Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

60 
sind so luxuriös ausgestattet, daß viel verzehrt werden muß, bis 
dieser Luxus bezahlt ist. Alles ist sehr teuer: Gläschen Bier 20 Pfg., 
Schnaps 60 Pfg., ebensoviel ein Spitzgläschen Wein, man kann 
allerdings umsonst ein belegtes Brot haben, aber nach reichlich ein 
genommenem Frühstück hat man hiezu kein Bedürfnis. — Es giebt 
natürlich auch Restaurationen: in den deutschen erhält man zum 
Essen Bier oder Wein, aber man ist nicht immer so glücklich, die 
selben gleich aufzufinden; in amerikanischen gibt es es nur Eiswasser, 
oder cold cream, Limonade rc. Die bloße Inschrift hat mich immer 
vom Betreten des Lokals abgeschreckt. In Restaurationen kann man 
öfters für 2 Mk. eine genügende Mahlzeit erhalten, manchmal sogar 
für 1 Mark. Gewöhnlich muß man aber Portionen bestellen und 
dann kommt man unter einem Dollar selten weg, erspart also nichts 
gegenüber dem Gasthof. 
Bezüglich der Gasthöfe will ich noch hinzufügen, daß der Com 
fort in denselben sehr groß ist. Die Lokale für den allgemeinen 
Gebrauch der Gäste sind sehr geräumig, die Office mit dem Bureau, J 
Zeitungs- und Cigarrenverkauf, Fahrplanständern, Telegraph, dient 
als allgemeiner Aufenthalt der Herren, es fehlen natürlich, (wegen 
des Tabakkauens nötig) die Spucknäpfe sowie die Stangen nicht, ans 
denen die Amerikaner die Füße aufzulegen pflegen. Hieran reihen 
sich das Schreibzimmer, Waschzimmer, Aborte, Zimmer für den Friseur, 
Aufbewahrung von Handgepäck rc. Diese Räume nehmen meist das 
Parterre des Gebäudes vollständig ein. Im ersten Stock sind dann ! 
die Speisezimmer, die kariours für die Damen und erst in den 
höheren Stockwerken beginnen die Schlafzimmer. 
Sehr angenehm ist es für den Fremden, in der ganzen Ausdehnung 
des Landes immer dasselbe gute Bett zu erhalten, alle sind nach demselben 
Muster gebaut, sehr breit, schmales niedriges Kissen, in den eleganten Hotels 
neben dem Schlafzimmer Badekabinet mit Toilette u. s. w. 
Ich erinnere mich eines Gasthofs in einer Sommerfrische des 
Westens (del Monte bei Monterey); die Office, ca. 20X15 m, 
bildete abends den Sammelpunkt der Gesellschaft, im Kamin flammt 
ein großes Holzfeuer, die Herren sitzen und rauchen oder lesen, die > 
jungen Herren und Damen spazieren hin und her, es war dies 
ein so reizendes Bild, daß ich nur ungern mich wieder auf die j 
Wanderschaft gemacht habe. 
Wie die Amerikaner wohnen, hat Kollege Tritschler eingehend 
beschrieben, ich möchte nur hinzufügen oder berichtigen, daß das 
Zusammenbauen der Häuser nur im Stadtkern üblich ist, wo die 
Geschäftshäuser liegen. Die Straßen erhalten dadurch ein sehr eigen 
tümliches Aussehen, daß zwischen Trottoir und Gebäude ein Raum 
von 1,0—2,0 m (selten bis 5 m) Breite sich befindet, der zur An 
lage von Treppen in den Parterrestock oder das Souterrain, zur 
Aufstellung von Schaukästen, Obstverkaufständen, Schuhputzerständen 
oder auch als Vorgarten benutzt wird. Auf dem Trottoirrand gegen 
die Straße stehen bis m dicke Telegraphenstangen mit bis zu 
100 Telegraphen- oder Telephondrähten, Lichtkabeln rc. belastet. 
Auch Pfosten zum Befestigen von Querschildern, Briefkasten rc. sind 
hier aufgestellt. Dieser Stadtkern nimmt aber einen kleinen Raum 
ein, die Wohnquartiere, die dem Kern sich anschließen, sind meist 
mit Zwischenräumen gebaut (nur New Jork macht eine Aus 
nahme). Ich habe in Europa noch nichts ähnliches gesehen: die 
Straßen dieser Stadtteile sind mit Baumreihen versehen, neben den 
Trottoirs Vorgärten, gegen die Straße nicht eingefriedigt, mit prächtig 
gehaltenem Rasen, die Gebäude stehen rings von Bäumen umgeben 
wie im Park, jedes Gebäude dient meist nur für eine Familie, 
zweistöckige Anlage ist das gewöhnliche. Fast jedes Haus besitzt eine 
offene oder gedeckte Veranda zu ebener Erde, auf welcher die Schaukel 
stühle ihre Exerzitien ausführen. Die Figuren 8 und 9 der Tafel 
zeigen die Querprofile der verschiedenen Straßenformen. 
Als Beispiel kann ich nur eine Arbeiterwohnung vorzeigen, 
welche auf der Ausstellung zu sehen war: das Haus natürlich von 
Holz, im Parterre karlour, Küche, Speisekammer, Baderaum; im 
1. Stock 3 Schlafzimmer. Größe des Gebäudes etwa 6 m auf 
8,5 m, Kosten ohne Bauplatz ca. 600 Dollars. Sehr gefreut hat 
es mich, daß man in Amerika den Fachwerkbau nicht kennt, Material 
ist immer echt, Holz oder Backstein, auch Haustein, oder in neuerer 
Zeit die Gebäude aus eisernem Gerippe, über deren Konstruktion 
ich mir besondere Mitteilung vorbehalte. 
Von amerikanischen Städten habe ich eine größere Anzahl ge 
sehen, einige der ausgestellten Pläne mögen die allgemeinen Anlagen 
darstellen, die ja bekanntlich fast ausschließlich in der Anwendung 
des Rechtecksystems besteht. Das System hat den Vorteil, daß bei 
Vergrößerung der Städte das Straßennetz schon fertig ist und man 
nicht noch wie hier jahrelang zu der Ausarbeitung und Genehmigung 
der Stadtbaupläne braucht. Die Bebauung dieser Banguadrate voll 
zieht sich aber sehr unregelmäßig und sieht eine amerikanische Stadt 
in allen Teilen, den Stadtkern höchstens ausgenommen, sehr unfertig 
aus, ferner nehmen die Städte mit Rücksicht auf die Bewohnerzahl 
ganz ungemessen große Räume ein, wozu die offene Bauweise in 
den äußeren Stadtteilen und das Vorherrschen der Einfamilienhäuser 
viel beiträgt. Chicago hat beispielsweise eine Gesamtlänge von 
24 Meilen — ca. 38 km, es liegen aber stellenweise zwischen den 
bebauten einzelnen Stadtteilen Strecken von 3—4 km Länge, auf 
denen kaum ein Haus steht. Die nicht bebauten Stadtteile erscheinen 
als Ablagerungsplatz, Sumpf, Steppe oder Urwald, die Straßen 
Naturweg, vielleicht hier und da ein schlechtes Holztrottoir auf einer 
Seite, und machen diese Stadteile einen höchst betrübenden Eindruck. 
Die Flächen vorübergehend landwirtschaftlich zu benutzen, fällt nie 
mand ein, es würde sich nicht rentieren, und das ist für den Ame 
rikaner allein maßgebend. Der Umstand, daß durch die schachbrett 
artige Anordnung der Straßen und die weitläuftige Bauart große 
Wege von den Wohnguartieren zum Geschäftsteil der Stadt zurück 
zulegen sind, macht sich in Amerika nicht störend fühlbar, weil nach 
den entferntesten, kaum im Entstehen begriffenen Stadtteilen Tram 
bahnen führen. Man muß fahren so wie so, ob weit oder nicht, 
es kostet dasselbe (5 Cent); es finden bei der Einrichtung sowohl 
die Bewohner, als die Trambahngesellschaft ihre Rechnung. 
Die meisten amerikanischen Städte liegen in ebenen Geländen, 
die Trambahn erscheint deshalb meist als elektrische Bahn mit Ober 
leitung, wie für Stuttgart geplant ist. In den Außenbezirken mit 
dünner Bebauung fährt man sehr rasch (bis zu 25 km die Stunde), 
im Innern natürlich langsamer. Sehr hübsch sehen die elektrischen 
Trambahnlinien mit Mittelständern aus, namentlich wenn die Straßen 
in langen Geraden und gleichen Visieren sich hinziehen, selbstver 
ständlich sind derartige Anlagen nur in sehr breiten Straßen möglich 
(vergl. Fig. 10). Einzelne Städte, wie San Francisco, Seattle, 
Tacoma, Albany liegen aber an steilen, mehrfach unregelmäßigen 
Hängen und es ergeben sich bei dem auch hier angewendeten Rechteck 
system in der Richtung des Hangs unter allen Umständen, der Länge 
nach aber auch bei den entlang des Hanges ziehenden Straßen starke 
Gefälle bis zu 20°/o (vergl. Fig. 11). Hier reicht die elektrische 
Bahn nicht immer aus, und hat man mehrfach zur Kabelbahn ge 
griffen, wo der Wagen bergauf und bergab sich mit gleicher Ge 
schwindigkeit bewegt. Diese Bahnen sind in Anlage und Betrieb 
sehr teuer und rentieren nur infolge des starken Verkehrs. In sehr 
verkehrsreichen Städten sind auch in ebenen Geländen Kabelbahnen 
angelegt (New Jork, Chicago, Denver). Die Straßen sind im all 
gemeinen sehr breit (ca. 20—30, selbst 40 m), nur in einigen älteren 
Städten gibt es auch schmälere Straßen (südl. Teil von New Jork, 
St. Louis rc.). In New Jork ist beispielsweise eine Hauptverkehrs 
straße, der Brodway, nur 22 m breit (s. Fig. 12), zur Mittagszeit 
stockt oft der Verkehr ganz, Labte cars, Fuhrwerke, alles in ein 
ander gekeilt und ist nur zu verwundern, wie ruhig und ohne Un 
fälle die Massen sich wieder entwirren. 
Die der Länge der Stadt nach sich hinziehenden Straßen sind 
meist breiter als die Querstraßen, erstere heißen Avenues und er 
halten Namen, letztere Streets, meist nur mit Nummern bezeichnet. 
Zur Orientierung ist dieses System sehr bequem, mau verwechselt 
nicht Ost mit Süd, wie es bei dem gleichartigen Aussehen der Straßen 
sonst nur zu leicht geschieht. 
Die Baublöcke sind nicht überall gleich, aber im allgemeinen 
ziemlich groß. Wo die Blöcke sehr tief sind, findet man da und 
dort in der Mitte der Blöcke Feuergassen von ca. 4 m Breite, die 
aber für den durchgehenden Verkehr nicht benützt werden (vergl. Fig. 13). 
Straßenerbrciterungen sind schon oft ausgeführt worden, man 
macht sich hier nicht viel daraus, die Häuser werden, auf gut ame 
rikanisch hinausgedrückt, „gemovcd", und das geht auch bei Massiv 
bauten rasch und einfach vor sich.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.