Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

37 
Das neue Kloster, gewöhnlich Schloß genannt, wurde, wie 
Eingangs erwähnt, -zu verschiedenen Zwecken verwendet, was 
.demselben gerade nicht zum Vortheil diente. 
Bei dessen Verwendung zu dem nunmehrigen Zwecke als 
Irrenanstalt mußte zuerst allen Ansaßen andere Wohnungen 
angewiesen werden. Für das Kameralamt ivurde ein Neubau 
in Saulgan hergestellt, für das Revieramt und die 3 katholischen 
nebst 4 evangelischen Geistlichen wurden die Wohnungen in 
dem an die Kirche anstoßenden Flügel des alten Klosters ein 
gerichtet, nachdem für die in Letzterem untergebrachten Arbeiter 
familien des Hüttenwerks zuvor neue Wohnungen erbaut wor 
den waren. 
Das neue Klostergebäude ist sehr opulent und zweckmäßig 
gebaut worden; es enthält einen durchgehenden hohen und ge 
wölbten Souterrainstock, über demselben aus hohem Sockel 
einen Parterrestock, 4,5 na. hoch, und zwei weitere Stockwerke 
von je 4 in. Höhe. An beiden Ecken ist noch ein weiteres 
Stockwerk aufgesetzt. 
Im Mittelflügel befindet sich iin 2. Stock der berühmte 
Bibliotheksaal, welcher nun als Betsaal für die Anstalt 
dient. Dieser Bibliotheksaal, einer der schönsten seiner Art 
und sicher der schönste von allen, welche sich in in 
ländischen Klöstern befinden, bildet für sich eine beson 
dere Sehenswürdigkeit und zeichnet sich durch seine Größe und 
Höhe, sowie durch seine überaus reiche und geschmackvolle Be 
handlung, insbesondere durch das große Deckengemälde al fresco, 
dessen Inhalt die Weltgeschichte darstellt, und durch eine auf 
schönen schlanken stuckmarmornen Doppelsäulen ruhende, rings 
herum führende Gallerte aus. An der Decke dieser Gallerie, 
sowie in den tiefen Fensterleibungen sind sehr mannigfaltige 
sinnbildliche Darstellungen der in den zugehörigen, mit sinn 
reichen Einrichtungen versehenen großen Bücherschränken aufbe 
wahrten Schriften über Wissenschaften und Künste, und gewährt 
deren Betrachtung einen hohen Genuß. 
Das Gebäude ist durchaus massiv und tbündig erbaut, 
die Korridore sind 4 na. breit, die sehr schönen Treppen (von 
Eichenholz) liegen in den inneren Ecken. 
Das Material, aus welchem dasselbe erbaut wurde, ist 
Backstein, die Sockel sind zum Theil von Schweizer (Molasse) 
Sandstein, ebenso sämmtliche Fenstereinfassungen. 
Die Dächer sind mit gewöhnlichen Dachziegeln eingedeckt 
und wurden in neuerer Zeit mit Schiefern eingefaßt. 
Zu den Souterrain-Mauern, welche eine beträchtliche Dicke 
(bis ca 4,5 m.) haben, wurden vorzugsweise sog. Findlinge, 
eigentlich Gletschergeschiebe, erratische Blöcke k. aus Granit, Alpen 
kalk 2c. bestehend, verwendet, welche sich früher in großer Zahl 
in der Nähe von Schussenried fanden. Bei den in Folge der 
Einrichtung des Souterrains nothwendig gewordenen vielen 
Durchbrüchen zu Fenster- und Thürenöffnungen hat die Be 
seitigung dieser Findlinge große Schwierigkeiten verursacht 
und mußte hiebei größtentheils die Sprengung derselben durch 
Pulver stattfinden. 
Nach diesen Vorausschickungen will ich nun die weiteren 
Momente und Anforderungen, welche bei der Adaptirung des 
Gebäudes für eine Irrenanstalt zu erfüllen waren, und die 
wichtigeren Einrichtungen, sowie die Ausführung einzelner 
Theile in Nachfolgendem etwas eingehender auseinanderzusetzen 
suchen. 
Unterbringung der Kranke« im Allgemeinen. 
Bei Unterbringung der Kranken ist die möglichst vollstän 
dige Trennung der Geschlechter ein Haupterforderniß und zwar 
nicht blos in Beziehung auf räumliche Trennung, sondern auch 
in der Hinsicht-, daß ein Zusammensetzen derselben nicht mög 
lich ist. 
In ersterer Beziehung ergaben sich keine besonderen 
Schwierigkeiten, in letzterer Hinsicht dagegen waltet der durch 
das Gebäude gegebene und nicht zu ändernde Mißstand 
vor, daß die sämmtlichen Korridore gegen den inneren Hof 
gehen. Da nun diese Korridore wegen ihrer schönen Dimen 
sionen durchweg zu Aufenthaltsräumen den Tag über, oder zu 
sogen. Tagräumen sich vorzüglich eignen und daher auch als 
solche verwendet wurden, so war zu befürchten, daß die im 
Mittelbau untergebrachten Männer und die im östlichen Flügel 
untergebrachten Weiber mit einander korrespondiren werden. 
Diesem Mißstand wurde nun dadurch abgeholfen, daß der 
zunächst an den östlichen Flügel anstoßende Theil des Mittel 
baus ebenfalls für weibliche Kranke verwendet und daß die 
Wohnung des Oberwärters zwischen die männliche und weib 
liche Abtheilung eingeschoben wurde. Im oberen Stock befindet 
sich im Mittelbau der große Bibliotheksaal, durch welchen sich 
eine genügende räumliche Trennung dieser Abtheilungen von 
selbst ergab. Hierdurch, sowie durch die im inneren Hofe be 
findlichen hohen Baumgruppen wurde dieser Mißstand beseitigt. 
Zahl der Kranken »nd ihre Nerttzeilung. 
Aus Grund der durch das Gebäude gegebenen Räumlich 
keiten wurde die Zahl der in der neuen Anstalt aufzunehmen 
den Kranken auf durchschnittlich 320—350 berechnet, und ist 
das vorhandene Hauptgebäude nur für die ruhigen oder 
wenig aufgeregten Kranken I., II. und III. Klasse beiderlei 
Geschlechts bestimmt worden. 
Für die unreinlichen (blödsinnigen) und aufgeregten 
(tobsüchtigen) Kranken ergab sich die Nothwendigkeit, sie außerhalb 
des Hauses in besonderen Gebäuden unterzubringen, von selbst. 
Die Art und Weise, wie dies zu geschehen hatte und wie 
diese Gebäude unter sich und mit dem Hauptgebäude zusam 
menhängen sollen, erforderte dagegen vielfache Verhandlungen 
und wurde schließlich aus meinen Vorschlag die in dem bei 
liegenden Situationsplane ersichtliche Stellung der Gebäude 
angenommen, welche unter sich und mit dem Hauptgebäude 
durch einen Korridor verbunden sind. Durch diese Verbindungs- 
günge wurde der weiter oben erwähnte Zugang zu dem Küche 
hof nicht beeinträchtigt, weil der letztere vertieft hergestellt 
worden ist und dieser Zugang hierdurch unter den Verbindungs 
gängen möglich war. 
An dein Verbindungsgang zwischen dem Gebäude für die 
Unreinlichen und dem für die Unruhigen wurden für beide 
Abtheilungen die Baderäume, Trockenräume') außerdem eine 
besondere Abtheilung, die sog. Wach- und Krankenabtheilung 
untergebracht. 
Selbstverständlich sind diese Gebäude für beide Geschlechter 
ganz gleich, und hängt das eine direkt mit der Männerab 
theilung, das andere init der Weiberabtheilung des Haupt 
gebäudes zusam'men. 
Durch diese Anordnung der Gebäude hat sich die aus dem 
Situationsplane ersichtliche Grundform der ganzen Anstalt 
ergeben. Die sämmtlichen Gebäude' für die unreinlichen und 
unruhigen Kranken sind einstöckig ausgeführt. 
Für die Unruhigen sind auf jeder Seite 42 Einzelzellen 
vorhanden. 
Die Zahl der niederen Bediensteten beträgt 27 männliche 
und 31 weibliche, worunter 20 Wärter und 20 Wärterinnen, 
so daß die Anstalt bei 320 Kranken im Ganzen 378 Personen 
beherbergt. 
Zn diesen kommen noch die Angestellten, nämlich: 
4 Direktor, 4 Assistenzarzt, 
4 Verwalter, 4 Verwaltungsgehilfe, 
4 Oberwärter, 4 Oberwärterin, 
4 Protest, und 4 kath. Geistlicher, 
4 Hauslehrer. 
Minne der einzelne» Abtheilungen. 
Jede Abtheilung hat ihre besonderen Tag- und Schlaf- 
räume; außerdem enthält die Abtheilung der ruhigen Kranken 
noch besondere Speise- und Gesellschaftsräume. 
Die Kranken I. Klasse haben besondere Zimmer, welche 
sehr hübsch und wohnlich möblirt sind, die übrigen Klassen 
haben gemeinschaftliche Wohn- und Schlafränme, wobei auf
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.