Full text: Versammlungs-Berichte / Württembergischer Verein für Baukunde in Stuttgart (1885/86)

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In der Einfügung der Wohnung des Gerichtspräsidenten 
war einige Freiheit gelassen, und während^ die meisten Kon 
kurrenten dieselbe in dem Hauptbau ohne Störung der gleich 
mäßigen Organisation desselben im Innern und Aeußern unter 
gebracht hatten, waren einige Arbeiten eingegangen, welche die 
selbe in einen besonderen Gebäudekörper verlegten, der, nach 
der schmaleren Stelle des Bauplatzes gerückt, Anlaß zu einer 
glücklichen Gruppierung der Gebäudemassen gab. 
Daß die Konkurrenten der verlangten Wartehalle des 
Publikums, die in der Mitte des Baus liegen sollte, ein ganz 
besonderes Augenmerk zuwandten, und ihr eine interessante 
Gestaltung zu geben suchten, als einem Raume, der an keine 
bestimmte Stockwerkhöhe gebunden war, und also auch eine 
stattliche Höhenentwicklung zuließ, konnte in sämtlichen Entwürfen 
beobachtet werden; es ging bei manchen soweit, daß diese Halle 
förmlich die Anordnung eines Kirchenschiffs erhielt. Näher lag 
die in den französischen Gerichtshöfen vorhandene sogenante Salle 
des pas perdus, und in einigen Plänen erstreckte sich diese Halle 
an der Vorderfront ihrer Länge nach, wodurch aber ihre Be 
nutzbarkeit für die nach rückwärts gelegenen Räume beeinträchtigt 
wurde. 
Die große Steigerung der Höhe dieser Wartehalle hat 
hauptsächlich den Zweck gehabt, sie über das übrige Gebäude 
namhaft hervorragen zu lassen, und leicht war ein gewisser Ein 
fluß der mit Kuppeln bekrönten Entwürfe zuni Reichstagsgebäude 
aus mancher der Arbeiten zu erkennen. 
Auch der große Sitzungssaal war in vielen Entwürfen 
sehr sorgfältig durchgebildet und hatte die verschiedenste Lage 
erhalten, teils im Erdgeschoß auf der Rückseite am Ende der 
Wartehalle, teils im ersten Stock in der Mitte der Vorderfayade 
oder auf der Mitte der nördlichen Seitenfac^ade. In einer der 
ersteren war die Lage des Saalbodens auf halber Höhe des 
Erdgeschosses angenommen und war die Höhe des ersten Stocks 
zu dem Saale gezogen; es entstand dadurch aber eine empfindliche 
Unterbrechung der Konimunikation zu ebener Erde. 
Die große Mehrzahl der Entwürfe bewegte sich in den 
Formen der italienischen Renaissance, wenige in deutscher; aber 
auch einige Entwürfe in mittelalterlichem Stil waren zu be 
merken, zum Teil in der Gestaltung von hoch aufstrebenden 
Burgen. 
Rach Besprechung einer Anzahl der hervorragenderen Lös 
ungen, die Anlaß gaben, auf die Lage und Einrichtung der 
einzelnen Saalgruppen, die Beleuchtung der Sitzungssäle, die 
Lage und Anordnung der Bibliothek rc. einzugehen, giebt Redner, 
der Mitglied der Jury war, noch ein Bild der geschäftlichen 
Behandlung der zu begutachtenden Projekte. Es ist daraus 
hervorzuheben, daß die Jury sich zur ersten Sichtung und Aus 
scheidung in 3 Abteilungen gliederte, welche zunächst die Aufgabe 
hatten, aus dem gesaniten, ihnen zugewiesenen Material die besten 
und die schwächeren Arbeiten auszuscheiden und so einer raschen 
Erledigung der sehr umfangreichen Aufgabe vorzuarbeiten. Nach 
Ausscheidung derjenigen Arbeiten, die keine Aussicht auf engere 
Wahl hatten, wechselten die Referenten der 3 Gruppen, so daß 
der Entwurf von 2 Referenten unabhängig von einander be 
urteilt wurde. Die in die engste Wahl gezogenen Entwürfe 
wurden sodann in einer besonderen Abteilung des Lokals neben 
einander aufgehängt und von der gesamten Jury behandelt. 
Erleichtert war die Arbeit des Preisgerichts wesentlich auch da 
durch, daß das Reichsamt schon vorher sämtliche Pläne auf ihre 
Uebereinstimmung mit dem Programm hinsichtlich Zahl und 
Maß der Räume rc. hatte prüfen lassen. Für eine möglichst 
unparteiische Behandlung der ganzen Sache waren in der betr. 
Geschäftsordnung sehr zweckmäßige Anordnungen getroffen. 
Der Vorsitzende dankt dem Redner und übergiebt den Vor 
sitz an seinen Stellvertreter, Oberbaurat Leibbrand. 
Dieser giebt zunächst von einer Zuschrift des Reg.Baumeisters 
Le übe Kenntnis, wonach eine Anzahl von diätarisch beschäftigten 
Baumeistern derK. Domänendirektion ein Gesuch um „Organisation 
des technischen Hilfsbeamtendienstes und Aufstellung einer Dienst 
anweisung für dieselben" an das K. Finanzministerium gerichtet 
hat und den Verein bittet, dieses Gesuch in geeigneter Weise 
zu unterstützen. Der Vorsitzende hält dafiir, daß diese Eingabe 
einen zu speziellen Charakter trage, um vom Verein ohne weiteres 
unterstützt werden zu können, glaubt jedoch, daß sich im Zu 
sammenhang damit noch andere Desiderien außer dem Staats 
dienst stehender Techniker behandeln lassen werden. Er erinnert 
in dieser Beziehung an die Stellung der Bauinspektoren im 
Vergleich zu den Bezirksbeamten, welche infolge einer den Technikern 
nicht günstigen Strömung sich in den letzten 10 Jahren immer 
nachteiliger gestaltet habe. Jedenfalls erscheine es angezeigt, 
die vorliegende Angelegenheit durch eine Kommission behandeln 
zu lassen, v. Schlierholz stimmt diesen Ausführungen bei 
und bringt noch weitere Punkte zur Sprache, welche einer Regelung 
bedürftig seien, so u. a. die Anciennetätsfrage, welche in Preußen 
neuerdings ganz zweckmäßig geordnet sei, sofern dort die im 
In- und Ausland beschäftigten Baumeister in einer Ordnungs 
liste laufen — vorausgesetzt, daß die Beschäftigung im Ausland 
mangels einer solchen im eigenen Lande habe gesucht werden 
müssen. Es wird eine Kommission aus 5 Mitgliedern in Vor 
schlag gebracht. Da eine eigentliche Wahl nicht gewünscht wird, 
erfolgt die Zusammensetzung derselben durch Akklamation. Ge 
wähltwerden: Laistner, v. Landauer, Leibbrand, Ockert, 
v. Schlierholz. 
Der Vorsitzende giebt nun die Einläufe bekannt und erteilt 
hierauf das Wort an Baurat Rheinhard, welcher über „die 
Verwertung des Torfes in dem ärarischen Stein 
häuser Ried" spricht. Der wesentliche Inhalt des Vor 
getragenen ist folgender: 
Der Torf hat hier durchschnittlich 3 na Mächtigkeit, seine 
Lagerung weist gegenüber den norddeutschen Torflagern die 
Eigentümlichkeit auf, daß der Moostorf unter dein Brenntorf 
gelagert ist; nur auf einer 8,2 iia großen Flüche findet sich 
auf 2,4 m Tiefe ausschließlich Moostorf vor. Das Liegende 
des Torfs ist ein gallertartiger Wiesenkalk von 3—4 m Mächtig 
keit, unter diesem befindet sich Moränenkies. Das Ried liegt 
auf der Wasserscheide zwischen Donau und Rhein, und ist von 
niederen, der Molasse angehörenden Hügeln begrenzt, von welchen 
aus das Grundwasser der Kiesschichte zufließt, zuweilen von 
hier aus den Wiesenkalk durchbricht und alsdann die Stichfelder 
unter Wasser setzt. Die letzteren werden daher absatzweise aus 
gebeutet, derart, daß zwischen 2 Feldern eine genügend starke, 
das Wasser abhaltende Torswand stehen bleibt. Das Ried ist 
seinerzeit etwa zur Hälfte auf nur 2 rn Tiefe in ziemlich plan 
loser Weise entwässert worden; es besteht jedoch nunmehr die 
Absicht, die ausgestochenen Riedflächen zu einem Sammelweiher 
für die Wasserwerke des Schussenthals nutzbar zu machen und 
zu diesem Behufe teils mittelst eines offenen Grabens, teils 
mittelst einer ea. 1,5 km langen, 60 cm weiten Zementröhren 
dohle einen Kanal nach dem benachbarten Ursprung der Schüssen 
zu führen, wobei eine größere Strecke mittelst Tunnelung her 
gestellt werden müßte. Solange die beteiligten Werksbesitzer 
sich jedoch nicht zur Uebernahme eines größeren Betrags der 
auf ca. 40 000 M. berechneten Baukosten verstehen, dient zur 
weiteren Entwässerung des Rieds eine 4pferdige Zentrifugal 
pumpe, welche sich im Kesselhaus der mitten im Ried errichteten 
Torfstreufabrik befindet. 
Oertliche Verhältnisse gestatteten eine Verlegung der Fabrik 
lokale nebst Schuppen u. s. w. an den Rand des Rieds nicht, 
eine Sandgründung wäre bei der bedeutenden Höhe der Schüttung 
sehr teuer zu stehen gekommen; es mußte daher zur Pfahlfundation 
geschritten werden. Bei der Fundatiou des Kessel-Maschinen- 
hauses wurden die Pfähle gruppenweise gestellt und mit Beton 
klötzen versehen bezw. verbunden, auf welchen außer dem Kessel 
u. s. w. auch die Wände und der Fußboden des Hauses auf 
gesetzt wurden. Der letztere ruht auf bombiertem, mit einem 
Betonüberzug versehenem Wellblech und besteht aus Zement 
platten. Die durchschnittlich 25 cm starken und 9 m langen 
Pfähle waren auf 2,5 m Tiefe gegen Fäulnis zu schützen. Die 
selben wurden zu diesem Behufe auf diese Länge 2,5 cm weit 
gebohrt, sodann wurde eine mit einer Schneide versehene 12 cm
	        

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