Full text: Versammlungs-Berichte / Württembergischer Verein für Baukunde in Stuttgart (1889/90)

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Ich will demselben seine Anwendbarkeit zu Straßenbahn 
zwecken in verbesserter Gestalt nicht absprechen, zur Zeit ist der 
Motor wegeil der nicht immer sicher lind gleichmäßig wirkenden 
Entzündung nicht zuverlässig, auch scheiilt dessen Konstruktion 
für mehr als 6 Pferdekräfte auf Schwierigkeiten zu stoßen. 
Die sicherste und wirksainste Maschine ist bis jetzt immer noch 
die durch Dampf mit direkter Erzeugung getriebene Lokomotive. 
Das von Bachsteiil eingereichte Gesuch uin Genehmigung 
einer Dampfbahn nach Berg und Wangen legte der Pferdebahn- 
Gesellschaft um so mehr die Einführung des Dampfbetriebs nach 
Berg nahe, als sich der Pferdebetrieb auf dieser frequenten Linie 
zu gewissen Zeiten in der Badzeit oder über das Volksfest als 
unzureichend erwies. 
Das Projekt Bachstcins, eine besondere Dampfbahn auf der 
Staatsstraße nach Berg zu führen, wird jedoch, nachdem sich 
Bachstein der Vereinigung der Straßenbahnen angeschlossen hat, 
aus folgenden Gründen verlassen werden müssen: 
1. hat die Regierung Schwierigkeiten gemacht, die Verlegung 
der Bahn auf der Staatsstraße zu gestatten, 
2. der Betrieb der bestehenden Pferdebahnlinic sonnte auch 
nach Erstellung der Dampfbahii nicht eingestellt oder ein 
geschränkt werden; 
3. die Bahn käme ganz außerhalb des Wohnbezirkes zu liegen 
uild würde dem örtlichen Verkehre wenig nützen; 
4. würde mail mit der ileuen Bahn der eigenen Linie, in 
der Neckarstraße, welche ohnehin neu verlegt werden muß, 
selbst Konkurrenz machen. 
Viel wichtiger und zweckmäßiger für den Verkehr erscheint 
cs, von der Anlage einer besonderen Linie abzusehen und den 
Pfcrdebetrieb auf der bestehenden Linie ganz durch Maschinen 
betrieb zu ersetzen, so daß wie seither fahrplanmäßig alle 6 Minuten 
ein Wagen vom Königsbau nach Berg und umgekehrt fährt. 
Vorausgesetzt, daß die Bctricbsmaschineil ihrer Bestimmung 
als Straßenbahnlokomotiven entsprechend konstruiert werden, wird 
wohl alich die Befahrung der Geleise in belebteren Straßen 
Seitens der Regierung llicht beanstandet werden, nachdem ge 
nügend Vorgänge in andern großen Städten gegeben und über 
haupt die der Einführung von Straßenlokomotiven anfangs ent- 
gegensteheudeil Bedenken betreffs der Sicherheit des übrigen 
Straßenverkehres geschwunden sind. 
Wird aber erst einmal der Dampfbetrieb nach Berg einge 
führt sein, so wird das Bedürfnis der Erschließung einer direkten 
Verbindung mit Cannstatt erst recht zu Tage treten itttb der Bau 
einer neuen Neckarbrücke in erhöhtem Maße dringend werden, 
denn erst nach Herstellung dieser Verbindung wird unser Straßen 
bahnnetz seine richtige Ausdehnung und Entwicklung ilehmcn lind 
der Dampfbetrieb rentabel sein können. 
Die Fortsetzung der Linie von Berg nach Gaisburg und 
Wangen wird dann auch nicht inehr lauge auf sich warten lassen, 
jedenfalls wird die Gasfabrik die alsdann gebotene Gelegenheit 
ausnützen, sich in Geleisverbindung mit dem ilaheil Bahnhöfe 
Cannstatt zu setzen, selbst wenn die Vollbahnmagen auf besonderen 
Transporteuren überführt werden müssen. Letzteres macht ja 
bei den neuerdings zlir Verfügung stehenden Betriebsmitteln 
keine Schwierigkeiten mehr. 
Nachdem ich die Entwicklung, welche unser Straßenbahnnetz 
in der einen Richtung gegen das Neckarthal nehmen wird, an 
gedeutet habe, bleibt mir noch übrig, zu besprechen, in welcher 
Weise unser Straßenbahnnetz in der entgegengesetzten Richtung 
in den oberen Stadtteilen zur Ausdehnung gelangen dürfte. 
Hier ist zunächst eine Verbindung der Linie von der Silber 
burgstraße mit dem Marienplatz durch die Hohenstaufenstraße 
nötig, diese wird nach Herstellung der Straße alsbald zur Aus 
führung kommen. 
Ueberhaupt erweist sich der Marien platz seiner örtlichen 
Lage und Ausdehnung nach als ganz besonders geeignet zur Zu- 
sammcnführung verschiedener Straßenbahnlinien meiner „äußeren 
Zentralstelle", welche einerseits in Zusammenhang mit einem 
daselbst anzulegenden neuen Depot und Stallungen, andererseits 
in zweckmäßige Verbindung mit der Filderbahn gebracht wer 
den kann. 
Bekanntlich ist der Fildcrbahnhof hier so unzweckmäßig als 
je plaziert, er liegt so versteckt, daß man ihn kaum auffinden 
kann und seine Verbindung mit den Straßenbahngcleisen ist eine 
sehr ungünstige. Offenbar ist der Marienplatz die geeignetste 
Stelle für denselben. 
Die Verlegung des Bahnhofs nach dem Marienplatze ist 
durch eine bogenförmige Abzweigung von der alten Weinsteige 
aus und Ueberführung mittelst eines Viadukts bis zur Mitte des 
Platzes möglich, alsdann würden die Straßenbahnwagen zu ebener 
Erde einfahren und die Wagen der Filderbahn über denselben 
eine Treppe höher sich aufstellen. Diese Verlegung wird aller 
dings einen Aufwand von ca. 100000 Ji verursache», allein 
ich bin überzeugt, daß dieselbe mit der Zeit doch kommen wird. 
Um die Verwirklichung dieses Projektes hat sich Herr Direktor 
Lipken durch käufliche Erwerbung des zur Verlegung erforder 
lichen Areales im Voraus verdient gemacht. 
Die Verbindung des Marienplatzcs mit dem zunächst ange 
nommenen Ende der Querlinie in der Olgastraße stößt zur Zeit 
noch auf ganz erhebliche Hindernisse und wird sich nicht so bald 
verwirklichen, dagegen wird mit der weiteren Ausdehnung der 
Stadt in nördlicher und nordwestlicher Richtung die Linie zur 
Gewcrbehalle von der Canzlcistraße durch die Hegel- und Korn 
bergstraße in die Silberburgstraßc an die bisherige Linie 
daselbst anschließend und die Linie durch die Militärstraße bis 
zur Moltkekaserne weiter und durch die Schwabstraße an das 
derzeitige Westende des Straßenbahnnetzes angeschlossen werden. 
Nach Fertigstellung der von mir angedeuteten Linien würde 
unser Straßenbahnnetz eine Ausdehnung von ca. 30 km (die 
Doppelgeleise nicht eingerechnet) erhalten.
	        

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