Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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Oeffentlichkeit zu wecken und so das vorhandene Material den 
jüngeren Generationen zugänglich und zum Gemeingut der 
Nation zu machen. 
In richtiger Erkennung dieses Bedürfnisses hat der Verein 
für Baukunde, auf Anregung seines Vorstandes, schon zwei 
mal Ausstellungen der Arbeiten seiner Mitglieder veranstaltet, 
die eine überraschend reiche Fülle gediegener Leistungen zu 
Tage förderten und die beweisen, daß sich Württemberg in 
der Bautechnik kühnlich mit andern Ländern inessen kann. 
Während vor 2 Jahren eine Ausstellung von Werken 
der Kirchenbaukunst stattfand, war es Heuer das Gesammt- 
gebiet des Jngenieurwesens, welches auf der Ausstellung 
in drei Sälen der Kgl. Baugewerkeschule in beu Tagen vom 
26. Mai bis 4. Juni vertreten war. 
Die Ausstellung wurde eröffnet durch eineu interessanten 
Vortrag unseres Vereinsvorstandes, Oberbaurath v. Schlier 
holz, über die „Entwicklung des württembergischen Eisenbahn 
wesens". Auf allgemeinen Wunsch ist in Beilage 7 die be 
sondere Veröffentlichung dieses Vortrags erfolgt. 
Ursprünglich nur auf 5 Tage berechnet, mußte die Dauer 
der Ausstellung auf allgemeines Verlangen noch um 4 Tage 
verlängert werden, um dein Andrang der zahlreichen Besucher 
zu genügen, bei denen nur Eine Stimme über die Bedeut 
samkeit und den praktischen Werth der Ausstellung herrschte. 
Seine Majestät der König schenkte während eines ein- 
stündigen Besuchs, geführt von unserem Vereinsvorstande, den 
ausgestellten Gegenständen seine Aufmerksamkeit und sprach 
seine allerhöchste Anerkennung sowohl über die Ausstellung als 
das Streben des Vereins aus. 
Seine Kgl. Hoheit Prinz Wilhelm würdigte gleichfalls 
die Arbeiten einer eingehenden Besichtigung. 
Sodann erfreute sich die Ausstellung des Besuchs der 
Herren Staats minister, einer großen Anzahl höherer Staats 
beamten und Abgeordneten, fast sämmtlicher hiesigen und vieler 
auswärtigen Vereinsmitglieder, die eingehende Studien machten, 
und vieler Techniker, Studirenden und Laien, die das In 
teresse an der Bauentwicklung unseres Landes herbeirief. 
Die Anzahl der Aussteller, deren Verzeichniß am Schluß 
des Berichts zusammengestellt ist, betrug 38 mit 540. Blatt 
Zeichnungen, 3 Tableaux, 29 Modellen und Konstruktionstheilen, 
sowie 56 Bänden mit Zeichnungen und ingenieurwissenschaftlichen 
Abhandlungen. 
In Folge der theilweise späten Ablieferung der einzelnen 
Arbeiten mußten dieselben nach den Namen der Aussteller ge 
ordnet werden, obgleich ein Rangiren nach den einzelnen 
Zweigen der Jngenieurwissenschaft deren vergleichendes Stu- 
diuin wesentlich erleichtert hätte. 
Uebersicht der ausgestellten Arbeiten. 
I. Kisenvaynvau. 
a. Geschichtliches. 
Beim Eintritt in die Ausstellung wird zunächst unsere 
Aufmerksamkeit auf die alten Plane und Schriftstücke gelenkt, 
die ein interessantes Bild der ersten Entwicklung unserer 
neueren Verkehrswege bieten und für deren mühevolle Samm 
lung wir unserem Vereinsvorstande zu besonderem Dank ver 
pflichtet sind. 
Da in dem, Beilage 7 gedruckten, Vortrage eine ein 
gehende Schilderung dieser Abtheilung gegeben ist, so können 
wir uns hier auf eine kurze Uebersicht beschränken. 
Das früheste Projekt zur Herstellung neuer Verkehrs 
wege stammt von Hauptmann Duttenhofer, der in den 
Jahren 1819—1828 den Entwurf zu einer schiffbaren Ver 
bindung der Häfen Cannstatt, Ulm und Friedrichshafen im 
Auftrag des höchstseligen Königs Wilheliu bearbeitete, ein 
Projekt, bei dessen Verwirklichung Stuttgart durch einen 
4 Stunden langen Wasserstollen mit dem Neckar verbunden 
worden wäre. 
Ebenso wollte Duttenhofer eine schiffbare Verbindung 
der fünf Städte Biberach—Waldsee, Ravensburg—Saulgau, 
Buchau mit Rhein und Donau herbeiführen, wovon interessante 
Pläne ausgestellt sind. 
Bald darauf aber wandte inan sich dem Eisenbahnbau zu. 
Von den ersten Bahnprojekten, die zu den frühesten in 
Deutschland gehören, sind vertreten: 
1) Ein Projekt von Hauptmann Duttenhofer vom 
Jahr 1835 für eine Bahnverbindung von Stuttgart und Ulin 
und zwar durch das Rems- und Brenzthal. Vor einem Alb 
aufgang scheute man sich noch zu einer Zeit, wo 1:150 als 
Maxiuialsteigung galt. 
2) Ein Projekt des ff Generalmajor v. Seeger, der die 
Linie Stuttgart—Cannstatt—Ludwigsburg—Heilbronn mit der 
Abzweigung Ludwigsburg —Vaihingen —Bretten und Ecken 
weiherhof—Enzberg in den Jahren 1838 und 1839 bearbeitete; 
seine für die dainalige Zeit überraschend schönen und praktisch 
ausgearbeiteten Plane und Norinalien enthalten auch heute 
noch mnstergiltige Einzelnheiteu. 
3) Das von Bauinspektor v. Seeger (jetzt Baurath in 
Hall) im Jahr 1841—42 verfaßte Projekt einer Pferdebahn von 
Ferthofen über Leutkirch—Jsnp—Wangen nach Friedrichshafen. 
4) Sehr zahlreiche Plane und namentlich Detailprojekte 
mit skrupulös pünktlicher Bearbeitung aus den Jahren 1838 
bis 1843 von dem ff Oberbaurath v. Bühler, der indeß in 
Folge mangelhafter Höhenaufnahmen und seiner imbedingten 
Anhänglichkeit an das englische System (möglichst lange Gera 
den und wenig Kurven) mit viel zu wenig Rücksicht auf die 
Terrainbeschaffenheit und darum viel zu theuer tracirte, wes 
halb auch seine mit großem Zeitaufwand' bearbeiteten Detail 
plane für Kunstbauten rc. später nutzlos werden inußten. 
Es folgen nun die Arbeiten von Prof. Charles Vig- 
noles und dem ff Oberbaurath v. Etzel im Jahre 1843, 
die beide eine rationelle Tracirung unserer älteren Bahn 
linien herbeiführten. 
Besonderes Interesse bieten die verschiedenen Projekte 
und Streitschriften über die Stuttgarter Bahnhoffrage, da hier 
Vignoles und Etzel auseinandergiengen, ersterer den Rosen- 
! steintunnel vermeiden und den Bahnhof an Stelle des jetzigen 
Stadtgartens rc. legen wollte, während Etzel für die aus 
geführte Linie eintrat. Unter den Streitschriften, die ebenfalls 
in der Ausstellung vertreten waren, sind besonders diejenigen 
des ff Prof. Mährlen zu erwähnen, der vorzugsweise das 
Etzel'sche Bahnhofprojekt bekämpfte, im übrigen aber für die 
Entwicklung des württembergischen Eisenbahnnetzes in vieler 
Beziehung verdienstlich wirkte. 
An dem Bau der ersten Linien arbeiteten gemeinsam mit 
Carl v. Etzel die ff Oberbauräthe v. Knoll und v. Gaab. 
i Leider sind von letzteren nur ganz spärliche Stücke in der Aus- 
! stellung vertreten. 
b. Tracirung. 
Die ausgestellten Bühler'schen Plane lassen erkennen, 
daß derselbe seinen Arbeiten keine systematischen Höhenauf 
nahmen zu Grunde legte; bei Seeger treten letztere schon 
in Längennivellement und Querprofilen auf, auch wußte er 
seinen Karten plastisches Relief durch topographische Behand 
lung mit Sepia zu geben. Die Aufnahme vollständiger Höhen 
netze durch Nivellement einer großen Zahl einzelner Höhen 
punkte auf der Tracirungsfläche zeigen aber erst die Plane 
von Vignoles und Etzel und dadurch konnte allein ein syste 
matisches Traciren ermöglicht werden. 
Der letzte Schritt zur rationellen Darstellung des Terrain 
reliefs, nemlich die Aufzeichnung der Horizontalkurven 
wurde aber nur sporadisch gethan, so z. B. von Etzel, zur 
Bestimmung der Richtung des Pragtunnels. 
Erst die neueren Tracirungsarbeiten der Oberingenieure 
v. Morlok, v. Abel und v. Schlierholz zeigen die voll 
ständige Verwerthung der Horizontalkurven und die Anwen 
dung rationeller Aufnahmemethoden zur'Herstellung der Kurven-
	        

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