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Beil. 2 zur 5. Versammlung, mit einer Zeichnungsbeilage.
Vortrag, gehalten am 2r: März 1879.
l) Wotizen, gesammelt auf einer Weise nach Belgien und Gngtand
von Professor Laijsle.
Der nächste und billigste Weg nach Belgien geht über
Straßburg und Metz, nicht mehr über Köln.
In Straßburg ist die neuere Pferdebahn zu erwähnen nach
dem System Demerbe mit einer Art Zoresschiene ohne Holz
(s. Beil. 4 Fig. 1 und 2).
Die große Auflagerbreite der Schiene zeichnet sie vortheil-
haft vor der Stuttgarter Konstruktion aus; der weitere Vorzug
liegt darin, daß die Spurkranzrinne in der Schiene liegt und die
Pflastersteine sich leicht und direkt anschließen. Dies scheint mir
ein Profil der Zukunft. Die Bahn wird mit Lokomotiven be
trieben und werden die Resultate sehr günstig geschildert. (In
Rouen ist es ebenso; die Maschine sieht wie eine Schildkröte aus.)
In Metz interessirt uns der neue Bahnhof. Erbauer:
Baudirektor Sch übler in Straßburg und Architekt Professor
Jacobs that in Berlin.
Die Station ist Kopfstation für 5 Bahnrichtungen: Straß
burg—Lauterburg—Metz; Luxemburg—Metz; Frouard—Metz;
Forbach—Metz und die direkte Bahn nach Paris über Verdun.
Jeder Perron dient als An- und Abfahrt für die 4 Haupt
richtungen Straßburg, Luxemburg, Frouard und Forbach, das
fünfte Geleise für Verdun liegt südwestlich an der offenen Seite der
Halle. Die Wartsäle und Kassen liegen am Kopf der Geleise;
2 Seiten- und 1 Zwischenperron (Zungenperron) führen zu den
Geleisen. Das Ganze ist mit zwei gekuppelten Hallendächern
überdeckt, die sich seitlich an die Verwaltungsgebäude anschließen,
welche die Post, Betriebsinspektion, Eilgutsexpedition und in den
oberen Räumen Wohnungen enthalten.
Baukosten: Gebäude 24,5 M. pro kbm (Höhe vom Boden
des Erdgeschosses bis zur Dachpfette gemessen), der mm Grund
fläche (erd. Halle) 190 M.; Kosten der Halle 47 J(. pro Om.
Der Grundriß der Gebäude ist für das Publikum äußerst
bequeni und für den Betrieb sehr übersichtlich, man könnte etwa
nur das zu große Ausgangsvestibul tadeln.
Die Halle, ca. 150 m lang, 48 m breit*), zeigt eine sehr
einfache Konstruktion, Stichbogen mit Zugband auf eisernen
Säulen, theils mit Glas, theils mit Blech gedeckt.
Die Architektur der Gebäude hat mir weniger gefallen, sie
erscheint schwer und festungsartig, wogegen die Halle im Innern
eine sehr gute Wirkung gibt.
In Metz herrscht sehr wenig Sympathie für Deutschland;
eher das Gegentheil; die Stadt sieht durchaus französisch aus,
das Pflaster ist schlecht, die Pferdebahn scheint nach dem System
von Antwerpen angelegt zu sein, nur sind die Schwellen durch
schmiedeiserne Platten ersetzt.
In Luxemburg habe ich außer den kühnen Viadukten (für
die Straßen) über das 60 m tiefe Thal der Alzette und den
kühnen Kurven der Pferdebahn (s. Fig. 3) nichts Interessantes
bemerkt, es wäre denn die unverständliche deutsche Sprache.
In Belgien fällt sofort angenehm auf, daß mit beinahe
allen Ziigen Wagen 3. Klasse gehen, was für die nicht mit
Freikarten und nur mäßiger Reiseentschädigung versehenen Tech
niker stark ins Gewicht fällt.
Die Bahn nach Brüssel führt über die Ardennen, die
Gegend ist rauher und wilder als der Schwarzwald, die Bahn
unterhaltung und Entwässerung höchst mangelhaft, Gräben fehlen,
weniger Schotter umgibt die Schwellen, deren Dicke 8—10 cm
betragen mag, jedoch fahren zwei Schnellzüge über die Strecke.
Man konimt an den Marmorbrüchen vorüber, deren Material
in Brüssel vorzugsweise verwendet wird. Die schöne Stadt
Brüssel ist durch den Vortrag von Herrn Baurath Kaiser be
kannt. Die drei Hauptbahnhöfe sind durch eine Ringbahn mit
einander verbunden, Luxemburg ist durchgehende Station, Midi
und Nord aber sind Kopfstationen. Letztere hat eine dreischiffige
Halle, die Perrons wie in Metz, die Wartsäle liegen aber auf
der Langseite und muß man zuni Einsteigen nach Antwerpen
und Löwen den Kopf umgehen oder über die Geleise schreiten,
was nicht erlaubt ist, aber doch von Vielen geschieht.
Die Tramways werden gegenwärtig auf dem Boulevard
central nach dem System Demerbe umgelegt. Die Pflasterung
der neu'eren Straßen entspricht ungefähr den Stuttgarter neueren
Straßenanlagen, prismatische Steine, 15/10 und 15 ein dick,
liegen auf Sand und einer Schichte Ziegelbrocken. Die Trottoirs,
meist Kalksteinplatten auf gestampftem Sand in Mörtel versetzt oder
auch sogenannte Platines, letztere sind nicht sehr eben, an einzelnen
nicht bebauten Stellen ist das Trottoirpflaster auf den Boulevards
sehr rauh und schlecht. In den Boulevards hie und da Asphalt
comprimee, aber nicht sehr häufig.
Gerüste zum Ausführen der Gebäude fehlen gewöhnlich
und sind statt dessen hohe Krahnen mit Ausleger vorhanden, die
auf einem Schienengeleise sich bewegen und durch Dampfmaschinen
getrieben werden.
In Antwerpen ist gegenwärtig ein Bauwerk in Aus
führung, das an Großartigkeit wohl einzig dasteht, nemlich die
neue Quaianlage. Das in einer Länge von ca. 3 Kilometer
längs der Stadt sich hinziehende Scheldeufer soll in eine regel
mäßige Linie gebracht und der theilweise schmale Quai in einen
Boulevard verwandelt werden, einestheils um mehr Quailänge
zum Anlanden der Dampfer zu erhalten und um dem Versanden
des Flusses entgegenzuarbeiten. Die neue Uferlinie fällt theils
weit herein in den Fluß, theilweise sind ganze Häuserquartiere
abzutragen. Die Differenz zwischen Ebbe und Fluth beträgt ca.
4'/z m. Der Untergrund ist auf große Tiefe Schlamm. Man
wendet deshalb zur Fundirung das pneumatische Verfahren an.
Die Caissons sind circa 20 m lang, 8 m breit, 3 m hoch, wie
gewöhnlich mit Einsteigschächten und Schleusen koustruirt; eine
Verschiedenheit gegen die sonst üblichen Methoden besteht aber
in der Ausführung des Mauerwerks auf den Caissons, das in
besonderen eisernen Fangdänmien bewerkstelligt wird, die auf den
Caissons befestigt sind. Zum Herablassen von Caissons und
Fangdämmen dient ein auf Pontons montirtes eisernes Gerüst.
Nach Vollendung eines Mauerstücks bis über Hochwasser wird
der Fangdamm abgehoben und nach der nächsten Baustelle ver
schifft.
Bis jetzt ist die neuere Fundirung noch nicht probirt, die
Unternehmer sind selbst ängstlich bezüglich der Dichtigkeit zwischen
Caisson und Fangdamm, die einzelnen Mauerstücke erhalten
einen kleinen Abstand von ca. 50 cm, der durch Pfahlrost und
Beton unter Niederwasser gefüllt werden soll, um Auswaschungen
zu vermeiden.
An die Quaianlage schließt sich der neue Stadttheil an, der
an Stelle der abgebrochenen Citadelle du Sud ausgeführt worden
ist, in einer Ausdehnung von ca. 1 iQ Kiloin. Für den Stutt
garter ani Interessantesten ist zunächst der Umstand, daß sämmt
liche Straßen und Trottoirs, Pflasterungen, Kandel und Ent
wässerungskanäle, theilweise auch die Gasleitung, fertig sind,
obgleich kaum ein Dutzend Gebäude auf der weiten Fläche steht,
sodann fällt auf, daß nur ausnahmsweise die Straßen sich unter
rechten Winkeln schneiden. Es rührt dies daher, daß man zu-
*) Stuttgart hat 2 Hallen ä 188 m lang, 32 m breit.