Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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Den 23. Janugr wurde sodann mit 62 gegen 21 Stimmen 
beschlossen: 
Daß die Eisenbahnen den Mittelpunkt des Landes 
Stuttgart—Cannstatt, auf der einen Seite mit Ulm—Bibe 
rach—Ravensburg und Friedrichshafen, auf der andern Seite 
mit der westlichen Landcsgrenze, sowie in nördlicher Richtung 
mit Heilbronn verbinden sollen und die Bahn nach Ulm durch 
das Filsthal geführt werde, 
und am 30. Januar für die Etatsperiode 1842—45 die zum 
Eisenbahnbau verlangten —s - 3.200000 fl. bewilligt und das 
Ministerium ermächtigt, eine Staatsanleihe im Betrage dieser 
Summe aufzunehmen und weiter, nachdem nach dem überein 
stimmenden Beschluß beider Kammern das Eisenbahngesetz unter 
dem 20. Merz 1843 mit 57 gegen 29 Stimmen festgesetzt 
wurde, beigefügt: 
daß für die erleichterte Verbindung der entlegeneren 
Bezirke theils unter sich, theils mit der Eisenbahn durch 
Kunststraßen zu sorgen sei, und solche Verbindungsstraßcn, 
welche einem größeren Verkehre zu dienen oder mit der 
Eisenbahn zu vermitteln haben, in die Verwaltung des Staats 
übernommen oder auf Kosten des Staats gebaut werden 
sollen, und die Erbauung von Zweigbahnen durch Privat 
unternehmer der Konzession der Regierung unterworfen sei, 
wie dann beide Kammern die Bitte beifügten: 
„Es möge eine eigene Eisenbahnkommissiou als Kontrol- 
behörde des zu unternehmenden Baues eingesetzt werden und 
der Regierung gefallen, in Betracht der über gewisse Richtungen 
noch anzustellenden Untersuchungen der vorwaltenden techni 
schen Schwierigkeiten und der Zweifel, welche über die beste 
Art der Ausführung noch obwalrcn, und daß die vaterländi 
schen Techniker noch wenig Gelegenheit gehabt haben, Erfah 
rungen in diesem neuen Zweige der Baukunst zu sammeln, 
wenigstens einen fremden in demselben nach Kenntnissen 
und durch eigene Leitung von Eisenbahnbauten erprobten 
Techniker, welcher für dieses Geschäft mit zu verwenden wäre, 
dem K. Dienste zu gewinnen, sowie, daß bezüglich eines An 
schlusses an Baden und Baicrn auf ein gleiches Schienen 
geleise abgehoben werde." 
Das Gesetz erhielt unter dem 13. April 1843 Königliche 
Genehmigung und wurde unter dem 15. Juni desselben Jahres 
die K. Eisenbahnbaukommission eingesetzt. 
Hiemit kann der Abschluß des ersten Abschnitts 
unseres Eisenbahnwesens bezeichnet werden, mit dem zwar noch 
keineswegs eine feste Basis für den Bau, aber die Einsicht ge 
wonnen wurde, daß auf der seitherigen Grundlage durch Ver 
zögerung des Baues nichts versäumt worden war. 
Obcrbaurath v. Bühl er, dem die Kammerverhandlungen 
zu deutlich zeigten, daß die vorgelegten Pläne keineswegs aus 
führbar seien, und daß auch das kurze und nicht genügend um 
fassende Gutachten Negrellis kein Vertrauen erweckte, erhielt 
auf sein Ansuche» von der K. Regierung die Erlaubniß, mit einer 
Anzahl jüngerer Techniker eine 3monatliche Reise ins Ausland, 
in den Monaten April, Mai und Juni 1843 zum Studium 
von Eisenbahnen, zu unternehmen. 
Die dabei gemachten Erfahrungen veranlaßten v. Bühler 
nach feiner Rückkehr eine wiederholte Umarbeitung seiner Pläne 
vorzunehmen, welche zwar, wie sich das allgemeine und offizielle 
Urtheil ausspricht, ein voluminöses, aber wenig übersichtliches 
und durch zahlreiche Aenderungen verwirrendes Material lieferte; 
die Aenderungen beschränkten sich auf Verbesserungsversuche von 
Einzelnheiten, und konnte weder die öffentliche Stimme, noch 
die Kenntnißnahme von den Fortschritten des Eifcnbahnbaues 
seit 1836, den Oberbaurath v. Bühler überzeugen daß: 
eine radikale Reform der Grundsätze, nach 
welcher man bisher gearbeitet hatte, erstes und 
dringendes Bedürfniß geworden wäre. 
Eine wesentliche Aenderung bestand in dem Vorschlag, die 
Bahn von Kuchen ohne Ausbiegung nach Ucberkingen, direkt 
bis zur Pulvcrmühle bei Geislingen, mittelst einer schiefen Ebene 
mit einem Seil und 1:30 analog der Birmingham-Gloucester, 
der Aachener und Elberfelder Bahn, derart zu ersteigen, daß 
der von Ulm kommende Zug, den von Stuttgart kommenden, 
durch die Schwere und die Kraft seiner Maschine, und mit 
Unterstützung der von unten kommenden und aufwärts arbei 
tenden hinauf zu ziehen hätte, wie dieß früher schon durch den 
preuß. Ingenieur Bey sc angedeutet wurde. 
Hiemit zusammen traf die Berufung des Civilingcnieurs 
Karl Etzel, welcher als Oberbaurath in den württemb. Staats 
dienst aufgenommen, die Oberleitung für die Bauausführung 
übertragen erhielt, und die des englischen Civilingcnieurs Prof. 
Karl Vignoles zur Begutachtung der auszuführenden Pläne, 
wodurch endlich Licht in die württemb. Eisenbahnangclcgen- 
heiten kam. 
Etzel, dessen Name von seinem Vater her, der als Ober 
baurath in verschiedenen Landesthcilen schwierige und schöne 
Straßen und Brücken — wie die neue Weinsteigc, die Caun- 
statter Brücke re. — baute und bei der ganzen Bevölkerung im 
besten Andenken stand, und heute noch bei manchem unter uns 
die schönsten Erinnerungen weckt, kam im Monat August 1843 
von Wien nach Stuttgart zurück und weitblickend, bewußt 
die ihm zu Gebot stehenden Kräfte stets auf den rechten Platz 
j zu stellen, orientirte er sich schnell in dem Chaos von Enl- 
j würfen, Plänen und Voranschlägen und strebte zunächst energisch 
! die Verbindung der Städte Ludwigsburg, Stuttgart, Cannstatt 
und Eßlingen, wie Vignoles, mit Stuttgart als Centralpunkt 
des ganzen Eisenbahnnetzes an. 
Für das Maschinenwesen und den späteren Betrieb brachte 
Etzel den Civilingcnieur, Klein, den Begleiter Gerstner's 
nach Amerika und Herausgeber „der innern Kommunikationen 
der vereinigten Staaten," nachher und bis vor Kurzem mit 
Umsicht und feinem Takte als Direktor unseres Eisenbahnbaues 
wirkend, mit sich ins Land, welcher später mit Etzel die 
deutsche Eisenbahnzeitung gründete und diese als Organ für 
das Eisenbahnwesen eine Reihe von Jahren, bis sie in die 
Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen überging, 
redigirte. 
Dazu trat ein Mann von praktischen Kenntnissen, richtigem 
Blick und reichen Erfahrungen, der, wie man zu sagen pflegt, 
den Nagel stets auf den Kopf traf, aus der Schule des alten 
Etzel's, der bei vielen unter uns in bestem Andenken stehende 
Oberbaurath v. Knoll in die Eisenbahnbau-Kommission ein, 
: der wieder unter seiner Leitung herangebildete, und ihm als 
j tüchtig bekannte Kräfte an sich zog, so daß es von nun an 
! an einem systematischen, bestimmten, energischen Handeln 
nicht fehlte. 
Prof. Vignoles traf im Monat September 1843 in 
Stuttgart ein und bereiste auf Grund des ihm gewordenen Auf 
trags: — „die vorliegenden Bahnprofekte bezüglich ihrer Aus 
führbarkeit, Betriebsfähigkeit, des Oberbausystems, der Baukosten 
und des Betriebserträgnisses zu prüfen," — die vorgeschlagenen 
Linien mit Etzel, welcher indessen andere Richtungen vor 
bereitete, unter anderem eine Bahnlinie von Cannstatt durch 
das Neckar- und Filzthal auf das rechte Ufer verlegte; Vig 
noles bearbeitete und unterstellte nun das vorhandene Ma 
terial, nachdem vorher auf seine Weisung die bis jetzt meist 
und vorzugsweise v. Bühler nur auf Grund von Nivelle 
ments in der Axe und Querprofilen vorhandenen Höhcnpunkte 
auf den Flurkarten durch ein nivellistisches Netz in der für die 
Tracirung erforderlichen Ausdehnung ergänzt worden waren, 
unter der Assistenz der damaligen Ingenieure Abel und 
Cloß (jetzigen Oberbaurüthen), sowie Beckh's (jetzigem Bau 
rath), deren Einsicht, unermüdlichen Eifer und Fleiß V i g n o l e s 
ganz besonders anerkannte, einer gründlichen Prüfung und ver 
sah es mit Zusätzen und Abänderungen. 
Vom 5.—30. März 1844 konnte Vignoles bereits in 
einem ausführlichen, sehr interessanten, instruktiven, aber scharf 
und etwas rücksichtslos gehaltenen Berichte an den damaligen 
Herrn Minister des Innern, v. Schlayer, Vortrag erstatten, 
worin er jedoch zunächst die v. Bühler'schen Vorlagen und 
Arbeiten total verwirft mit dem Ausspruch:
	        

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