Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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Beilage 7 
zur 12. ordentl. Versammlung. 
Bortrag 
über 
die Entwicklung des Eisenbahnwesens in Württemberg, 
gehalten 
im Verein für Baukunde den 26. Mai 1877 von Oberbanrath v Schlierholz in Stuttgart. 
sei Lrr Eröffnung der Ausstellung von Plänen etr. auf dem Gebiete des Ingeuieurwestus. 
Meine verehrten Herren und werthe Fachgenoffen. 
Der Verein für Baukunde, der sich zur Aufgabe stellt, 
neben Wahrung der socialen Interessen der Fachgenosfen, und 
Begründung eines geselligen, freundschaftlichen Verhältnisses 
unter den Theilnehmern, vorzugsweise Ideen und Erfahrungen 
auf dem Gebiete der Architektur und des Jngenicurwesens aus 
zutauschen, hat schon öfters Ausstellungen veranlaßt, so vor 2 
Jahren die Leistungen seiner Mitglieder auf dem Gebiete des 
Kirchenbaues in reichem Maße zur Anschauung gebracht; Heuer 
wendete er sich dem Jngenieurwesen, wohl für das Auge weni 
ger anziehend, desto mehr Jntressc aber in geistiger Beziehung 
darbietend, zu. 
Erlauben Sie mir nun, meine Herrn, bevor wir diese 
Ausstellung betreten, einen geschichtlichen Neberblick über die 
Entwicklung unseres vaterländischen Eisenbahnbaues zu geben. 
Wie uns Allen bekannt, beginnt die allgemeine Anwen 
dung der Dampfkraft auf Lokomotiven und mit ihr der Eisen 
bahnbau mit der für den Bau der Liverpool-Manchester Eisen 
bahn erfolgten Konkurrenz, und der von Stephenson konstruir- 
ten Maschine „Die Rakete" durch die vermehrte Dampferzeu 
gung in Folge Anbringung einer großen Anzahl Röhren von 
kleinem Durchmesser in dem Kessel, im Jahre 1829. 
Für Deutschland war es insbesondere v. Gerstner Vater 
und Sohn, welche bereits 1807 eine Eisenbahn zur Verbindung 
der Moldau mit der Donau projcktirten und 1813 eine wissen 
schaftliche Abhandlung schrieben. 
Es darf aber erst das Jahr 1829 als dasjenige betrach 
tet werden, in welchem sich überall ein ernstes Streben, Eisen 
bahnen als ein neues Verkehrsmittel einzuführen, kund gab. 
Dieß bezog sich jedoch anfangs meist nur auf Kohlenbahnen 
und in Deutschland war die erste Eisenbahn die 8stündige 
Budweis-Linz-Gmundener Pferdebahn, und die Prag-Pilsener 
Bahn, und erst am 7. Dezbr. 1835 wurde die erste von Denis 
gebaute Lokomotivbahn von Nürnberg nach Fürth eröffnet; ihr 
folgte 17, Jahr später die Bahn zwischen Leipzig und Dresden, 
erbaut von Kunz, sodann 1838 am 6. Januar die erste öster 
reichische Eisenbahn zwischen Wien und Wagram, und im Oktober 
in Preußen die von Berlin nach Potsdam. 
Als eines der ersten deutschen Länder, das nach Einführung 
der Eisenbahnen strebte, kann wohl Württemberg genannt werden. 
Se. Majestät der höchst sel. König Wilhelm hat schon 
früher, lange vor der Zeit, in welcher das Eisenbahnwesen in 
Deutschland lebhafter angestrebt wurde, sich die Vervollkomm 
nung unserer Kommunikationen zu Wasser und durch Eisenbahnen 
angelegen sein lassen, und aus Privatmitteln insbesondere Stu 
dien über Kanalverbindungcn, so schon 1822 durch den Haupt 
mann Duttenhoscr zwischen den 5 oberschwäbischen Städten, 
Bibcrach, Waldsee, Ravensburg, Saulgau, Buchau und zwischen 
Neckar und Bodensce, mittelst Stollens von Neckarthailfingen 
nach Stuttgart-Cannstatt, vornehmen lassen, und hat im Jahre 
1830 eine aus administrativen und technischen Mitgliedern der 
Departements des Innern und der Finanzen niedergesetzte Com 
mission mit der Behandlung in genannter Richtung beauftragt. 
Gleichwohl vergingen durch Kampf und Streit über Rich- 
l ung und System 15 Jahre, bis cs zum Bau von Eisenbahnen 
kam, so daß andere Länder um uns her bereits Eisenbahnen 
hatten, trotzdem, daß sie weit später an deren Einführung dachten. 
Die verschiedenen Stimmungen über dieses neue Verkehrs 
mittel, die theilweisc Unzulänglichkeit und Unentschlossenheit der 
damaligen württcmb. Techniker, die großen Tcrrainschwicrigkei- 
ten — was bei der Anfangsperiode nicht übersehen werden 
darf — waren Gründe genug für die Verzögerung, weßhalb 
wohl kaum irgendwo eine solche Musterkarte von Plänen, Ent 
würfen, Vorschlägen und Gutachten einheimischer und fremder 
Techniker vorliegen wird. 
Die oben genannte Commission erstattete bereits im Jahre 
1834 Bericht und bezeichnete eine Eisenbahn als dasjenige 
Komunikationsmittel höherer Ordnung, auf welches in Verbin 
dung des Neckars mit der Donau und dem Bodensee zunächst, 
trotz der großen Parteiklüftung und der vorhandenen Kirch- 
thurmsintercssen, unter Regelung des internationalen Verkehrs 
mit möglichster Berücksichtigung der internen Interessen, Be 
dacht zu nehmen sein dürfte. 
Sie schlug als Richtung wegen der großen Terrainhinder 
nisse für eine direkte Verbindung des Neckar- und Filsthales 
mit Ulm, diejenige vom mittleren Neckar durch die Thäler der 
Rems, des Kochers und der Brenz bis Sontheim, — worüber 
Hauptm. Duttenhoscr schon im Jahre 1835 eine Trace bearbei 
tete, — sodann aufwärts an der Donau nach Ulm und von hier 
durch die Thäler der Riß und Schüssen nach Friedrichshafen vor. 
Hiemit zusammen wirkte vom Spätjahre 1835 an die Bil 
dung von Gesellschaften in Stuttgart und Ulm, unter dem 
technischen Beirathe des damaligen Kreisbaurath v. Bühler in 
Ulm, die sich später in eine einzige württcmb. Gesellschaft ver 
einigten, wie sich auch ähnliche Bestrebungen zugleich in den 
Nachbarstaaten regten. 
Dieß veranlaßte die Regierung, der Aufgabe näher zu tre 
ten und behufs von Tcrrainaufnahmen und Bearbeitung von 
Planen und Voranschlägen, sowie für Reisen von Technikern 
zu eigenen Anschauungen und Beobachtungen über das Eisen 
bahnwesen nach England, Irland, Belgien und Frankreich auf 
dem Landtage von 1836 eine Summe von 100,000 fl. aus der 
Restverwaltung auszusetzen. 
Von diesem Jahre an zählt die eigentliche technische Thä 
tigkeit auf dem Gebiete des württcmb. Eisenbahnwesens, wobei 
die Regierung gerne die Einsicht und die Thätigkeit des Gesell- 
schaftsausschusses benützte und den Verein unterstützte, welcher 
sich jedoch im April 1838 auflöste, weil die Vorarbeiten das 
Resultat ergaben, daß die Kosten einer Eisenbahn sich weit höher 
belaufen würden, als die bei dessen Konstituirung vorliegenden 
summarischen Kostenanschläge für die Ausführung durch Privat 
mittel hoffen ließen. 
Die K. Regierung nahm nun die Sache ausschließlich und 
energisch in die Hand und faßte für die zunächst zu behan 
delnde Bahn ins Auge, von Cannstatt ausgehend: 
1) die Richtung nach der Donau und zum Bodensce, 
2) die nach Heilbronn, 
3) die nach der Westgrenze des Landes und zwar sowohl 
gegen Bruchsal als gegen Pforzheim, beide Richtungen 
von Eckenweiherhof bei Mühlacker abzweigend, 
und stellte die Ausarbeitung von Plänen und Voranschlägen
	        

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