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Den 23. Janugr wurde sodann mit 62 gegen 21 Stimmen
beschlossen:
Daß die Eisenbahnen den Mittelpunkt des Landes
Stuttgart—Cannstatt, auf der einen Seite mit Ulm—Bibe
rach—Ravensburg und Friedrichshafen, auf der andern Seite
mit der westlichen Landcsgrenze, sowie in nördlicher Richtung
mit Heilbronn verbinden sollen und die Bahn nach Ulm durch
das Filsthal geführt werde,
und am 30. Januar für die Etatsperiode 1842—45 die zum
Eisenbahnbau verlangten —s - 3.200000 fl. bewilligt und das
Ministerium ermächtigt, eine Staatsanleihe im Betrage dieser
Summe aufzunehmen und weiter, nachdem nach dem überein
stimmenden Beschluß beider Kammern das Eisenbahngesetz unter
dem 20. Merz 1843 mit 57 gegen 29 Stimmen festgesetzt
wurde, beigefügt:
daß für die erleichterte Verbindung der entlegeneren
Bezirke theils unter sich, theils mit der Eisenbahn durch
Kunststraßen zu sorgen sei, und solche Verbindungsstraßcn,
welche einem größeren Verkehre zu dienen oder mit der
Eisenbahn zu vermitteln haben, in die Verwaltung des Staats
übernommen oder auf Kosten des Staats gebaut werden
sollen, und die Erbauung von Zweigbahnen durch Privat
unternehmer der Konzession der Regierung unterworfen sei,
wie dann beide Kammern die Bitte beifügten:
„Es möge eine eigene Eisenbahnkommissiou als Kontrol-
behörde des zu unternehmenden Baues eingesetzt werden und
der Regierung gefallen, in Betracht der über gewisse Richtungen
noch anzustellenden Untersuchungen der vorwaltenden techni
schen Schwierigkeiten und der Zweifel, welche über die beste
Art der Ausführung noch obwalrcn, und daß die vaterländi
schen Techniker noch wenig Gelegenheit gehabt haben, Erfah
rungen in diesem neuen Zweige der Baukunst zu sammeln,
wenigstens einen fremden in demselben nach Kenntnissen
und durch eigene Leitung von Eisenbahnbauten erprobten
Techniker, welcher für dieses Geschäft mit zu verwenden wäre,
dem K. Dienste zu gewinnen, sowie, daß bezüglich eines An
schlusses an Baden und Baicrn auf ein gleiches Schienen
geleise abgehoben werde."
Das Gesetz erhielt unter dem 13. April 1843 Königliche
Genehmigung und wurde unter dem 15. Juni desselben Jahres
die K. Eisenbahnbaukommission eingesetzt.
Hiemit kann der Abschluß des ersten Abschnitts
unseres Eisenbahnwesens bezeichnet werden, mit dem zwar noch
keineswegs eine feste Basis für den Bau, aber die Einsicht ge
wonnen wurde, daß auf der seitherigen Grundlage durch Ver
zögerung des Baues nichts versäumt worden war.
Obcrbaurath v. Bühl er, dem die Kammerverhandlungen
zu deutlich zeigten, daß die vorgelegten Pläne keineswegs aus
führbar seien, und daß auch das kurze und nicht genügend um
fassende Gutachten Negrellis kein Vertrauen erweckte, erhielt
auf sein Ansuche» von der K. Regierung die Erlaubniß, mit einer
Anzahl jüngerer Techniker eine 3monatliche Reise ins Ausland,
in den Monaten April, Mai und Juni 1843 zum Studium
von Eisenbahnen, zu unternehmen.
Die dabei gemachten Erfahrungen veranlaßten v. Bühler
nach feiner Rückkehr eine wiederholte Umarbeitung seiner Pläne
vorzunehmen, welche zwar, wie sich das allgemeine und offizielle
Urtheil ausspricht, ein voluminöses, aber wenig übersichtliches
und durch zahlreiche Aenderungen verwirrendes Material lieferte;
die Aenderungen beschränkten sich auf Verbesserungsversuche von
Einzelnheiten, und konnte weder die öffentliche Stimme, noch
die Kenntnißnahme von den Fortschritten des Eifcnbahnbaues
seit 1836, den Oberbaurath v. Bühler überzeugen daß:
eine radikale Reform der Grundsätze, nach
welcher man bisher gearbeitet hatte, erstes und
dringendes Bedürfniß geworden wäre.
Eine wesentliche Aenderung bestand in dem Vorschlag, die
Bahn von Kuchen ohne Ausbiegung nach Ucberkingen, direkt
bis zur Pulvcrmühle bei Geislingen, mittelst einer schiefen Ebene
mit einem Seil und 1:30 analog der Birmingham-Gloucester,
der Aachener und Elberfelder Bahn, derart zu ersteigen, daß
der von Ulm kommende Zug, den von Stuttgart kommenden,
durch die Schwere und die Kraft seiner Maschine, und mit
Unterstützung der von unten kommenden und aufwärts arbei
tenden hinauf zu ziehen hätte, wie dieß früher schon durch den
preuß. Ingenieur Bey sc angedeutet wurde.
Hiemit zusammen traf die Berufung des Civilingcnieurs
Karl Etzel, welcher als Oberbaurath in den württemb. Staats
dienst aufgenommen, die Oberleitung für die Bauausführung
übertragen erhielt, und die des englischen Civilingcnieurs Prof.
Karl Vignoles zur Begutachtung der auszuführenden Pläne,
wodurch endlich Licht in die württemb. Eisenbahnangclcgen-
heiten kam.
Etzel, dessen Name von seinem Vater her, der als Ober
baurath in verschiedenen Landesthcilen schwierige und schöne
Straßen und Brücken — wie die neue Weinsteigc, die Caun-
statter Brücke re. — baute und bei der ganzen Bevölkerung im
besten Andenken stand, und heute noch bei manchem unter uns
die schönsten Erinnerungen weckt, kam im Monat August 1843
von Wien nach Stuttgart zurück und weitblickend, bewußt
die ihm zu Gebot stehenden Kräfte stets auf den rechten Platz
j zu stellen, orientirte er sich schnell in dem Chaos von Enl-
j würfen, Plänen und Voranschlägen und strebte zunächst energisch
! die Verbindung der Städte Ludwigsburg, Stuttgart, Cannstatt
und Eßlingen, wie Vignoles, mit Stuttgart als Centralpunkt
des ganzen Eisenbahnnetzes an.
Für das Maschinenwesen und den späteren Betrieb brachte
Etzel den Civilingcnieur, Klein, den Begleiter Gerstner's
nach Amerika und Herausgeber „der innern Kommunikationen
der vereinigten Staaten," nachher und bis vor Kurzem mit
Umsicht und feinem Takte als Direktor unseres Eisenbahnbaues
wirkend, mit sich ins Land, welcher später mit Etzel die
deutsche Eisenbahnzeitung gründete und diese als Organ für
das Eisenbahnwesen eine Reihe von Jahren, bis sie in die
Zeitung des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen überging,
redigirte.
Dazu trat ein Mann von praktischen Kenntnissen, richtigem
Blick und reichen Erfahrungen, der, wie man zu sagen pflegt,
den Nagel stets auf den Kopf traf, aus der Schule des alten
Etzel's, der bei vielen unter uns in bestem Andenken stehende
Oberbaurath v. Knoll in die Eisenbahnbau-Kommission ein,
: der wieder unter seiner Leitung herangebildete, und ihm als
j tüchtig bekannte Kräfte an sich zog, so daß es von nun an
! an einem systematischen, bestimmten, energischen Handeln
nicht fehlte.
Prof. Vignoles traf im Monat September 1843 in
Stuttgart ein und bereiste auf Grund des ihm gewordenen Auf
trags: — „die vorliegenden Bahnprofekte bezüglich ihrer Aus
führbarkeit, Betriebsfähigkeit, des Oberbausystems, der Baukosten
und des Betriebserträgnisses zu prüfen," — die vorgeschlagenen
Linien mit Etzel, welcher indessen andere Richtungen vor
bereitete, unter anderem eine Bahnlinie von Cannstatt durch
das Neckar- und Filzthal auf das rechte Ufer verlegte; Vig
noles bearbeitete und unterstellte nun das vorhandene Ma
terial, nachdem vorher auf seine Weisung die bis jetzt meist
und vorzugsweise v. Bühler nur auf Grund von Nivelle
ments in der Axe und Querprofilen vorhandenen Höhcnpunkte
auf den Flurkarten durch ein nivellistisches Netz in der für die
Tracirung erforderlichen Ausdehnung ergänzt worden waren,
unter der Assistenz der damaligen Ingenieure Abel und
Cloß (jetzigen Oberbaurüthen), sowie Beckh's (jetzigem Bau
rath), deren Einsicht, unermüdlichen Eifer und Fleiß V i g n o l e s
ganz besonders anerkannte, einer gründlichen Prüfung und ver
sah es mit Zusätzen und Abänderungen.
Vom 5.—30. März 1844 konnte Vignoles bereits in
einem ausführlichen, sehr interessanten, instruktiven, aber scharf
und etwas rücksichtslos gehaltenen Berichte an den damaligen
Herrn Minister des Innern, v. Schlayer, Vortrag erstatten,
worin er jedoch zunächst die v. Bühler'schen Vorlagen und
Arbeiten total verwirft mit dem Ausspruch: