Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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„daß die bisher stattgehabten Untersuchungen und Ver 
suche zur Entwicklung des württ. Eisenbahnsystems auf falschen 
Prinzipien gegründet und mit irrigen und nutzlosen Details 
ausgearbeitet seien, daher eine Verbesserung nicht möglich sei, 
und alles bisher Geschehene bei Seite gelegt werden möge, 
wie denn auch die vorliegenden Ueberschläge zu den zu 
gehörigen Projekten um ca. */s zu gering berechnet seien." 
Hiebei nahm Viguoles für Stuttgart den Bahnhof vor 
der Seewiese — derzeitigem Stadtgarten — an beginnend, 
parallel zur Friedrichsstraße, gegen die frühere untere Militär- 
straße, jetzige Kricgsbergstraße hinreichend; wogegen Etzel die 
Area des jetzigen Bahnhofs hiezu vorschlug, ersterer gegen die 
Prag mit 1:165 Steigung, gegen Cannstatt 1:115 Gefall, 
den Rosenstein umfahrend, während Etzel damals schon das 
Rosensteintunnelprojekt aufstellte. Nach Cannstatt schlug Vlg- 
noles wegen der zu erwartenden großen Frequenz und der 
kurzen Entfernung einen atmosphärischen Betrieb vor und sprach 
sich — wenn nicht nach Ulm in der Richtung des Neckar- und 
Filzthales bei ebenfalls atmosphärischem Betrieb über Rampen 
von der Schimmelmühlc oberhalb Geislingen an bis zum 
Staighause 1:20 steigend und nach Ulm durch das Lehren 
thal 1:40 bis 1: 25 fallend gefahren werden wolle, (wobei er 
die Gradienten zwischen Cannstatt und Altenstadt bis zu 1 :200 
annahm, diese aber zwischen Altenstädt und der Schimmelmühle 
bei Geislingen bis zu 1:80 und 1 :75 steigerte und Kurven 
bis zu 1500' anwendete) — sowohl in baulicher, kommerzieller, 
wie strategischer Beziehung für die Richtung von Cannstatt 
durch das Rems- und Brenzthal bis Sontheim und weiter 
durch das Donauthal nach Ulm, ähnlich wie der von Bewohnern 
genannter Richtung beauftragte k. preuß. Ingenieur B eys e, aus. 
In der Richtung von Ulm nach Friedrichshafcn bezeichnete 
er ebenfalls die Linie über Biberach, Aulendorf durch den 
Schussendobel, Ravensburg nach Friedrichshafen, etwa nach der 
ausgeführten Richtung, dadurch die kolossalen Bühler'schen 
Bauten umgehend, schlug aber zugleich auch eine Linie durchs 
Blauthal über Ehingen ins Donauthal, über Rottenacker, Unter 
stadion gegen den Federsee Stunde an Buchau vorüber über 
Schussenried nach Aulcndorf und Friedrichshafcn vor. 
Von Stuttgart bis Ludwigsburg sprach sich Vignoles 
mit Etzel annähernd für die derzeitige Richtung aus, setzte sic 
gegen Thamm fort, wohin er den Abzweigungspunkt der West- 
und der Nordbahn legte, wählte für die Westbahn den Enz- 
übergang südwestlich von Besigheim, oberhalb der dortigen 
Sägmühle, projektirte hier einen Viadukt, den er selbst ein 
furchtbares Baucrk von 155' Höhe und 1800' Länge mit zehn 
Oeffnungcn nennt, zog die Trace dann gegen Illingen hin und 
hieß von hier an die v. Sccger'sche Trace gut. 
Für die Nordbahn gab Vignoles nur Andeutungen, erach 
tete es aber, insbesondere wegen eines Höhcunterschieds zwischen 
dem Abzweigepunkt bei Thamm und dem Enzthal mit 250', 
in Rücksicht auf Oekonomie geboten, von der Thammcr Ver 
bindung an gegen das Saubachthal eine geneigte Ebene anzu 
legen und diese mit einer besonderen Maschine mittelst des 
atmosphärischen Systems zu betreiben. 
Bezüglich des Oberbaues sprach sich Vignoles für ein 
Wasserdurchlassendes Schotterbctt, eingebettete Langschwcllen mit 
entsprechenden Querverbindungen zur Erhaltung des Parallelis 
mus und für sogenannte Brückschienen aus, welche an die 
Schwellen mittelst durchgehender Schraubenbolzen befestigt wer 
den sollten. 
Als Spurweite schlug er die bereits in Baiern angenom 
mene englische mit 4' 8 ‘/ 2 " engl. — 1 in. 436 vor. 
Oberbaurath Etzel erhielt nun sofort durch Erlaß vom 
12. Januar 1844 den Auftrag, die Entwürfe des Prof. Vig 
noles für eine Eisenbahnverbindung: 
1) von Stuttgart nach Cannstatt, 
2) von Cannstatt nach Eßlingen, und 
3) von Stuttgart nach Ludwigsburg und der Enz 
an der Hand des Berichtes zu prüfen, nothwendig erachtete 
Aenderungen und Ergänzungen vorzunehmen, hierüber Kosten 
voranschläge aufzustellen und über das.Ganze Bericht zu 
erstatten, auch sich über den Vorschlag Vignoles, wegen des 
für Stuttgart—Cannstatt :c. vorgeschlagenen atmosphärischen 
Systems zu äußern. 
Etzel reichte unter dem 15. Februar 1844 einen aus 
führlichen Vortrag ein, in dem er die verschiedenen Epochen 
des Eisenbahnwesens in Württemberg schilderte, die Resultate 
dieser Epochen neben einander stellte und die einzelnen Linien 
in finanzieller, staatswirthschaftlicher und technischer Beziehung 
eingehend besprach, sich gegen das atmosphärische System aus 
sprach und auf seinem Bahnhofprojekte und der Trace nach 
Cannstatt 1:125 fallend mit dem Tunnel unter dem Rosen 
stein beharrtc. 
Etzel und K n o l l äußerten sich über die Anlagekosten und 
Civilingenieur Klein den 7. März 1844 ausführlich in be 
triebstechnischer Beziehung, sowie über das Bctricbsergebniß, 
wobei er den Etzel'schen Projekten für genannte Bahnen entschie 
den den Vorzug gab, auch entschieden sich die Oberingenieure 
bezüglich des Oberbaues wie Ne grelli für das Querschwellen 
system mit Hacknägeln und Vignolesschienen, 3,15" hoch, per 
laufenden Fuß 14'/ 2 Pfd. schwer. 
Diese interessante Schrift ist unter dem Titel: „Die erste 
Sektion der Württembergischen Eisenbahnen" bei 
Metzler 1844 im Druck erschienen und hat bezüglich der 
! Bahnhofsituirung Stuttgart und der Cannstatter Trace heftige 
öffentliche Erörterungen und Polemik hervorgerufen, die ins- 
! besondere in der Schrift: „Beleuchtung des Stuttgarter Bahn- 
hosprojektes nebst einem technischen Gutachten des Civilingenieurs 
C. Fr. Zimpel von Prof. I. Mährten," welch Letzterer 
überhaupt in der Entwicklungsgeschichte unseres Eisenbahnwesens, 
zu dem er manche gesunde Anregung gab, eine wichtige Rolle 
spielte und auch wesentlich zur Berufung Vignoles und 
so zur Klärung der Wirren beitrug, Ausdruck fand. 
Der Anhang des Etzel'schen Berichtes behandelt diese 
Einwendungen kritisch. 
Durch höchste Entschließung Sr. K. Majestät vom 
13. März 1844 wurden die Etzel'schen Vorlagen für die 
Eisenbahnverbindungen zwischen Ludwigsburg und Stuttgart, 
Cannstatt und Eßlingen genehmigt und die höchste Zufrieden 
heit mit Etzel's Leistungen ausgesprochen. 
So wurde endlich, nachdem im übrigen Deutschland bereits 
281,,,, Meilen Eisenbahnen, besonders auch schon in den Nach 
barländern Baiern 16,, 2 Meilen und Baden 20,„ Meilen ge 
baut waren, durch die Verschleppung jedoch nichts versäumt, 
nur gewonnen worden war, im Juni 1844 zwischen Cannstatt 
und Eßlingen mit dem Bau begonnen, auch ging das Eisenbahn 
wesen am 27. September in die Verwaltung des K. Finanz 
ministeriums über. 
Während der Bauzeit wurden nach amerikanischem System 
Mustcrlokomotiven und Musterwagen jeder Gattung, die letz 
teren, wie heute noch üblich, mit durchgehendem Gang in der 
Mitte, in Amerika bestellt, und eine Maschincnwcrkstätte in Eß 
lingen und eine Wagenbauanstalt in Stuttgart angelegt. 
Lokomotiven und Wagen kamen auf dem Neckar in Cann 
statt an und wurde die Bahnstrecke Cannstatt—Eßlingen vom 
22. Oktober bis 20 November 1845 und die von Stuttgart 
nach Cannstatt und Ludwigsburg am 15. Oktober 1846 dem 
Betrieb übergeben. 
Während der genannten Bauten war Oberbaurath v. Etzel 
thätig mit den Vorarbeiten von Ludwigsburg und für die 
Westbahu an die badische Grenze, Oberbaurath v. Knoll vou 
Eßlingen aus über Göppingen, Geislingen über die Alb nach 
Ulm und von da nach Friedrichshafcn, wobei der damalige 
Inspektor des technischen Bureaus Abel, der jetzige Oberbau 
rath, sich wesentlich mit den Tracirungen beschäftigte und dem 
selben reicher Antheil an der jetzigen Linie zwischen Süßen— 
Geislingen und an dem Albaufgange, bei dem der Gradient 
1:45 gewählt wurde, wie auch in Oberschwaben an der Linie 
der Donau und dem Kuhbcrgc entlang gebührt, wogegen die 
Albabfahrt gegen Ulm mit 1:70 eine spätere Abänderung durch
	        

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