauer Abend's bis zu 103 Meter 
Länge versunken; im Aufnah ms gebäude zeigten sich Risse und 
den 23. Morgens stürzte die ganze Fläche vor diesem und 
dem Güterschuppen in die Tiefe, am 24. folgte der Theil 
zwischen beiden Gebäuden und das Nebengebäude sammt 
einem Theil der Kopframpe; die größte Länge des Abbruches 
erreichte 204 Meter, blieb aber bei 48 Meter Breite und 
damit hatten überhaupt die eigentlichen Abstürze ihr Ende. 
Im Oktober zeigten sich wohl noch Riffe und Setzungen 
hinter den Gebäuden, und diese fingen an sich selbst zu be 
wegen, zuerst senkrecht bis zu 170 mm. und vom 1. November 
an auch seewärts, wobei auch Risse entstanden. Diese Be 
wegungen dauerten langsam fort und wurden die Gebäude 
abgebrochen. — Vorhandene Tabellen zeigen den Gang der 
Bewegungen. 
Die Beobachtung der nach dem 9. Februar eingerammten 
Probepfähle ergibt, daß sich dieselben zuerst hoben, dann 
wieder senkten; die Pfähle der Gebäude zeigten stärkere 
Senkungen, ebenso die später geschlagenen Probepfähle. 
Zugleich wurden umfassende Profilaufnahmen vorgenommen 
und die eingehendsten Beobachtungen über Senkungen, Wasser 
stände in Brunnen rc. und seit September 1875 unausgesetzt 
Bohrungen geniacht, um den Experten alle möglichen Daten 
an die Hand zu geben. 
Die von der Direktion der Nordostbahn berufenen Ex 
perten, die Herren Professor C ulmann, Oberingenieur 
Granicher und W. Hellwag, Professor Alb. Heim und 
Rector Lang (.letztere beide Geologen) sollten Gutachten ab 
geben 
1) über die muthmaßlichen Ursachen der erwähnten Rutsch 
ungen und Senkungen, unter Einbeziehung der Beant 
wortung der weiteren Frage, ob diese Ursachen, be 
ziehungsweise deren in den stattgefundenen Rutschungen 
und Senkungen zu Tage getretenen Wirkungen bei dem 
Bau der Bahn hätten vorausgesehen, beziehungsweise 
hätten vermieden werden können. 
2) Darüber ob die jetzt von Klm. 16,7—19,3 ausgeführte 
Linie verändert von 16,95—17,7 wie der der Experten- 
Commission vom 12. Februar überreichte Plan angibt, 
in Bezug auf Bahnbetriebssicherheit vollständige Be 
ruhigung gewähre, eventuell welche weitere Verlegung 
hiefür als nothwendig betrachtet werde. 
Zu 1) Die am 9. Februar 1875 versunkene Strecke 
war per Ol Meter mit 5 Tonnen mehr belastet worden, es 
hatte hier senkrechte Bewegung stattgefunden, nur die unteren 
Schuttschichten waren seitlich gegen den See abgerutscht. 
Nach den Profilvergleichungen hatte auf 60 Meter Breite 
von der Bahnachse ein Abtrag, von 60—260 Meter Ent 
fernung eine Erhöhung stattgefunden. Bis 240 Meter Ent 
fernung hatte der Böschungswinkel von 31 0 sich auf 27 0 ver 
mindert, daher die Ursache der Bewegung oben zu suchen ist. 
Da sich die aufgeschüttete Masse nur senkte, so mußte die 
untenliegende Masse verdrängt worden sein, die Senkung war 
Folge der größeren Belastung. 
Bis zu einer gewissen Uferlinie hielten spätere Auf 
schüttungen, darüber hinaus nicht. Am 12. Juni 1875 fand 
wieder eine solche größere Rutschung statt, es wurden nun 
Profile bis in den Seegrund vermessen, und mit älteren 
(Kantonskarten Maßstab 1:25000) verglichen. Nahe am 
Ufer waren die Veränderungen unbedeutend, erschreckend groß 
in den tieferen Theilen. Die Anlagerungen vom 9. Februar 
waren mit sammt den früheren weiter gerutscht, die Böschungen 
wieder auf 30—31° steiler geworden, weit draußen am'flachen 
Seeboden erschien eine Erhöhung von 1—3 Meter. 
Es war jetzt die Ursache zur Rutschung unten in der 
über maximal steilen Böschung zu suchen. Der ans derselben 
liegende Schlamm rutschte ab und „die oben sichtbare Ver 
senkung war diesmal eine sekundäre Folge der überstellen 
Böschung unten." Die alte Ablagerung war schon vorher hart 
an der Gleichgewichtsgrenze und eine geringe Mehrbelastung 
brachte sie in Bewegung. 
Referent bemerkt hiezu, daß nach einer ihm zugegangenen 
Mittheilung des Herrn Professor Moesch in Zürich die Nieder 
schläge im Zürichsee hauptsächlich aus einem Kalksand bestehen 
und sich wohl fortwährend, wenn auch sehr langsam absetzen. 
Es ist somit sehr leicht denkbar, daß an den steilen Abfällen 
der Molassefelsen unter Wasser öfters solche Abrutschungen 
nur durch die Niederschläge selbst erfolgen können, wenn sie 
auch nicht immer bis zum Ufer gehen und sich dort bemerklich
	        

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