Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1881)

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diesem, sowie dem weiteren Grunde, weil einein Mittelschiff- 
gewölbe jederseits zwei Seitenschiffgewölbe entsprechen, für jedes 
Hauptjoch zweierlei Pfeiler nöthig hat, wovon die einen Haupt- 
pfeiler genannt, fiir die Aufnahme von Mittelschiff und Seiten 
schiffgewölben und die anderen Zwischenpfeiler genannt, blos 
für die Aufnahme von Seitenschiffgewölben dienen. Die nun 
folgenden weiteren Verbesserungsversuche gehören der, in Frank 
reich schon um 1160, in Deutschland aber erst um 1200 be 
ginnenden Epoche des romanischen Uebergangsstiles an, und 
haben zunächst zu den sog. sechskappigen Kreuzgewölben geführt, 
welche zwar die Zwischenpfeiler für das Tragen der Mittel- 
schiffsgewölbe ebenfalls mit in Anspruch nahmen, aber unter Her 
beiführung so erheblicher neuer Mißstände, daß man dieses System 
nach längerer Uebung wieder aufgab und schließlich versuchte, das 
romanische Rippengewölbe auch für oblange Gewölbefelder von 
beliebigen Seitenverhältnissen brauchbar zu machen. Einige wenige 
von diesen Versuchen gingen darauf aus, die über den kürzeren 
Leiten befindlichen aber ebenfalls halbkreisförmigen Schildrippen 
auf gleicher Basis mit den übrigen Rippen beginnen zu lassen 
(Dom in Trient), doch erhielt dadurch das Mittelschiffgewölbe 
wieder zu sehr den Charakter eines Tonnengewölbes mit allen 
seinen Mißständen. Besser gelangen die andern Versuche, bei 
welchen die halbkreisförmigen Schildrippen so stark gestelzt wurden, 
daß ihre Scheitel in die gleiche Höhenlage kauien wie die 
Scheitel der Querrippen. An Gewölben solcher Art war nur 
noch die durch die Stelzung herbeigeführte Hinterschneidung der 
Diagonalrippen auf Seiten der schmalen Gewölbkappen unerwiinscht, 
während andererseits bei einem ungefähren Längen- und Breiten- 
Verhältniß der Mittelschiff-Gewölbfelder wie 2:3, wegen des 
Hinwegfalles der Zwischenpfeiler, unter sonst gleichen Umständen, 
weniger und für die Gewölbanlage gleichmäßiger in An 
spruch genommene Pfeiler nöthig wurden, als bei quadratischen 
Rippengewölben und somit eine gleichmäßigere Vertheilung des 
Seitenschubes stattfand. Die Stelzung und damit auch die 
Hinterschneidung hätte in mathematisch korrekter Weise durch eine 
ellyptische Schildrippe vermieden werden können, da aber ellyp- 
tische Bögen wegen ihrer überall verschiedenen Krümmuugsver- 
hältnisse durchaus verschiedene und je für ihre Stelle besonders 
geformte Bogenquader erheischt hätten, so zog man Spitzbögen 
vor, womit der beabsichtigte Zweck auf eine viel bequemere Weise 
und ohne nennenswerthen Nachtheil ebenfalls erreicht wurde. 
Fast gleichzeitig drängte sich den Baumeistern im Anfang des 
13. Jahrhunderts die Wahrnehmung auf, daß nian unter An 
wendung des Spitzbogens nicht nur für die Schildrippen, sondern 
auch für die Querrippen dieselbe Scheitelhöhe erreichen könne, wie 
für die halbkreisförmigen Diagonalrippen, wonach man bei diesen 
oblongen Rippeugewölben die Höhe der Mittelschiffhochmauern 
fiir die Fensteranlage und die Erhellung des Innern ebenso aus- 
niitzen konnte, wie bei Kreuzgewölben römischer Art, während 
bei jenen der Seitenschub nicht halb so groß und auf mehr 
Punkte vertheilt ist als bei diesen. Von 1220 an waren solche 
Gewölbe in Frankreich allgemein und von 1250 an auch in 
Deutschland herrschend; damit ist die dritte Etappe in der Geschichte 
der mittelalterlichen Gewölbarchitektur und überhaupt das Höchste 
erreicht, was bis auf den heutigen Tag in der Gewölbetechnik zu 
Tage gefördert worden ist. Kreuzgewölbe mit halbkreisförmigen 
oder spitzbogigen Diagonalrippen und mit spitzbogigen Schild und 
Querrippen, alle mit gleicher Scheitelhöhe, sind aber nichts anderes 
als gothische Gewölbe, deren zwingende Konsequenzen noch 
vor dem Eintritt der Mitte des 13. Jahrhunderts die volle 
Gothik entwickelt und groß gezogen haben. Die stufenweise Er 
zielung dieses Gewölbsystems war das Werk der romanischen 
Baukunst; die überaus rationelle Ausnützung seiner Konsequenzen 
aber, und die scharfsinnige Anwendung seiner Grundgedanken auf 
die mannigfaltigsten Grundformen und Raumgestaltungen, ist das 
Verdienst der gothischen Architektur. 
Der Vorsitzende dankt Namens der Anwesenden dem Redner 
für seinen lehrreichen Vortrag und schließt hierauf die Ver 
sammlung. Der Schriftführer: 
S e e g e r. 
I-ünfle ordentliche Versammlung am 5. März 1881. 
Vorsitzender: Oberbaurath v. Schlierholz. 
Schriftführer: Baumeister Canz. 
Anwesend: 15 hiesige und ein auswärtiges Mitglied. 
Der Vorsitzende begrüßt das auswärtige Mitglied Herrn 
Bauinspektor Ruff von Hall und das neu eingetretene Mitglied 
Herrn Baumeister Gausser und macht sodann Mittheilung über 
die eingegangenen Einläufe. 
Eingelaufen ist ein Schreiben vom Hamburger Verein, 
betreffend die Haftpflicht der Architekten und Ingenieure. Rach 
früheren Beschlüssen des Verbandes hättet! die Einzelvereine bis 
l. Februar 1881 ihre Vorschläge in dieser Sache einzubringen. 
Der Hamburger Verein bittet um Zustellung der in Würt 
temberg seither in dieser Sache geltenden Rechtsgrundsätze. 
Der Vorsitzende möchte diese Frage an eine Commission 
verwiesen haben, und schlägt vor, den Herrn Oberbürgermeister 
v. Hack zu ersuchen, an der Commission theilzunehmen; es wird 
jedoch bemerkt, daß derselbe krank sei, daher ein Jurist um ein 
Gutachten ersucht werden solle (siehe hinten Ansschußsitzung vom 
6. August). 
Eine weitere Zuschrift betrifft die Ausdehnung des preuß. 
Volkswirthschaftsraths auf das Reich und die Theilnahme von 
Technikern an demselben. 
Es wird um Aeußerung der Einzelnvereine in dieser Sache 
gebeten. 
Zur Beantwortung der Frage ivird eine Commission vor 
geschlagen bestehend aus den Herrn v. Egle, v. Ehmann, 
Hettich, Dobel, Leibbrand. 
Baurath G ü n t t e r gibt nun Mittheilungen über den 
Ban der gewölbten Ermsbrücke in Neuhausen O.A. Urach. Die 
Brücke ist mitten in einer belebten Ortschaft gelegen und konnte 
der Verkehr während des Baues nicht gehemmt werden. Die Aus 
führung des Neubaues geschah deßhalb in 2 Theilen. Der Ver 
kehr wurde nach Fertigstellen der einen Geivölbhälfte über dieselbe 
geführt und die andere Hälfte in Angriff genommen. Die beiden 
Gewölbtheile wurden stumpf zusammengestoßen. Die provisorische 
Brücke fiel hiedurch weg und wurden in Folge dessen ivesentliche 
Ersparnisse erzielt. 
Die Brücke hat 10,5 m Lichtiveite, bei 1,5 m Pfeilerhöhe. 
Die Breite der Fahrbahn beträgt 9,2 in. 
Die Gründung geschah auf Posidonienschiefer. Der Abschlag 
ivar durch eine mit Letten gedichtete und mit eisernen Nadeln 
festgehaltene Blockwand gebildet. 
Die Rüstung bestand aus nur stumpf zusammengestoßenen 
Hölzern und wurden zur Ausrüstung, welche 8 Tage nach 
Fertigstellen des Gewölbs geschah, gußeiserne Sandbüchsen ver 
wendet. 
Letztere haben sich wegen der hiedurch möglich geivordenen 
gleichmäßigen Ausschalung sehr bewährt. 
Die Kosten betrugen: Gründung 3390 fl. Maurer- und 
Steinhauerarbeit 6193 fl., Rüstung 522 fl, Schmiedarbeit 600 fl. 
Chaussirung 295 fl., Ingenrenz 2000 fl. zus. 13000 fl. oder 
ca. 22290 M.. 
In der sich anschließenden Debatte hebt der Vorsitzende die 
Vortheile der Gewölbeausschalung mittelst Sandbüchsen hervor. 
Dieselben ermöglichen ein ruhiges über die ganze Breite sich 
erstreckendes Ansschalen, das durch Keile nicht erreicht werden 
könne. 
Baurath Güntter theilt mit, daß der Bildung von schädlichen 
Fugen tut Gewölbe durch verschiedene Mörtelstärken in den am 
meisten beanspruchten Fugen vorgebeugt morden sei. Es sei 
hierauf schon bei Bearbeitung der Steine Rücksicht genommen 
worden. 
Oberbaurath v. Schlier holz ist der Ansicht, daß durch 
das früher angewandte Einlegen von Schindeln in die Fugen, 
nüe es z. B. an der Cannstatter Brücke geschehen sei, um ein 
schönes Aussehen zu erzielen, dem Brennen der Steine Vorschub 
geleistet werde. Das Ausschalen flacher Gewölbe mittelst Schrauben 
sei sehr riskirt. Die meisten Gewölbeeinstürze werden durch zu
	        

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