Full text: Sitzungs-Protokolle / Verein für Baukunde in Stuttgart (1884)

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von Verbrennungsgasen in den Tunnel fast ganz vermieden 
wird. Damit trotzdem die Leistungsfähigkeit der Maschine 
während dieser Zeit erhalten bleibe, muß der vorher stark mit 
Coaks beschickte Rost bei der Einfahrt mit hell brennendem Feuer 
bedeckt und die Dampfspannung außergewöhnlich hoch sein (bis 
15 Atm. lleberdruckl. Letztere nimmt im Tunnel allmählig ab, 
bis auf 8 und selbst 6 Atmosphären; sollte schließlich die Leist 
ungsfähigkeit nicht mehr ausreichen, so bleibt immer noch die 
Möglichkeit der Nachfeuerung, welche indessen mit einiger Vor 
sicht vermieden werden kann. Die Hauptverhältnisse dieser 
Maschinen sind: Spurweite 70 cm; Nadstand 1,40 in; Cylinder 
durchmesser 23 cm; Kolbenhub 30 cm; Raddurchmesser 58 cm; 
höchster Dampfdruck 15 Atmosphären; Heizfläche 18 gm; Rost- 
fläche 0,3 gm; Kesselraum 3 cbm, wovon 2,5 cbm Wasserraum, 
0,5 cbm Dampfraum; Dienstgewicht 10 t. 
Diese Lokomotiven, von denen an jeder Tunnelseite drei 
vorhanden sind, besorgen den Förderdienst in den Fertigstrecken 
zugweise nach bestimmten, streng eingehaltenen Fahrtenplänen; 
in den Baustrecken werden die Wägen einzeln durch Arbeiter 
befördert. An den llebergangspunkten zwischen beiden sind 
„Tunnelstationen" mit mehreren Geleisen, zum Zerlegen 
bezw. Zusammenstellen der Züge angebracht (Fig. 5 und 6) 
welche von Zeit zu Zeit weiter in den Tunnel hinein verlegt 
werden, um dem Beginn der Baustrecke möglichst nahe zu 
bleiben. Die Förderung ist mit den übrigen Arbeiten so koni- 
biniert, daß alles gut in einander greift und nirgends Zeitver 
luste durch Warten entstehen; das hiebei befolgte System ist 
aber auf beiden Tunnelseiten wesentlich verschieden, und ist be 
dingt durch die Gefällsverhältnisse im Längenprofil (Fig. 4). 
Auf der Westseite, woselbst die Bahn mit 15 "/oa nach 
innen ansteigt, und folglich die Wägen beim Ausfahren keiner 
bewegenden Kraft bedürfen, sondern gebremst werden müssen, 
fahren in Zeiträumen von je IV2 Stunden täglich 16 Doppel 
züge in den Tunnel; zuerst jedesmal ein Zug von 25 bis 30 mit 
Steinen und anderen Materialien beladenen Wägen, 10 Minuten 
später ein Zug von 40 bis 45 leeren Schutterwägen. Alle 
diese Züge werden von je einer Lokomotive geschoben und in 
den Geleisen l und ll der Tunnelstation Fig. 5 aufgestellt, 
worauf die Lokomotiven leer zurückfahren. Mit der Weiterbe 
förderung wird gewartet, bis sämtliche in der Arbeitsstrecke 
noch befindliche Wägen des vorigen Doppelzugs, teils leere 
Stein- teils volle Schutterwägen, in der Station angelangt 
sind, (Geleise 111 und IV) worauf jene neu angekommenen 
Wägen einzeln an Ort und Stelle gebracht werden, eine an 
strengende Arbeit, zu welcher für jeden leeren Schutterwagen 
zwei, für jeden mit l h cbm Stein beladenen Wagen 4kräftige 
Arbeiter erforderlich sind. Dabei muß genau die Reihen 
folge eingehalten werden, nach welcher die Wägen an die ein 
zelnen Arbeitsstellen zu verteilen sind, und müssen schon die 
Züge dementsprechend geordnet sein; denn das Geleis ist durch 
die ganze Baustrecke einfach bis nahe vor Ort, wo zur Aus 
wechselung der leeren und vollen Schutterwägen eine nochmalige 
Geleisteilung stattfindet. Sind an den Arbeitsstellen die Stein 
wägen entleert, die Schutterwägen gefüllt, so läßt man sie in 
der umgekehrten Reihenfolge, wie sie gekommen sind, mit Brems 
ung in die Station zurücklaufen. Da dies mit bedeutender 
Geschwindigkeit geschieht, — dem Vernehmen nach soll diese 
zwar nicht über 12 km per Stunde betragen, mag aber faktisch 
oft größer sein, — so ist zu bewundern, daß dabei nicht mehr 
Unglücksfälle vorkommen. Die in den Geleisen lll und IV 
gesammelten Wägen werden sodann gruppenweis aus dem Tunnel 
gelassen, wobei Kollisionen mit dem nächsten einfahrenden Doppel 
zuge leicht zu vermeiden sind. 
Aehnlich ist der Betrieb an der Ostseite gewesen, ehe 
der höchste oder Scheitelpunkt der Bahn erreicht war, nur daß 
daselbst wegen des geringeren Gefälls die Wägen auch abwärts 
geschoben, bezw. gezogen werden müssen. Nachdem jedoch bei 
der günstigeren Gebirgsbeschaffenheit und folglich schnellerem 
Fortschritte auf dieser Seite, der Scheitelpunkt überschritten 
war, ist die Förderung daselbst bis nach erfolgtem Durchschlag 
in ein neues und schwierigeres Stadium getreten, indem in 
der überschießenden Strecke der ganze Schuttertransport mit 
15 °/oo auswärts geschehen mußte. Dies mit Menschenkraft zu 
bewirken, wäre mindestens sehr kostspielig, ivenu nicht geradezu 
unmöglich gewesen. Die Unternehmung hat sich daher in sinn 
reicher Weise dadurch geholfen, daß sie die in der Baustrecke 
jenseits des Scheitels befindlichen, nach außen zu transpor 
tierenden vollen Schütter- und leeren Steintvägen zunächst ein 
zeln mit Bremsung ans innere Ende der Baustrecke abwärts 
rollen, und den so vereinigten Wagenzug sodann von der Fertig 
strecke aus mit Lokomotiven hinaufziehen läßt, wobei eine steife 
angelartige, in die engere Oeffnung der Baustrecke hineinge 
schobene, bezw. hinabgelassene „Kette" die Verbindung herstellt. 
Diese Kette besteht aus 11 m langen Gliedern, nämlich aus 
leichten 2,5 m langen Wagengestellen, die durch 8,5 m lange 
Holzstangen von etwa 12 auf 22 cm Querschnitt nnt einander 
verkuppelt sind; sie soll nur 50 kg pro laufenden Meter wiegen, 
und mag bis 1200 m lang gewesen sein. Dieser Länge ent 
spricht auch die der östlichen Tunnelstation Fig. 6; der Betrieb 
darin ist folgender: der von den drei vorgespannten Lokomotiven 
mit der Kette herausbeförderte Wagenzug wird auf Geleise I 
gestellt, und von der in Geleise II Platz findenden Kette abge 
kuppelt. Die vorderste Lokoniotive fährt sodann durch Geleise IV 
an den Zug und führt ihn zum Tunnel hinaus. Die zweite 
Lokomotive ist inzwischen vorausgeeilt, uni den nächsten einwärts 
gehenden Zug zu übernehmen; die dritte folgt und besorgt die 
Auflösung des ausgefahrenen Zugs vor der Tunnelmünduug. 
In der Station ist schon vor dem beschriebenen Herausziehen 
mit der Kette ein zweiter Zug von vollen Stein- und leeren 
Schutterwägen in Geleise I V aufgestellt gewesen, welche, sobald 
jener erste Zug ausgefahren ist, einzeln in die Baustrecke be 
fördert werden, und deshalb wie auf der Westseite, schon im 
Zuge richtig geordnet sein müssen. Die zuerst ausgefahrene 
Lokomotive befördert sodann den folgenden Zug in den Tunnel, 
stellt ihn auf Geleise IV, fährt vor die in Geleise III befindliche 
Kette, schiebt sie in die Baustrecke hinein und holt in Gemein 
schaft mit den beiden andern inzwischen nachgekommenen Maschinen 
den nächsten Zug heraus u. s. f. Solcher Züge folgen sich 
fünf in Zeitabschnitten von je einer Stunde 40 Min., wozu 
also im ganzen 8 Vs Stunden erforderlich sind; sodann folgt 
eine Pause von 3 Vs Stunden, welche zum Aufschlagen von 
Rüstungen, zu Reparaturen am Oberbau, den Luftleitungen re. 
verwendet wird, und nach Ablauf derselben, also 12 Stunden 
nach der Einfahrt jenes ersten Zuges, beginnt ganz dieselbe 
Fahrordnung von Neuem. Die Züge enthalten je 70 bis 
80 Wägen und bewegen sich in der Fertigstrecke mit 7—8 km 
Geschwindigkeit pro Stunde, beim Kettentransport mit etwa 
2 km. Auf der Kette sind in Abständen von ca. 100 1» Sig 
nalisten aufgestellt, welche die Verbindung zwischen den Loko 
motivführern und dem Zugpersonal durch Hornsignale vermitteln. 
Durch die eben beschriebene vortreffliche Organisation der 
Förderung ist es möglich geworden, mit dein Vollausbruch dein 
Stollenvortrieb gleich rasch zu folgen, so daß, wie schon bemerkt, 
die Vollendung des Tunnels kaum 6 Monate nach dem Durchschlag 
sicher erwartet werden darf, wozu ani Gotthard 21 Monate erfor 
derlich waren. Ein weiterer Punkt, in welchem der Arlbergtunnel 
sich vor seinem Vorgänger auszeichnet, ist der bessere Gesund- 
heitszustand der Arbeiter, welcher großenteils der schon 
erwähnten besseren Ventilation, sowie der strengen Reinlichkeits 
polizei und den zweckmäßigen Abtrittseinrichtungen zu verdanken 
ist. Insbesondere ist von der Blutarmut, an welcher die Blasse 
der Arbeiter am Gotthard zu leiden hatte, und welche einem 
aus Amerika eingeschleppten, durch die Exkremente übertragenen 
Eingeweidewurm („Tunnelwurm") zugeschrieben wird, ani Arl 
berg keine Spur zu finden. Ein schlimmer Feind des körper 
lichen Wohlbefindens und der menschlichen Leistungsfähigkeit, 
welcher am Gotthard erschwerend auftrat, ist hier freilich nicht 
vorhanden, nämlich die hohe, bis auf 33" E gesteigerte Tem 
peratur der, noch dazu mit Wasserdampf gesättigten Lust, eine 
Folge der großen Tiefe jenes Tunnels unter dem Terrain.
	        
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