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Die Aufgabe, die der Techniker bei der Adaptirung des
Gebäudes zu lösen hatte, bestand nun darin, die genannten
Nachtheile möglichst aufzuheben oder unschädlich zu machen,
und insbesondere die dabei sich ergebenden Schwierigkeiten der
Trennung und Jsolirung der Kranken im Allgemeinen, sowie
der einzelnen Abtheilungen derselben zu überwinden.
In Betreff der Jsolirung der Kranken im Allgemeinen
geschah dies dadurch, daß der dem Zugang ausgesetzte westliche
Flügel im Parterre zur Verwaltung und Direktion, sowie zur
Wohnung des Verwalters, im 1. Stock zur Wohnung des
Direktors und im 2. Stock zur Wohnung für die ruhigen
männlichen Kranken I. und II. Klasse bestinunt wurde. Sodann
wurde der Mittelflügel zu 3 / ( für die männlichen, und zu 1 / 4
für die weiblichen Kranken, und der östliche Flügel für die
Letzteren ganz verwendet.
Besondere Schwierigkeiten brachte die Unterbringung des
verheirateten Oberwärters, und wurde dessen Wohnung schließ
lich nach mannigfachen andern Versuchen in den 1. Stock des
Mittelflügels, zwischen die Männer- und Frauenabtheilung,
mit besonderem Zugang von außen, verlegt.
Die Unterbringung der Oekonomie-Gelasse, als: Küche,
Waschküche sammt Zubehörden, Holzlegen, Kellerräume rc. geschah
in dem sehr schönen und großen, unter dem ganzen Gebäude
durchgehenden, gewölbten Souterrain, und zwar wurden die
ersteren Gelasse in den Mittelflügel gelegt. Um diese Räume
hell und trocken zu machen, wurde aus der Seite gegen den
innern Hof ein vertiefter Kandel, auf der Nordseite da
gegen ein vertiefter Hof angebracht. Dadurch, daß dieser
Hof in gehöriger Breite und auf die ganze Länge des Mittel
baues bis aus Souterraintiefe ausgegraben wurde, konnte das
Souterrain hier völlig frei gelegt werden, und erhielt dasselbe
hierdurch die Vortheile eines Parterres; auch war es möglich,
dasselbe von dem vertieften Hof aus zugänglich zu machen.
Es handelte sich nun darum, in diesen Hos, welcher sich
von selbst als Küche- oder Oekonomiehof gestaltete, gelangen
zu können, ohne Berührung des Gebäudes, und geschah dies
durch Anbringung einer Rampe von der Westseite her.
Der hierdurch erreichte Zugang mündet auf den Haupt
zugang zur Anstalt vor dem Haupteingang innerhalb der Um
friedigung derselben, und steht daher unter der direkten Kon-
trole des Portiers und der Verwaltung, da er vor deren
Fenstern vorbeiführt.
Diese Anlage machte es, nun möglich, die Oekonomie-
Gelasse (Küche und Waschküche sammt Zubehörden, Keller rc.)
in das Centrum des Gebäudes zu verlegen, und die für
deren Betrieb erforderlichen Bedürfnisse aller Art in leichtester
Weise (sogar mit Fuhrwerken) in dieselben direkt abzuliefern
oder fortzuschaffen, ohne das Innere des Gebäudes zu
berühren und ohne daß dadurch die in demselben
untergebrachten Kranken irgend welche Störung er
leiden. Es hatte ferner den weiteren großen Vortheil, daß,
nachdem man sich für Central Heizung mit Dampf, und
Betrieb der Küche und Waschküche ebenso mit Dampf ent
schieden hatte, das Kesselhaus mit den erforderlichen Dampf
kesseln und sonstigen Apparaten in allernächster Nähe und
central gelegen, in dem vertieften Oekonomiehofe (nachdem solcher
hiezu entsprechend erbreitert war) nebst den erforderlichen Brenn
materialschuppen zu beiden Seiten des Kesselhauses untergebracht
werden konnte, und daß diese Bauten dadurch, daß sie tiefer
stehen, auf die Gelasse des Hauptgebäudes in keiner Weise
störend wirken.
Zu den Nachtheilen der Lage des Gebäudes,
von welchen oben die Rede war, gehört noch der Umstand,
daß vor dem Gebäude eine öffentliche Straße vorbeiführte, und
daß jenseits derselben die vorhandene große Kirche und das
Areal des Hüttenwerks Wilhelmshütte einer weiteren Aus
dehnung der Anstalt im Wege standen.
Die Beseitigung der Straße war eine Nothwendigkeit für
den Bestand und Betrieb der Anstalt; sie konnte jedoch nicht
ohne Schwierigkeiten und erst nach vielen Verhandlungen durch
gesetzt werden. An die Stelle dieser, an der nördlichen Seite
der Kirche befindlichen Straße ivurde sodann ein Fußweg auf
der Südseite hergestellt, welcher nun die Anstalt nach Süden
begrenzt. Hierdurch wurde nicht nur das Gebäude selbst isolirt,
sondern es wurde auch ein größerer Garten vor dem östlichen
Flügel, in welchem die weibliche Abtheilung untergebracht ist,
gewonnen.
Aus der im Vorstehenden angegebenen und im Situations
plane ersichtlichen Lage des Gebäudes und seiner Umgebung
ergab sich nun von selbst, daß eine Erweiterung der in dem
Gebäude einzurichtenden Anstalt nicht nach vornen und auch
nicht nach den Seiten, sondern nur nach rückwärts geschehen
konnte, weil nur nach dieser Richtung eine ungehinderte, größere
Ausdehnung thunlich und ausführbar war.
Nachdem im Vorangeschickten zunächst im Allgemeinen
dargelegt worden ist, welche Momente zu der Adaptirung des
früheren Prämonstratenserklosters Schussenried Veranlassung ge
geben haben und in welcher Weise die vorhandenen ungünstigen
Verhältnisse möglichst beseitigt oder unschädlich gemacht wurden,
so soll im Nachfolgenden nun auf die Einzelheiten näher ein
gegangen werden. Bevor dies geschieht, dürfte es jedoch am
Platze sein, etwas über die Verhältnisse des Platzes Schussen
ried einzuschalten. Schon der Umstand, daß dieser Platz zur
Niederlassung für ein so bedeutendes Kloster seiner Zeit aus
gewählt wurde, läßt erwarten, daß derselbe kein gewöhnlicher
Platz sein kann, daß er vielmehr mancherlei Vortheile durch
seine Lage bieten werde, da ja die Gründer der Klöster hierin in
der Regel einen weiten und sichern Blick an den Tag gelegt haben.
Wenn hiezu auch ohne Zweifel seiner Zeit — wenigstens bei
der Erbauung des neuen Klosters, die großen und bedeutenden
Besitzungen in der Umgebung von Schussenried wesentlich mit
gewirkt haben, so ist doch wohl anzunehmen, daß die Wahl
des Platzes hauptsächlich durch die Nähe der Schussen-
quelle und durch die Lage desselben in schöner, fruchtbarer
Gegend erfolgt ist.
Schussenried liegt an der Eisenbahn zwischen Ulm unb
Friedrichshafen, 557 m. über dem Meer. Der Platz, aus welchem
das Klostergebäude aufgeführt wurde, gewährt eine weite Fern
sicht nach den hervortretenden Höhen Oberschwabens, des Boden
sees, und an hellen Tagen auf die viele Meilen lange schnee
gipfelreiche Kette von Hochgebirgen der Allgäuer und Schweizer
Alpen, die den Horizont begränzen. In der Nähe befinden sich
mehrere zum Theil stattliche Seen, welche sich für Fischzucht
sehr eignen.
In neuerer Zeit ist Schussenried berühmt geworden durch
die an der Schussenquelle aufgefundenen Rennthiergeweihe, und
die in den Torfmooren jenseits der Quelle entdeckten Pfahl
bauten, aus. welchen sich ergibt, daß der Ort eine vorhistorische
Bedeutung hat.
Das zu Ende des vorigen Jahrhunderts erbaute neue
Kloster wurde genau nach den Himmelsgegenden orientirt und
bildet ein nach Süden offenes Viereck. Diese Orientirung ge
schah vermuthlich mit Rücksicht auf die genau zu orientirende
neue, große Kirche, welche nach dem beabsichtigten großartigen
Bauplan an die Stelle der vorhandenen (ebenfalls orientirten)
Kirche, dem ganzen Bau eingefügt werden sollte.
Zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, also kurze
Zeit nach der Erbauung des bestehenden neuen Theils wurde
das Kloster säcularisirt, kam mit allen seinen Besitzungen an
das gräfliche Haus Sternberg, und von diesem durch Kauf
an Württemberg.
Die vorhandenen vielen Gebäulichkeiten und die nicht ;u
verwerthenden Brennmaterialien der vielen Wälder gaben in
den 30er Jahren Anlaß zu Errichtung eines Hüttenwerks
(Eisengießerei), welches gegenwärtig in den Räumender alten
Klostergebäude noch besteht, und wurde bei dieser Gelegenheit
auch ein Theil des neuen Gebäudes abgebrochen.