Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1877)

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Die äußere Form und Größe dieses Dampfwagens ist 
ähnlich den gewöhnlichen Wagen; der Bewegungsmechanismus 
ist nicht sichtbar, sondern durch eine Umhüllung verdeckt; nur 
oben ist durch eine unbedeutende Erhöhung das Kamin bemerklich. 
Wenn die Fahrgeschwindigkeit nicht zu sehr gesteigert wird, 
und der Führer des Wagens bestrebt ist, alles Lärmende thun- 
lichst zu vermeiden, so dürfte der Verwendung dieser Dampf 
wagen auf breiten Straßen mit mäßigen Steigungen wie sie 
in Brüssel vorhanden sind, kein wesentliches Hinderniß im 
Wege sein. 
Im Jahr 1876 wurde der Dienst mit 85 Wagen und 
13 Omnibußeu versehen, wobei die Wagen in Zeiträumen von 
10 zu 10 Minuten abfahren. 
Ebenso ist Brüssel gegenüber mancher andern Stadt reich 
lich mit Pissoirs versehen; es sind deren im Jahr 1876 nicht 
weniger als 214 aufgestellt gewesen. 
Ihre Grundform entspricht aber mehr der französischen 
namentlich Pariser Form, 'als den bei uns gebräuchlichen; auch 
die Aufstellungsorte sind zweckmäßig und so gewählt, daß man 
sie leicht findet und nicht zu suchen braucht. Das Material 
ist in der Regel Gußeisen oder starkes Blech. 
Eine einfache Form für eine Person, findet man auf den 
Trottoirs der engen Straßen, an der Mauer eines Gebäudes 
befestigt, ohne alle und jede Verdeckung (siehe Figur 1.) Eine 
nahezu ähnliche Form nur etwas größer und zugleich als 
Gaskandelaber dienend, haben die vor dem Nordbahnhofe 
aufgestellten (Figur 2); die sie benützenden Personen stehen mit 
den Füßen außerhalb des hohlen Raumes, und lehnen sich 
mit dem Oberkörper gegen das Innere. 
Eine dritte Form für mehrere Personen und mit einer 
Umrahmung versehen, findet man auf breiteren Trottoirs eben 
falls an die Wandungen von Gebäuden angelehnt; theilweise 
halbkreisförmig abgeschlossen mit einer Oeffnung in der Mitte, 
theilweise geradlinig abgeschlossen, und mit Ausgängen an bei 
den Schmalseiten (Figur 3 und 4). 
Die Rückwand ist aus Schieferplatten, die Umrahmungen 
aus Eisenblech ausgeführt. — 
Die bei uns übliche Schneckenform habe ich nicht zu sehen 
bekommen. 
Auch an andern gemeinnützigen Einrichtungen, welche zur 
Erleichterung des öffentlichen Verkehrs und zur Bequemlichkeit 
des Publikums dienen, geschieht in Brüssel vieles; hieher ge 
hört beispielsweise die Aufstellung von 98 elektrischen Uhren 
an öffentlichen Plätzen, deren im Ganzen mit den bei Privaten 
aufgestellten 112 vorhanden sind, wovon 46 in den städtischen 
Etablissements funktioniren. 
Eine ebenfalls zweckmäßige Einrichtung ist die Aufstellung 
von Briefkästen auf den Straßen am Rande der erhöhten 
Trottoirs, sie bestehen aus einem hohlen gußeisernen Cylinder 
mit 1,85 in. Höhe und 0,4 in. Durchmesser, auf einem massiven 
halbkugelförmigen Sockel ruhend; die Oeffnung zum Einwerfen 
der Briefe ist auf der Höhe von 1,3 bis 1,6 in. gegen das Haus 
gerichtet und ziemlich groß, so daß auch Journale und andere 
Drucksachen eingeworfen werden können, die Oeffnung zum Ent 
leeren durch den Postbeamten ist auf der Straßenseite gegen 
unten. 
Das ganze Objekt ist architektonisch gegliedert, und hat 
ein freundliches Aeußeres. 
Uebergehend zu der Kanalisation Brüssels so stehen oben 
an die Arbeiten zur Regulirung und Ueberbrückung der Senne, 
welche einen unbedeuteuden Nebenfluß der Schelde bildend, so 
ziemlich mitten durch die Stadt fließt. 
Einem kurz gefaßten Auszug ans einer Broschüre, welche 
die Arbeiten an der Senne und an dem Dohlennetz im Allge 
meinen bespricht, und auf Anordnung des Kollegiums anläßlich 
des Medicinalkongresses im Jahr 1875 herausgegeben wurde, 
sind die nachstehenden Notizen entnommen. 
In Brüssel nehmen die Dohlen nicht nur das Negen- 
und Verbrauchswasser, sondern auch alle Fäkalstoffe, sowohl in 
flüssigem und festem Zustande auf; die vor einem Vierteljahr 
hundert noch üblichen Abtritt- und Senkgruben sind bedeutend 
reducirt worden durch die Anlage von Kanälen, welche zur Be 
seitigung der Verutireinigung des Bodens erstellt wurden. 
Die Einführung der Fäkalstoffe mußte aber das Wasser 
der Senne sehr verunreinigen und zur Ablagerung schädlicher 
Stoffe umsomehr Anlaß geben, als die Senne mit ihrem sehr 
gekrümmten und unregelmäßigen Lauf auch noch durch Mühlen, 
Dämme und andere Hindernisse, verengt war. Bei trockener 
Jahreszeit, wo die sekundlich abzuführende Wassermasse auf 
1 bis 2 Kubikmeter heruntergieng, war das Flußbett eine offene 
Kloakgrube, während bei Hochwasser wo die Wassermenge auf 
60 ja manchmal auf 100 Km. angewachsen, die Dohlen der 
tiefer liegenden Stadttheile überschwemmt wurden, das Wasser 
in die Souterrains der Gebäude eindrang, und eine große Menge 
Schlamm zurückließ. 
Dieses kam nicht nur beinahe jeden Winter, sondert! auch 
Sominers bei starken Gewitter-Regen vor; öfters verursachten 
diese Hochwasser sehr verderbliche Ueberschwemmungen, was 
namentlich im Jahre 1850 der Fall ivar; das Wasser stieg in 
-den niedrigen Stadttheilen etwa 2,0 m. über die Höhe der 
Straßen, und zuletzt bildeten sich zwischen den Zusammenläufen 
der Flußarme enge Gäßchen ohne Luft und Licht, in welchen 
sich die ärinste Klasse der Bevölkerung zusammendrängte. 
Heutzutage sind diese engen Sträßchen und Flußarme ver 
schwunden, und an deren Stelle Boulevards und breite Straßen 
getreten. 
Der korrigirte Fluß ist von Brüssel abwärts bis zur 
Grenze der beiden Provinzen Brabant und Antwerpen von 
jedem Hinderniß befreit, und innerhalb der Stadt auf eine 
Länge von 2151 in. in einer Weise überwölbt, daß das größte 
Hochwasser keine Ueberfüllung verursacht. 
Zudem sind auch die Dohlen von der Senne getrennt und 
kann das Flußwasser nicht mehr in dieselben eindrängen und 
sie überfüllen. Dabei sind auch die neuen Straßen so hoch 
gelegt worden, daß sie gegen Ueberschwemmungen vollständig ge 
schützt sind; ausgenommen nur sind noch einzelne kleine Parthieen 
der älteren Stadt, welchen aber in nicht zu ferner Zeit durch 
Erhöhung der Straßen-Visiere geholfen werden wird. 
Die in den Jahren 1867 bis 1875 zur Ausführung ge 
kommenen Arbeiten, welche speciell für die Verbesserung der 
sanitären Verhältnisse ausgeführt worden, sind: 
1) der Abbruch von 1100 Häusern in der Altstadt. 
2) Ueberwölbung der Senne auf 2151 m. Länge, und An 
lage von Boulevards auf dieser Ueberwölbung. 
3) Herstellung von Sammelkanälen in einer Länge von 
17,775 m. 
4) Ausführung von 7 größeren Kunstbauten zur Durch 
führung der Sammelkanäle unter den verschiedenen Armen 
der Senne und unter dem Kanal Charleroi. 
5) Herstellung von Kunstbauten beim Zusammentreffen 
der Sammelkanäle mit einigen Bächen außerhalb der Stadt. 
6) Reinhaltung des Untergrundes und Auffüllung der tief 
gelegenen Arme der Senne innerhalb der Stadt. 
7) Herstellung von 5600 m. gewöhnlicher Kanäle mit 
2,0 m. Höhe und 1,33 in. Weite. 
8) Aufstellung von Pumpen und Dampfmaschinen zur 
Wasserbeseitigung. 
9) Einrichtung einer Reinigungsvorrichtung für die Sam 
melkanäle mittelst Wagen. 
10) Arbeiten für den Schutz der Stadt und der unter 
halb liegenden Ortschaften gegen Ueberschwemmungen. 
Die Gesammtkosten belaufen sich incl. Grundepwerbungen 
auf 27 Millionen Franken. 
Als die wichtigeren Bauwesen können aufgeführt werden: 
a) die Ueberwölbung der Senne und die Anlage der 
Sammelkanäle (siehe Zeichnungsbeilage 2). 
Diese erstreckt sich von der großen Schleuße bei dem Bou 
levard du Midi entlang des Boulevard du Haenant, du Central 
und de la Senne bis zum Boulevard d'Anvers, von wo aus 
die Senne wieder offen abfließt.
	        

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