Beilage II.
Mitteilungen üöer den Wau der städtischen Dohlen in Stuttgart
von Stadtbaurat Kaiser (s. Bericht über die ordentl. Versammlung vom 7. April 1888).
Die städtischen Dohlen in den Straßen hiesiger Stadt wurden
bis zum Ende der sechziger Jahre mit rechteckigem Querschnitt aus
Bruchsteinmauerwerk, teils mit, teils ohne Mörtel, und die Sohle
aus glatten Steinplatten hergestellt. Um die bekannten Ucbelstände
dieser Konstruktion thunlichst zu beseitigen, wurde von der genannten
Zeit ab bei den meisten Dohlen nicht nur die Sohle aus Beton
mit muldenförmigem Querschnitt, sondern auch die senkrecht stehen
den Seiteuwände ans demselben Material ausgeführt, und also nur
noch die Deckel aus Hausteinen gefertigt.
Ein weiterer Fortschritt erfolgte dadurch, daß im Jahr 1871
einige Betonkanäle mit eiförmigem Querschnitt, welche 72 om Weite
und 110 cm Höhe hatten, erstellt wurden. Der Querschnitt be
stand aus 2 Teilen, nämlich dem untern mit der Sohle und den
Seitenwänden und dem oberen halbkreisförmigen Gewölbe; sie
wurden von der Firma Dyckerhoff in Karlsruhe geliefert und
kostete der Meter samt Verlegen 26 M. 57 Pf., ein kleinerer Quer
schnitt mit 60 cm Weite und 90 cm Höhe kam auf 21 J&. 14 Pf.
pro lfd. Meter zu stehen.
In demselben Jahr wurde auch ein Betonkanal mit 72 cm
Weite und 110 cm Höhe in der Weise ausgeführt, daß die gut
bearbeitete Betonmasse auf die Verschalung von Bogenrüstnngen ge
bracht und daselbst genügend gestampft wurde; das Mischungsver
hältnis war 1 Teil Portlandzement. 2 Teile Flußsand und 4 Teile
gewaschener Flußkies. Der laufende Bieter, von einem hiesigen
Unternehmer erstellt, kam, einschließlich der Grabarbeit und des
Glattstrichs, auf 33 <M>. 21 Pf. zu stehen, und es hat diese Kon
struktion immerhin den Vorteil, daß die vielen Fugen zwischen den
einzelnen Stücken in Wegfall kommen und die Betonmasse einen
festen zusammenhängenden Körper bildet.
Da man zu jener Zeit noch wenig Erfahrungen über die
Dauer und das Verhalten der Vetonkanäle überhaupt hatte, und
da auch die einheimischen Arbeiter mit der Bearbeitung des Betons
nicht recht umzugehen wußten, machte die Einführung der eiför
migen Betonkanäle keine raschen Fortschritte, so daß bis in die
Mitte der 70ger Jahre in einzelnen Fällen auch noch gemauerte
Dohlen, jedoch immer mit Betonsohlcn erstellt wurden.
Im Jahre 1874 wurde der erste Röhrenkanal mit 45 cm
Durchmesser ausgeführt, von dem Zementgeschäft Kimmel und
Lehr in Stuttgart, und berechnete sich der Aufwand pro laufenden
Meter incl. Verlegen, aber ohne Grabarbeit auf 13 J& 80 Pf.
Von dem in Kannlisationsanlagen gut bewanderten Ingenieur
Gordon in Frankfurt wurde im Jahr 1874 ein genereller Plan
nebst Erläuterungsbericht über die Anlage von Spülkanälen in
Stuttgart im Auftrag der Stadtverwaltung gefertigt, und es hat
derselbe in Betreff der Baumaterialien auf Seite 50 des Berichtes
die Anwendung von richtig geformten und gut gebrannten Back
steinen empfohlen. Eine aus 11 Mitgliedern des Vereins für
Baukunde bestehende Kommission, welche im Jahr 1876 mit einer
Begutachtung der Gordonschen Arbeit betraut war, konnte sich
über die Anwendung der Materialien nicht einigen (siehe S. 21).
Im Jahre 1876 wurden die ersten eiförmigen Backsteinkanäle
erbaut und zur Sohle — aus Gründen größerer Solidität rc. —
Sohlstücke aus gebrannter und glasierter Steinzeugmasse verwendet,
was auch bei allen seither erstellten Kanäle» noch der Fall ist.
Der bedeutendste war der Kanal in der Schillerstraße vom
Königsthor bis zur Alleenstraße 210 ni lang, 1,3 m weit und
und 1,95 m hoch.
Bis zum Jahr 1876 wurden die meisten Kanäle aus Beton
mit Steinzeugsohlstücken ausgeführt und zwar teils in eigener Regie,
teils im Wege des Accords.
Obgleich bei diesen Kanälen, namentlich in Betreff ihrer Festig
keit keinerlei nachteilige Erfahrungen gemacht wurden, so haben sich
doch im Laufe der Zeit einige Mißstände gezeigt, die nicht wohl zu
beseitigen waren.
Namentlich bei den Accordsarbeiten war es trotz aller Strenge
der Bauleitung nicht immer möglich, es dahin zu bringen, daß das
vorgeschriebene Mischungsverhältnis der Materialien, sowie die vor
schriftsmäßige Bearbeitung der Betonmasse und ebenso wenig die
verlangte Wandstärke genau eingehalten wurden; die Kistchen, in
welchen der Zement (als teuerstes Material) gemessen wurde, waren
niemals gänzlich vollgefüllt, während die für das Messen des Kieses
bestimmten Kistchen stets stark überfüllt waren; ferner war es
namentlich bei den Kanälen von kleinerem Querschnitt sehr schwierig,
einen vollkommen ebenen Glattstrich an der Innenseite 8er Kanal
wände fertig zu stelle», weil die Arbeiter stets in gebückter oder
liegender Lage arbeiten mußten, was ihnen bald in einer Weise
zuwider war, daß sie suchten, sobald als möglich aus den Kanälen
herauszukommen, und nur mit Mühe wieder in dieselben zurückzu
bringen waren.
Als ein weiterer Uebelstand muß noch hervorgehoben werden,
daß bei Betonkanälen das Abwasser aus den Wohnhäusern erst dann
in den Kanal eingeleitet werden kann, wenn der Beton so weit er
härtet ist, daß er durch den Wasserzufluß nicht mehr beschädigt
wird, was immer einige Tage ansteht, während welcher dann das
Wasser von den Hausbesitzern zurückbehalten werden sollte, was aber
auch nicht wohl durchführbar ist. Endlich ist noch zu sagen, daß
nach Fertigstellung eines Betonkanals wieder einige Tage zugewartet
werden muß, bis die Betonmasse so weit erhärtet ist, daß die nus
gegrabene Erdmasse wieder in die Baugrube eingeworfen und fest
gestampft werden kann, was namentlich in engen Straßen für den
Fährverkehr sehr störend ist.
Diese Uebelstände fallen bei den Backsteinkanälen weg; bei
denselben bestimmt sich die Wandstärke nach der Größe des Kanal
profils, in Backsteinringen ausgedrückt, d. h. ob derselbe mit einem
oder mit anderhalb oder mit zwei Ringen :c. ausgeführt werden
soll, und die Bauleitung hat die Gewißheit, daß die vorgeschriebene
Wandstärke eingehalten wird, auch erhärtet der Zementmörtel in
den Fugen zwischen den Backsteinen rascher als die Betonmassen
bei den Betonkanälen, so daß ein Backsteinkanal bälder benützt
werden kann.
Mit der Herstellung der Backsteinkanäle konnte vor dem Jahre
1876 nicht wohl begonnen werden, nxil die wenigen leistungsfähigen
Ziegeleien in Stuttgart und der nächsten Umgebung in den voran
gegangenen Jahren mit den Lieferungen für die vielen damals her
zustellenden Hochbauten zu sehr in Anspruch genommen waren und
weil auch einige Ziegeleien erst gegen die Mitte der 70ger Jahre
ihre Ware so weit vervollkommnet hatten, daß sie zu Kanalbauten
verwendet werden konnte.