Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1876)

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von Gebäuden zur Anwendung kommenden Baumaterialien in 
ihrer Form und Farbe ohne Verputz und den sonstigen Ver 
kleidung smitteln, der heutigen Bauweise einen entschieden 
andern, von dem früheren vortheilhaft abweichenden Charakter 
verliehen hat. 
Dir eben erwähnten Fortschritte äußern sich zunächst und 
in der ausgeprägtesten Weise bei den durch die Staätsbe-- 
Hörden zur Ausführung gebrachten Bauten. 
Nicht nur, daß Seitens der hiezu berufenen Techniker der 
reine Konstructionsbau überall angestrebt und zur Wahrheit 
wird, sondern auch seitens der maßgebenden Behörden wird 
in der anerkennenswerthcsten Weise der Erreichung dieses 
Zieles Vorschub geleistet. 
Ebenso ist aber auch bei den Privatbauten während der 
letzten Dezennien ein entschiedener Fortschritt in der Anwendung 
und Ausbildung des reinen Konstruktionsbaues zu erkennen. 
Wenn nun, wie schon von dem Eingangs erwähnten 
Vereine angeführt, dieser Fortschritt seine wesentlichste Veran 
lassung in einer lebendigen Erkenntniß des Werthes oder der 
Wahrheit einer unversteckten richtigen Konstruktion findet, so 
mögen außer den im 2. Theile der vorliegenden Frage ange 
deuteten Umständen auf die Entwicklung des reinen Konstruktions- 
banes noch andere Faktoren eingewirkt haben und zwar: 
1) Es muß als eine Thatsache konstatirt werden, daß die 
Bildungsanstalten für Bautechniker unserer Zeit be 
deutende Fortschritte in ihrer Entwickelung, namentlich in 
konstruktiver und künstlerischer Beziehung gemacht haben 
und daß in Folge dessen der Einstuß derselben auf die 
jetzige Bauart sich in ganz unverkennbarer Weise äußert. 
2) Als weitere Thatsache muß angeführt werden, daß die 
früher übliche Sparsamkeit und Schüchternheit, namentlich 
in Herstellung öffentlicher Bauten einer weniger eng 
herzigen Auffaffung gewichen, und das Verständniß und 
die Würdigung des Rohbaues mehr und mehr erweitert 
worden ist. 
Während so früher beinahe alle, auch die massiv ausge- 
fübrten Gebäude mit Verputz versehen wurden, sehen wir 
heute den Massivbau ohne Verputz allgemein eingeführt. 
Hat so das Hochbauwesen in Württemberg die erfreu 
lichsten Fortschritte in der immer allgemeiner werdenden Aus 
führung der Gebäude im reinen Konstruktionsbau gemacht, 
so muß hier auch angeführt werden, daß es hauptsächlich 
Stuttgart ist, von dem der Impuls für dieses Streben 
ausgegangen, nnd daß die in Stuttgart ausgeführten Bauten 
wesentlich als Vorbild für das ganze Land gelten. 
Aber auch in der neuen Gesetzgebung ist ein wichtiges 
Zeichen für die Weitererhaltung des Rohbaues zu erblicken, 
soferne im Gegensatz zu dem bisher üblichen Fachwerk- oder 
Verputzbau der Massivbau vorgeschrieben wurde. 
Einen weiteren wesentlichen Einfluß auf die Vervoll 
kommnung und Verallgemeinerung des reinen Konstruktions 
baues haben auch die in den letzten Jahren gemachten Fort 
schritte in der Ziegelfabrikation ausgeübt. 
Durch bessere mechanische Einrichtungen in den Ziegel 
fabriken, durch Beobachtung größerer Sorgfalt bei Herstellung 
der Ziegel ist es gelungen, ein weitaus schöneres und halt 
bareres Material zu produziren, das für den Rohbail ge 
eigneter sich erweist, als das früher hergestellte. 
Die Anwendung des Ziegelrohbaus ist übrigens schon 
seit längerer Zeit versucht worden, und wurde auch in vielen 
Fällen bei den Fayaden durch Anwendung ornamentaler 
Gliederungen in gebranntem Thon und durch sonstige dekora 
tive Ausbildung Vieles erreicht, was zwar den in Nord 
deutschland, wo der Backsteinrohbau ein mehr naturwüchsiges 
Baumaterial bildet, vorhandenen Schöpfungen nicht ganz 
gleichkommt, jedoch in mancher Beziehung mit denselben eben 
bürtig sein dürfte. 
Es ist in dieser Beziehung namentlich auf kirchliche Bauten 
in Oberschwaben hinzuweisen, bei welchen die Verwendung 
des gebrannten Thones zum Theil in überraschender Weise 
Verweildung erhalten hat, wie z. B. dem Maaswerk von 
gothischen Fenstern und Thüren rc. und sind die betreffenden 
Bauten immerhin als ein sehr beachtenswerthes Moment zu 
betrachten; sie geben Zeugniß, in welchem Stadium des Fort 
schritts unsere Thonwaarenfabriken sich befinden, und wie 
vieles dieselben zu leisten vermögen; die Anfertigung von 
Verblendsteineu in verschiedenen Farben, welche gerade in 
Oberschwaben eine schöne Ausbildung erreicht hat, ist eben 
falls ein Beweis hiefür, und es ist nur zu bedauern, daß die 
Zahl der Fälle, in welchen hievon Gebrauch gemacht wird, 
eine etwas geringe ist, und die Fabrikation nicht zu weiteren 
Fortschritten veranlaßt und ermuthigt. 
Dagegen ist die Fabrikation ornamentaler Bauglieder in 
gebranntem Thon fast in allen Theilen des Landes mehr oder 
weniger eingeführt, und steht der in andern Ländern kaum nach. 
Hiebei dürfte auch noch der Fabrikation einer besondern 
Sorte von Dachziegeln, sogenannten Dachpfannen — Falz 
ziegeln — erwähnt werden, welche eine große Vollkommen 
heit erreicht hat, wenn gleich sie nur in wenigen Orten bis 
jetzt gefertigt werden. 
Durch den erleichterten Transport der Baumaterialien 
auf den Eisenbahnen wird der Rohbau auch für solche Gegenden 
ermöglicht, welchen nicht genügendes und zweckentsprechendes 
Baumaterial zu Gebote steht, lnid zeigt sich dies an einer 
Menge von ausgeführten Beispielen, in welchen die Haupt- 
Materialien aus größerer Entfernung bezogen werden^ was 
ohne Eisenbahnen nicht möglich gewesen wäre. 
Stuttgart, den 20. Mai 1876. 
Die Commission: 
Baurath Bok, 
> Baurath Wolfs, 
Professor D oll in g er. 
Ergänzung des Witgtiederverzeichnistes. 
Neu aufgenommen: 
A. in Stuttgart wohnhaft: 
C. Glocker, Baumeister, untere Neckarstraße 107. 
Canz, Ingenieur, Jägerstraße 12. 
B. als auswärtige Mitglieder: 
Bertrand, Ingenieur-Assistent in Langenau. 
B laich, Stadtbaumeister in Reutlingen. 
Eberhard, Baumeister in Marbach. 
Faiß, dto. 
Förster, Straßenbauinspektor in Ehingen. 
Hart mann, Ingenieur-Assistent, Vorstand des Betriebs 
bauamts in Hechingen. 
Veigele, Baumeister in Marbach. 
Zw iß ler, Architekt in Reutlingen. 
Von hier nach auswärts gezogen: 
Keller, Sektions-Ingenieur in Nenenburg. 
Gestorben: 
v. Heimerdinger, Baurath in Stuttgart.
	        

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