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„daß die bisher stattgehabten Untersuchungen und Ver
suche zur Entwicklung des württ. Eisenbahnsystems auf falschen
Prinzipien gegründet und mit irrigen und nutzlosen Details
ausgearbeitet seien, daher eine Verbesserung nicht möglich sei,
und alles bisher Geschehene bei Seite gelegt werden möge,
wie denn auch die vorliegenden Ueberschläge zu den zu
gehörigen Projekten um ca. */s zu gering berechnet seien."
Hiebei nahm Viguoles für Stuttgart den Bahnhof vor
der Seewiese — derzeitigem Stadtgarten — an beginnend,
parallel zur Friedrichsstraße, gegen die frühere untere Militär-
straße, jetzige Kricgsbergstraße hinreichend; wogegen Etzel die
Area des jetzigen Bahnhofs hiezu vorschlug, ersterer gegen die
Prag mit 1:165 Steigung, gegen Cannstatt 1:115 Gefall,
den Rosenstein umfahrend, während Etzel damals schon das
Rosensteintunnelprojekt aufstellte. Nach Cannstatt schlug Vlg-
noles wegen der zu erwartenden großen Frequenz und der
kurzen Entfernung einen atmosphärischen Betrieb vor und sprach
sich — wenn nicht nach Ulm in der Richtung des Neckar- und
Filzthales bei ebenfalls atmosphärischem Betrieb über Rampen
von der Schimmelmühlc oberhalb Geislingen an bis zum
Staighause 1:20 steigend und nach Ulm durch das Lehren
thal 1:40 bis 1: 25 fallend gefahren werden wolle, (wobei er
die Gradienten zwischen Cannstatt und Altenstadt bis zu 1 :200
annahm, diese aber zwischen Altenstädt und der Schimmelmühle
bei Geislingen bis zu 1:80 und 1 :75 steigerte und Kurven
bis zu 1500' anwendete) — sowohl in baulicher, kommerzieller,
wie strategischer Beziehung für die Richtung von Cannstatt
durch das Rems- und Brenzthal bis Sontheim und weiter
durch das Donauthal nach Ulm, ähnlich wie der von Bewohnern
genannter Richtung beauftragte k. preuß. Ingenieur B eys e, aus.
In der Richtung von Ulm nach Friedrichshafcn bezeichnete
er ebenfalls die Linie über Biberach, Aulendorf durch den
Schussendobel, Ravensburg nach Friedrichshafen, etwa nach der
ausgeführten Richtung, dadurch die kolossalen Bühler'schen
Bauten umgehend, schlug aber zugleich auch eine Linie durchs
Blauthal über Ehingen ins Donauthal, über Rottenacker, Unter
stadion gegen den Federsee Stunde an Buchau vorüber über
Schussenried nach Aulcndorf und Friedrichshafcn vor.
Von Stuttgart bis Ludwigsburg sprach sich Vignoles
mit Etzel annähernd für die derzeitige Richtung aus, setzte sic
gegen Thamm fort, wohin er den Abzweigungspunkt der West-
und der Nordbahn legte, wählte für die Westbahn den Enz-
übergang südwestlich von Besigheim, oberhalb der dortigen
Sägmühle, projektirte hier einen Viadukt, den er selbst ein
furchtbares Baucrk von 155' Höhe und 1800' Länge mit zehn
Oeffnungcn nennt, zog die Trace dann gegen Illingen hin und
hieß von hier an die v. Sccger'sche Trace gut.
Für die Nordbahn gab Vignoles nur Andeutungen, erach
tete es aber, insbesondere wegen eines Höhcunterschieds zwischen
dem Abzweigepunkt bei Thamm und dem Enzthal mit 250',
in Rücksicht auf Oekonomie geboten, von der Thammcr Ver
bindung an gegen das Saubachthal eine geneigte Ebene anzu
legen und diese mit einer besonderen Maschine mittelst des
atmosphärischen Systems zu betreiben.
Bezüglich des Oberbaues sprach sich Vignoles für ein
Wasserdurchlassendes Schotterbctt, eingebettete Langschwcllen mit
entsprechenden Querverbindungen zur Erhaltung des Parallelis
mus und für sogenannte Brückschienen aus, welche an die
Schwellen mittelst durchgehender Schraubenbolzen befestigt wer
den sollten.
Als Spurweite schlug er die bereits in Baiern angenom
mene englische mit 4' 8 ‘/ 2 " engl. — 1 in. 436 vor.
Oberbaurath Etzel erhielt nun sofort durch Erlaß vom
12. Januar 1844 den Auftrag, die Entwürfe des Prof. Vig
noles für eine Eisenbahnverbindung:
1) von Stuttgart nach Cannstatt,
2) von Cannstatt nach Eßlingen, und
3) von Stuttgart nach Ludwigsburg und der Enz
an der Hand des Berichtes zu prüfen, nothwendig erachtete
Aenderungen und Ergänzungen vorzunehmen, hierüber Kosten
voranschläge aufzustellen und über das.Ganze Bericht zu
erstatten, auch sich über den Vorschlag Vignoles, wegen des
für Stuttgart—Cannstatt :c. vorgeschlagenen atmosphärischen
Systems zu äußern.
Etzel reichte unter dem 15. Februar 1844 einen aus
führlichen Vortrag ein, in dem er die verschiedenen Epochen
des Eisenbahnwesens in Württemberg schilderte, die Resultate
dieser Epochen neben einander stellte und die einzelnen Linien
in finanzieller, staatswirthschaftlicher und technischer Beziehung
eingehend besprach, sich gegen das atmosphärische System aus
sprach und auf seinem Bahnhofprojekte und der Trace nach
Cannstatt 1:125 fallend mit dem Tunnel unter dem Rosen
stein beharrtc.
Etzel und K n o l l äußerten sich über die Anlagekosten und
Civilingenieur Klein den 7. März 1844 ausführlich in be
triebstechnischer Beziehung, sowie über das Bctricbsergebniß,
wobei er den Etzel'schen Projekten für genannte Bahnen entschie
den den Vorzug gab, auch entschieden sich die Oberingenieure
bezüglich des Oberbaues wie Ne grelli für das Querschwellen
system mit Hacknägeln und Vignolesschienen, 3,15" hoch, per
laufenden Fuß 14'/ 2 Pfd. schwer.
Diese interessante Schrift ist unter dem Titel: „Die erste
Sektion der Württembergischen Eisenbahnen" bei
Metzler 1844 im Druck erschienen und hat bezüglich der
! Bahnhofsituirung Stuttgart und der Cannstatter Trace heftige
öffentliche Erörterungen und Polemik hervorgerufen, die ins-
! besondere in der Schrift: „Beleuchtung des Stuttgarter Bahn-
hosprojektes nebst einem technischen Gutachten des Civilingenieurs
C. Fr. Zimpel von Prof. I. Mährten," welch Letzterer
überhaupt in der Entwicklungsgeschichte unseres Eisenbahnwesens,
zu dem er manche gesunde Anregung gab, eine wichtige Rolle
spielte und auch wesentlich zur Berufung Vignoles und
so zur Klärung der Wirren beitrug, Ausdruck fand.
Der Anhang des Etzel'schen Berichtes behandelt diese
Einwendungen kritisch.
Durch höchste Entschließung Sr. K. Majestät vom
13. März 1844 wurden die Etzel'schen Vorlagen für die
Eisenbahnverbindungen zwischen Ludwigsburg und Stuttgart,
Cannstatt und Eßlingen genehmigt und die höchste Zufrieden
heit mit Etzel's Leistungen ausgesprochen.
So wurde endlich, nachdem im übrigen Deutschland bereits
281,,,, Meilen Eisenbahnen, besonders auch schon in den Nach
barländern Baiern 16,, 2 Meilen und Baden 20,„ Meilen ge
baut waren, durch die Verschleppung jedoch nichts versäumt,
nur gewonnen worden war, im Juni 1844 zwischen Cannstatt
und Eßlingen mit dem Bau begonnen, auch ging das Eisenbahn
wesen am 27. September in die Verwaltung des K. Finanz
ministeriums über.
Während der Bauzeit wurden nach amerikanischem System
Mustcrlokomotiven und Musterwagen jeder Gattung, die letz
teren, wie heute noch üblich, mit durchgehendem Gang in der
Mitte, in Amerika bestellt, und eine Maschincnwcrkstätte in Eß
lingen und eine Wagenbauanstalt in Stuttgart angelegt.
Lokomotiven und Wagen kamen auf dem Neckar in Cann
statt an und wurde die Bahnstrecke Cannstatt—Eßlingen vom
22. Oktober bis 20 November 1845 und die von Stuttgart
nach Cannstatt und Ludwigsburg am 15. Oktober 1846 dem
Betrieb übergeben.
Während der genannten Bauten war Oberbaurath v. Etzel
thätig mit den Vorarbeiten von Ludwigsburg und für die
Westbahu an die badische Grenze, Oberbaurath v. Knoll vou
Eßlingen aus über Göppingen, Geislingen über die Alb nach
Ulm und von da nach Friedrichshafcn, wobei der damalige
Inspektor des technischen Bureaus Abel, der jetzige Oberbau
rath, sich wesentlich mit den Tracirungen beschäftigte und dem
selben reicher Antheil an der jetzigen Linie zwischen Süßen—
Geislingen und an dem Albaufgange, bei dem der Gradient
1:45 gewählt wurde, wie auch in Oberschwaben an der Linie
der Donau und dem Kuhbcrgc entlang gebührt, wogegen die
Albabfahrt gegen Ulm mit 1:70 eine spätere Abänderung durch