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von Verbrennungsgasen in den Tunnel fast ganz vermieden
wird. Damit trotzdem die Leistungsfähigkeit der Maschine
während dieser Zeit erhalten bleibe, muß der vorher stark mit
Coaks beschickte Rost bei der Einfahrt mit hell brennendem Feuer
bedeckt und die Dampfspannung außergewöhnlich hoch sein (bis
15 Atm. lleberdruckl. Letztere nimmt im Tunnel allmählig ab,
bis auf 8 und selbst 6 Atmosphären; sollte schließlich die Leist
ungsfähigkeit nicht mehr ausreichen, so bleibt immer noch die
Möglichkeit der Nachfeuerung, welche indessen mit einiger Vor
sicht vermieden werden kann. Die Hauptverhältnisse dieser
Maschinen sind: Spurweite 70 cm; Nadstand 1,40 in; Cylinder
durchmesser 23 cm; Kolbenhub 30 cm; Raddurchmesser 58 cm;
höchster Dampfdruck 15 Atmosphären; Heizfläche 18 gm; Rost-
fläche 0,3 gm; Kesselraum 3 cbm, wovon 2,5 cbm Wasserraum,
0,5 cbm Dampfraum; Dienstgewicht 10 t.
Diese Lokomotiven, von denen an jeder Tunnelseite drei
vorhanden sind, besorgen den Förderdienst in den Fertigstrecken
zugweise nach bestimmten, streng eingehaltenen Fahrtenplänen;
in den Baustrecken werden die Wägen einzeln durch Arbeiter
befördert. An den llebergangspunkten zwischen beiden sind
„Tunnelstationen" mit mehreren Geleisen, zum Zerlegen
bezw. Zusammenstellen der Züge angebracht (Fig. 5 und 6)
welche von Zeit zu Zeit weiter in den Tunnel hinein verlegt
werden, um dem Beginn der Baustrecke möglichst nahe zu
bleiben. Die Förderung ist mit den übrigen Arbeiten so koni-
biniert, daß alles gut in einander greift und nirgends Zeitver
luste durch Warten entstehen; das hiebei befolgte System ist
aber auf beiden Tunnelseiten wesentlich verschieden, und ist be
dingt durch die Gefällsverhältnisse im Längenprofil (Fig. 4).
Auf der Westseite, woselbst die Bahn mit 15 "/oa nach
innen ansteigt, und folglich die Wägen beim Ausfahren keiner
bewegenden Kraft bedürfen, sondern gebremst werden müssen,
fahren in Zeiträumen von je IV2 Stunden täglich 16 Doppel
züge in den Tunnel; zuerst jedesmal ein Zug von 25 bis 30 mit
Steinen und anderen Materialien beladenen Wägen, 10 Minuten
später ein Zug von 40 bis 45 leeren Schutterwägen. Alle
diese Züge werden von je einer Lokomotive geschoben und in
den Geleisen l und ll der Tunnelstation Fig. 5 aufgestellt,
worauf die Lokomotiven leer zurückfahren. Mit der Weiterbe
förderung wird gewartet, bis sämtliche in der Arbeitsstrecke
noch befindliche Wägen des vorigen Doppelzugs, teils leere
Stein- teils volle Schutterwägen, in der Station angelangt
sind, (Geleise 111 und IV) worauf jene neu angekommenen
Wägen einzeln an Ort und Stelle gebracht werden, eine an
strengende Arbeit, zu welcher für jeden leeren Schutterwagen
zwei, für jeden mit l h cbm Stein beladenen Wagen 4kräftige
Arbeiter erforderlich sind. Dabei muß genau die Reihen
folge eingehalten werden, nach welcher die Wägen an die ein
zelnen Arbeitsstellen zu verteilen sind, und müssen schon die
Züge dementsprechend geordnet sein; denn das Geleis ist durch
die ganze Baustrecke einfach bis nahe vor Ort, wo zur Aus
wechselung der leeren und vollen Schutterwägen eine nochmalige
Geleisteilung stattfindet. Sind an den Arbeitsstellen die Stein
wägen entleert, die Schutterwägen gefüllt, so läßt man sie in
der umgekehrten Reihenfolge, wie sie gekommen sind, mit Brems
ung in die Station zurücklaufen. Da dies mit bedeutender
Geschwindigkeit geschieht, — dem Vernehmen nach soll diese
zwar nicht über 12 km per Stunde betragen, mag aber faktisch
oft größer sein, — so ist zu bewundern, daß dabei nicht mehr
Unglücksfälle vorkommen. Die in den Geleisen lll und IV
gesammelten Wägen werden sodann gruppenweis aus dem Tunnel
gelassen, wobei Kollisionen mit dem nächsten einfahrenden Doppel
zuge leicht zu vermeiden sind.
Aehnlich ist der Betrieb an der Ostseite gewesen, ehe
der höchste oder Scheitelpunkt der Bahn erreicht war, nur daß
daselbst wegen des geringeren Gefälls die Wägen auch abwärts
geschoben, bezw. gezogen werden müssen. Nachdem jedoch bei
der günstigeren Gebirgsbeschaffenheit und folglich schnellerem
Fortschritte auf dieser Seite, der Scheitelpunkt überschritten
war, ist die Förderung daselbst bis nach erfolgtem Durchschlag
in ein neues und schwierigeres Stadium getreten, indem in
der überschießenden Strecke der ganze Schuttertransport mit
15 °/oo auswärts geschehen mußte. Dies mit Menschenkraft zu
bewirken, wäre mindestens sehr kostspielig, ivenu nicht geradezu
unmöglich gewesen. Die Unternehmung hat sich daher in sinn
reicher Weise dadurch geholfen, daß sie die in der Baustrecke
jenseits des Scheitels befindlichen, nach außen zu transpor
tierenden vollen Schütter- und leeren Steintvägen zunächst ein
zeln mit Bremsung ans innere Ende der Baustrecke abwärts
rollen, und den so vereinigten Wagenzug sodann von der Fertig
strecke aus mit Lokomotiven hinaufziehen läßt, wobei eine steife
angelartige, in die engere Oeffnung der Baustrecke hineinge
schobene, bezw. hinabgelassene „Kette" die Verbindung herstellt.
Diese Kette besteht aus 11 m langen Gliedern, nämlich aus
leichten 2,5 m langen Wagengestellen, die durch 8,5 m lange
Holzstangen von etwa 12 auf 22 cm Querschnitt nnt einander
verkuppelt sind; sie soll nur 50 kg pro laufenden Meter wiegen,
und mag bis 1200 m lang gewesen sein. Dieser Länge ent
spricht auch die der östlichen Tunnelstation Fig. 6; der Betrieb
darin ist folgender: der von den drei vorgespannten Lokomotiven
mit der Kette herausbeförderte Wagenzug wird auf Geleise I
gestellt, und von der in Geleise II Platz findenden Kette abge
kuppelt. Die vorderste Lokoniotive fährt sodann durch Geleise IV
an den Zug und führt ihn zum Tunnel hinaus. Die zweite
Lokomotive ist inzwischen vorausgeeilt, uni den nächsten einwärts
gehenden Zug zu übernehmen; die dritte folgt und besorgt die
Auflösung des ausgefahrenen Zugs vor der Tunnelmünduug.
In der Station ist schon vor dem beschriebenen Herausziehen
mit der Kette ein zweiter Zug von vollen Stein- und leeren
Schutterwägen in Geleise I V aufgestellt gewesen, welche, sobald
jener erste Zug ausgefahren ist, einzeln in die Baustrecke be
fördert werden, und deshalb wie auf der Westseite, schon im
Zuge richtig geordnet sein müssen. Die zuerst ausgefahrene
Lokomotive befördert sodann den folgenden Zug in den Tunnel,
stellt ihn auf Geleise IV, fährt vor die in Geleise III befindliche
Kette, schiebt sie in die Baustrecke hinein und holt in Gemein
schaft mit den beiden andern inzwischen nachgekommenen Maschinen
den nächsten Zug heraus u. s. f. Solcher Züge folgen sich
fünf in Zeitabschnitten von je einer Stunde 40 Min., wozu
also im ganzen 8 Vs Stunden erforderlich sind; sodann folgt
eine Pause von 3 Vs Stunden, welche zum Aufschlagen von
Rüstungen, zu Reparaturen am Oberbau, den Luftleitungen re.
verwendet wird, und nach Ablauf derselben, also 12 Stunden
nach der Einfahrt jenes ersten Zuges, beginnt ganz dieselbe
Fahrordnung von Neuem. Die Züge enthalten je 70 bis
80 Wägen und bewegen sich in der Fertigstrecke mit 7—8 km
Geschwindigkeit pro Stunde, beim Kettentransport mit etwa
2 km. Auf der Kette sind in Abständen von ca. 100 1» Sig
nalisten aufgestellt, welche die Verbindung zwischen den Loko
motivführern und dem Zugpersonal durch Hornsignale vermitteln.
Durch die eben beschriebene vortreffliche Organisation der
Förderung ist es möglich geworden, mit dein Vollausbruch dein
Stollenvortrieb gleich rasch zu folgen, so daß, wie schon bemerkt,
die Vollendung des Tunnels kaum 6 Monate nach dem Durchschlag
sicher erwartet werden darf, wozu ani Gotthard 21 Monate erfor
derlich waren. Ein weiterer Punkt, in welchem der Arlbergtunnel
sich vor seinem Vorgänger auszeichnet, ist der bessere Gesund-
heitszustand der Arbeiter, welcher großenteils der schon
erwähnten besseren Ventilation, sowie der strengen Reinlichkeits
polizei und den zweckmäßigen Abtrittseinrichtungen zu verdanken
ist. Insbesondere ist von der Blutarmut, an welcher die Blasse
der Arbeiter am Gotthard zu leiden hatte, und welche einem
aus Amerika eingeschleppten, durch die Exkremente übertragenen
Eingeweidewurm („Tunnelwurm") zugeschrieben wird, ani Arl
berg keine Spur zu finden. Ein schlimmer Feind des körper
lichen Wohlbefindens und der menschlichen Leistungsfähigkeit,
welcher am Gotthard erschwerend auftrat, ist hier freilich nicht
vorhanden, nämlich die hohe, bis auf 33" E gesteigerte Tem
peratur der, noch dazu mit Wasserdampf gesättigten Lust, eine
Folge der großen Tiefe jenes Tunnels unter dem Terrain.