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Bleiben wir eiwas südlich, so führt uns der Weg an den nicht
minder sehenswerten Gebäulichkeiten des Ritterbaus und des letzten
reichsstädtischen Rathauses (jetzt Oberamt bezw. Amtsgericht) vorüber,
beides Bauten aus Anfang und Mitte des vorigen Jahrhunderts.
Bei dem Palm'schen Ban aus der gleichen Zeitperiode betreten
wir sodann die Hauptstraße der Altstadt, die Innere Brücke und
deren Fortsetzung die Bliensau-Straße. In den Häuserreihen der
selben wechseln heute mittelalterliche Holzgiebel mit mehr oder weniger
reich ausgestatteten modernen Geschäftshäusern.
Das ehemalige „Kleinvcnedig", ein Konglomerat von auf
hölzernen Sprengwerken über den Kanälen ruhenden und altersschwach
sich aneinander schmiegenden Fachwerksbautcn ist zum Bedauern der
malenden Welt heute verschwunden und hat allerdings wenig maler
ischen Eisenkonstrnktionen Platz gemacht.
Wir wollen uns sodann nicht versagen, von der Innern Brücke
noch einen kurzen Abstecher nach der Maille, dem Stolze der Eßlinger
Bürger zu machen. Diese Anlage, mitten in der Stadt befindlich, ein
Rasenplatz mit schönen Baumgruppen besetzt, auf zwei Seiten von
Kanälen eingefaßt, und von architektonisch bedeutenden Bauwerken
umrahmt, ist sicher ein bevorzugter Fleck Erde, und wäre etwas mehr,
als platonischer Belehrung seitens der Eßlinger wert.
Die sonstigen interessanten Gebäulichkeiten des weiteren aufzu
führen würde wohl ermüden. Die Herren kennen ja aus ihren
wiederholten Besuchen die verschiedenen Pfleg- und Klosterhöfe, alten
Patrizierhäuser, Bürgerstubcn (z. B. jetziges Museum), Wohnstätten
berühmter Männer (wie das Paracelsushans in der Pliensaustraße)
u. a. mehr, und wir werden uns ein Vergnügen daraus machen,
Sie bei Ihrem demnächst bevorstehenden Besuche in Eßlingen mit
Muße zu diesen Sehenswürdigkeiten zu führen.
Dagegen möchte ich mir nun erlauben, mit raschem Sprunge
zur Beschreibung des heutigen Standes der Stadt überzugehen, wobei
ich immerhin wieder bei Gelegenheit die alten Bauwerke streifen
werde, weil dies auch bei den baulichen Veränderungen selbst häufig
geschehen mußte und leider nicht immer pietätvoll geschehen ist.
Meine verehrten Herren! Da gegenwärtig eine Neulithographierung
des Stadtbauplans in Arbeit ist, so muß ich teilweise auf die aus
gehängten Einzelpläne verweisen:
1) Altstadt und westlicher Stadtteil,
2) Oestlicher Stadtteil,
3) Neckarvorstadt.
Hievon stammt der erste aus älterer Zeit, und dieser Stadtteil
ist nun thatsächlich in den letzten Jahren nahezu, und zwar der
Westen in der Hauptsache mit Fabrikanwesen ausgebaut worden. In
neuerer Zeit hat dieses westliche Quartier durch die Anglicderung der
Mettinger Straße eine weitere Ausdehnung erfahren.
Der zweite ist neueren Datums, gegenüber einem früheren Plan
wesentlich verändert und zur Zeit in der Andauung begriffen.
Die Abänderung des ältern Plans war namentlich durch das
s. Zt. ohne Rücksicht auf den diesseitigen Stadtbauplan auf der an
stoßenden Markung Obereßlingen genehmigte Fabrikanwesen von
Bayer u. Leibfried bedingt.
Erwähnenswert sind in diesem Plane die 27 m breite Alleen-
ftraße, und mehrere zu gärtnerischen Anlagen bestimmte freie Plätze.
Der dritte Plan ist in der Hauptsache noch Projekt, indem
erst vor Kurzem wegen der Annäherung an die Kgl. Domäne Weil
eine Einigung mit dieser getroffen wurde.
Besonderheiten bietet dieser Plan nicht, jedoch dürfte bei defini
tiver Festsetzung desselben die Frage der Schiffbarmachung des Neckars
und eine linksseitige Eisenbahnverbindung mit Stuttgart in Betracht
gezogen werden.
Hervorzuheben bleibt, daß neuerdings die jedenfalls für das
Stadtbild vorteühafte Tendenz besteht, Panoramastraßen anzulegen,
so an der Ebershalde die sog. Stettener-Straße, an der Neckarhalde
die Turm-Straße, und ebenso eine Straße am linksseitigen Thalhange
der Neckarvorstadt.
Ich denke nun die gesamten Bauwesen, und zwar private sowohl
als solche des Staats und der Gemeinde am besten nach ver
schiedenen Gruppen, ihrer unterschiedlichen Bestimmung nach, zu be
sprechen und beginne mit den Kirchen und Schulen.
Erstere sind seit Ausscheidung des Kirchenvermögens dem Ge
schäftsbereich der städt. Bauverwaltung entrückt.
Außer den 3 großen Kirchen in der Stadt selbst, bestehen noch
die 3 Filialkirchen Mettingen, St. Bernhard und Sulzgries-Rüdern.
Nachdem nun seit Jahren die Restaurierung der St. Pauls
kirche und der Marienkirche durchgeführt ist, wird jetzt ernstlich an
die dringliche Renovierung der Hauptkirche gegangen. Im Gegensatz
zu den erstgenannten, in einheitlichem Stile erbauten Kirchen, haben,
wie schon bemerkt, zu diesem in seinen Dimensionen größten Bau
wesen Eßlingens die verschiedensten Stilperioden ihre noch heute er
haltenen Beiträge geliefert. Wir werden nicht versäumen, Sie abends
zur Besichtigung des Innern einzuladen und Sie werden erstaunt
sein, welch wunderbaren Reiz die neueingerichtete elektrische Bogen-
lampen-Beleuchtnng mit ihrem magischen Schein in diesen feierlichen
Räumen ausübt.
Vor etwa einem Jahr erschien in den Eßlinger Blättern ein
sehr interessanter Aufsatz über die Architektur der Dionysius-Kirche.
Derselbe war „K“ gezeichnet und dürfte von unserem vorgestern
beerdigten Professor Ko pp an der Technischen Hochschule hergerührt
haben.
Die Mettinger Kirche ist vor einigen Jahren mir einer neuen
Empore und neuem Gestühl versehen worden.
Auch bezüglich Vergrößerung des St. Bernharder Kirchleins
liegen der Kirchengemeinde dringliche Wünsche vor, doch haben diese
Projekte noch keine greifbare Gestalt angenommen.
Dagegen ist der bürgerlichen Gemeinde eine andere Ausgabe in
Betreff der Frauenkirche verblieben.
Schon vor 20 Jahren sind die zwei Häuser, Mettinger-Straße
Nr. 6 und 8, welche zum Teil auf der alten Stadtmauer in süd
licher Richtung der Marienkirche vorgebaut sind, zwecks Abbruchs
von der Stadt aufgekauft worden.
Nunmehr soll, nachdem durch unsern verehrten Herrn Baudirektor
v. Egle vor 8 Jahren die Renovierung der Kirche ihren Abschluß
gefunden hat, inzwischen das ehemalige Mettinger Thorhäuschen
niedergelegt, und an Stelle eines verwahrlosten Hohlwegs eine schöne
„Meister Beblinger-Straße" mitten auf die Kirche zu ausgeführt
worden ist, der Abbruch dieser Häuser bewerkstelligt werden.
An Stelle der Häuser ist eine einfach gehaltene gotische Treppe
geplant.
Mit dem Projekt in Berbindung steht die Verbesserung des
Fahrwegs auf die Neckarhalde und die früher bemerkte Fortsetzung
der Turmstraße als Panoramastraße.
Um ungläubige Gemüter von der Zweckmäßigkeit der Freilegung
zu überzeugen, hat Oberbürgermeister Mülberger ein Modell der
Anlage im Maßstab 1:250 anfertigen lassen, welches durch abnehm
bare Gebäudeteile die Sache deutlich veranschaulicht.
Ich bedauere, daß der Transport des Modells etwas zu um
ständlich und gefährlich gewesen wäre und bitte Sie, bis Sie Ihren
in Aussicht genommenen Besuch in Eßlingen ausführen, einstweilen
mit meiner Skizze vorlieb zu nehmen.
Die Kosten der Freilegung sind zu 40 000 Jt (einschließlich
Turmstraße zu 50000 Ji) berechnet, welche in der Hauptsache durch
eine Loterie aufgebracht werden sollen.
Ich denke, wir wollen heute Abend das viel umstrittene Kapitel
der Freilegung — Vandalismus und Verödung sagen die andern —
nicht weiter erörtern.
Die Herren werden sich in 14 Tagen überzeugen, daß viel
Phantasie dazu gehört, dem jetzigen Bestand das Wort zu reden.
Von den neueren Schulen, — die älteren bieten nur niehr ein
negatives Interesse —, ist Ihnen die von meinem Vor-Vorgänger
im Amte, Wenzel, erbaule große Realschule beim Schelzthor längst
bekannt.
Ebenso die von Herrn Baurat Stahl erbaute staatliche Turn
halle daselbst.
Gestatten Sie mir dagegen, bei der im Jahr 1892 neu erstellten
Knabenvolksschule etwas zu verweilen. Dieselbe steht auf dem sog.
Kasernenplatz, d: h. dem Platz, der bis 1866 zu einer Kaserne be
stimmt gewesen sein soll, und ist ein dreigeschossiger, massiver Back
steinbau mit einem Sockel von Eßlinger Sandsteinen. Jeder Stock
enthält 6 Klassenzimmer und Lehrerzimmer bezw. Zeichensaal. Die