Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1879)

25 
4 
nächst die Hauptverkehrsrichtungen: Ringstraße, Boulevard des 
Arts, du Commerce, zum Südbahnhofe, Verbindung der Stadt 
mit dem nächsten Festungsthore (Nouvelle Porte de Boom), 
Richtung Place verte—Südbahnhof und andere festgestellt, und 
die hiedurch sich ergebenden unregelmäßigen Vierecke mit Straßen 
nach dem Rechtecksystem ausgefüllt hat und ist dies in einer 
Handelsstadt, wo die Verkehrsinteressen vorherrschen, gewiß das 
richtige System. 
Man will die Anlage dadurch noch besser mit der Stadt 
verbinden, daß die ruelle du Livre erbreitert wird, es gibt das 
eine fast gerade Verbindung der Cathedrale (Stadtmittelpunkt) 
mit dem Südbahnhof.*) 
Das in dem neuen Stadtviertel liegende Bassin cku Bate- 
lage, das eben mit der Einfahrtsschleuße in Ausführung be 
griffen ist, dient der Binnenschifffahrt, während der neuere Quai 
den Personenverkehr (Dampfschiffe), die alten Bassins**) den aus 
wärtigen Güterverkehr aufzunehmen haben. 
Antwerpen muß große Anstrengungen machen, seine Ein 
richtungen zu verbessern, weil ihm in Vlissingen (Holland), das 
an der Mündung der Schelde liegt, ein starker Conkurrent er 
wachsen könnte. 
Antwerpen enthält noch viel Sehenswürdiges für Ingenieure 
und Architekten: Aeußere Boulevards, Park, Kathedrale, Bahn 
hof bei den Bassins, der Besuch der Stadt, der bei jetzigen 
Verkehrsmitteln gar nicht theuer, ist dringend zu empfehlen. 
Von Antwerpen gehen viele Schifffahrtslinien nach England, 
wöchentlich ein Boot nach Edinburg und Hüll, ich wählte letztere 
Route mit 30 Stunden Fahrzeit, wovon 6 Stunden in der 
Schelde. 
Hüll ist bedeutende Handelsstadt, hat aber keine Docks. 
Die Schiffe sitzen bei Niederwasser vor den Quais auf Grund 
und legen sich auf die Seite. 
Meine Reise ging erst nördlich nach Jork und Edinburg, 
dann über Glasgow nach Liverpool mit Abstecher an die schotti 
schen Seen, sodann nach Birmingham, London und über New- 
hafen und Dieppe nach Paris. 
Spezieller studirt habe ich in England nur den Straßenbau, 
das Uebrige nur im Vorbeigehen angesehen, ich muß mich deshalb 
darauf beschränken allgemeine Eindrücke zu schildern. 
Ein guter Führer in England ist Bädekers London, das 
die Beschreibung der wichtigsten Städte des Landes enthält; die 
Angaben sind wie sonst im Bädeker zuverlässig. Das Land ist 
im Allgemeinen gut angebaut, auch im Norden, einzelne Bäume 
oder Baunigruppen in den Feldern vertheilt, geben einen freund 
lichen Anblick, das Leben ist nicht so theuer, wie man immer 
glaubt, in den Gasthöfen selbst kleiner Städte herrscht großer 
Comfort. Man fühlt sich bald zu Hause, obgleich so manches 
fremdartig erscheint (Kost, Sprache, Rauchen, Trinken). 
Eigenthümlich ist die Einrichtung der Eisenbahnen in mannig 
facher Beziehung. Von jeder größeren Stadt zur anderen gibt 
es fast immer 2 oder 3, verschiedenen Gesellschaften gehörige, 
Bahnlinien, entweder von verschiedenen oder vom selben Bahnhof 
ausgehend. Die Geleiseanlagen der Bahnhöfe werden hiedurch 
sehr complicirt, so daß man bald darauf verzichtet, sie eingehend 
*) Einen Plan des neuen Quartiers s. Hannover'sche Bauzeitung, 
Jahrgang 187k. 
**) In den Bassins ist der Wasserstand constant Fluthhöhe, die 
Schiffe können nur zur Fluthzeit ein- und aussahren, Schleusten sind nicht 
vorhanden. 
zu studiren, so verwirrt sind die Anlagen. Um so mehr kontrastirt 
aber hiemit die Art der Handhabung des Betriebs; Keine Wart 
säle, kein Glockensignal, keinerlei Ankündigung der Abfahrt. Man 
überläßt es dem Reisenden, sich zurecht zu finden, dasselbe gilt 
beim Verlassen des Zugs. Es werden zwar die Namen der 
Stationen ausgerufen, aber wer mag das verstehen, auf die Wech 
selstation macht man ebenso wenig aufmerksam, kein Oeffnen der 
Thüre, keine Aufforderung, nach der oder jener Richtung aus 
zusteigen. Man findet sich trotzdem bald zurecht. Die von 
Hallen überdeckten Perrons tragen meist Tafeln mit Bezeichnung 
der Zugsrichtung, an den Wagen hängen Tafeln des Bestimm 
ungsorts, die Stationsnamen stehen an jeder Bahnhoflaterne 
eingeschrieben, während die Aufschriften an den Stationsgebäuden 
durch die Masse Plakate unkenntlich sind, auf Anfragen wird 
der Wagen gezeigt, in den man einzusteigen hat. Die Billet 
kontrolle erfolgt in der Station, auf Hauptstationen vor der 
Abfahrt oder Ankunft, auf Zwischenstationen nur beim Verlassen 
des Bahnhofs. Das Reisen wird sehr dadurch erleichtert, daß 
viele Züge verkehren und fast mit jedem Zug, auch den Schnell 
zügen, Wagen dritter Klasse benützt werden können. Das Fehlen 
der Wartsäle wird dadurch verbessert, daß überall bedeckte Hallen 
vorhanden sind, auch auf den kleinsten Stationen. Man genirt 
sich nicht, die Hallen nach Erforderniß gekrümnit (in 8-Curven) 
anzulegen, so in Jork, Newcastle rc. Die Hallen sind mit einer 
oder mehreren Oeffnungen mit Säulenstellungen in Newcastle 
wie in Metz gebaut, so daß mau sich leicht zurecht findet, nirgends 
habe ich getrennte Hallen wie in Stuttgart gesehen. Die Rei 
senden dürfen nie Geleise überschreiten, es sind entweder die 
Perrons als Zungenperrons angeordnet, so daß jeder vom 
Vestibül aus direkt zu erreichen ist, oder führen Brücken oder 
Tunnels zu den Zwischenperrons. Die Perrons sind verhält- 
nißmäßig schmal, 3 höchstens 5 m, auch nicht lang, da die Züge 
meist kurz sind. Auf Hauptstationen trifft man häufig Fahr 
straßen für die Cabs in der Halle längs des Ankunftsperrons. 
Die Einfahrt der Cabs erfolgt entweder unter dem Geleise 
durch oder auf Brücken zum Geleise herab (Edinburg). 
Die Hallenkonstruktionen sind sehr mannigfach, selten schön, 
haben eine bis drei Oeffnungen, da und dort auch Querdächer. 
Bei manchen Bahnhöfen sieht man, daß schon beim Traciren 
der Bahn Rücksicht auf bequemes Ueberschreiten der Geleise ge 
nommen worden ist. 
In Birmingham betritt man vom Vestibül aus auf wenigen 
Stufen eine Brücke, welche die Halle quer durchschneidet und 
mittelst Treppen auf die acht Perrons herabführt. Eine Tafel 
am Eingang, unter der man durchschreitet, belehrt, von welchem 
Perron aus der nächste Zug nach bestimmter Richtung fährt; 
die Perronnummern werden in der Tafel nach Bedarf gewechselt. 
Auf engstem Raum ist möglichst viel undso über 
sichtlich als möglich, sowohl für Publikum als für 
die Verwaltung untergebracht. 
Für das Gepäck sind nur kleine Räume zum Aufbewahren 
(Bareeis) und noch kleinere zum Einschreiben vorhanden, da 
letzteres in der Regel gar nicht vorkommt. 
Daher die kleinen winkligen Bahnhofgebäude, die streng 
genommen Nichts enthalten, als Vestibül, Kassen, kleine Wart 
zimmer für Damen, Zimmer fiir den Bahnhofvorstand, schlechte 
Restaurationen und Aborte. In größeren Städten kommt als 
Annehmlichkeit für den Fremden hinzu das Bahnhofhotel, elegant 
eingerichtet, comfortabel und zu mäßigen Preisen. 
Vortrag, gehalten am 1. März 1879: 
2) über die Konstruktion der städtischen Straßen und Pferdebahnen 
von Professor Laisjle. 
In gegenwärtiger Zeit, wo der Eisenbahnbau offenbar mehr 
und vlehr in den Hintergrund tritt, zeigen sich überall Bestre 
bungen, die Straßen überhaupt, und namentlich städtische 
Straßen, denen immer größere Verkehrsmengen zufallen, auf 
einen höheren Grad der Vollkommenheit zu bringen und habe 
ich aus Anlaß der Bearbeitung eines Kapitels über Straßenbau
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.