Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

21 
Bleiben wir eiwas südlich, so führt uns der Weg an den nicht 
minder sehenswerten Gebäulichkeiten des Ritterbaus und des letzten 
reichsstädtischen Rathauses (jetzt Oberamt bezw. Amtsgericht) vorüber, 
beides Bauten aus Anfang und Mitte des vorigen Jahrhunderts. 
Bei dem Palm'schen Ban aus der gleichen Zeitperiode betreten 
wir sodann die Hauptstraße der Altstadt, die Innere Brücke und 
deren Fortsetzung die Bliensau-Straße. In den Häuserreihen der 
selben wechseln heute mittelalterliche Holzgiebel mit mehr oder weniger 
reich ausgestatteten modernen Geschäftshäusern. 
Das ehemalige „Kleinvcnedig", ein Konglomerat von auf 
hölzernen Sprengwerken über den Kanälen ruhenden und altersschwach 
sich aneinander schmiegenden Fachwerksbautcn ist zum Bedauern der 
malenden Welt heute verschwunden und hat allerdings wenig maler 
ischen Eisenkonstrnktionen Platz gemacht. 
Wir wollen uns sodann nicht versagen, von der Innern Brücke 
noch einen kurzen Abstecher nach der Maille, dem Stolze der Eßlinger 
Bürger zu machen. Diese Anlage, mitten in der Stadt befindlich, ein 
Rasenplatz mit schönen Baumgruppen besetzt, auf zwei Seiten von 
Kanälen eingefaßt, und von architektonisch bedeutenden Bauwerken 
umrahmt, ist sicher ein bevorzugter Fleck Erde, und wäre etwas mehr, 
als platonischer Belehrung seitens der Eßlinger wert. 
Die sonstigen interessanten Gebäulichkeiten des weiteren aufzu 
führen würde wohl ermüden. Die Herren kennen ja aus ihren 
wiederholten Besuchen die verschiedenen Pfleg- und Klosterhöfe, alten 
Patrizierhäuser, Bürgerstubcn (z. B. jetziges Museum), Wohnstätten 
berühmter Männer (wie das Paracelsushans in der Pliensaustraße) 
u. a. mehr, und wir werden uns ein Vergnügen daraus machen, 
Sie bei Ihrem demnächst bevorstehenden Besuche in Eßlingen mit 
Muße zu diesen Sehenswürdigkeiten zu führen. 
Dagegen möchte ich mir nun erlauben, mit raschem Sprunge 
zur Beschreibung des heutigen Standes der Stadt überzugehen, wobei 
ich immerhin wieder bei Gelegenheit die alten Bauwerke streifen 
werde, weil dies auch bei den baulichen Veränderungen selbst häufig 
geschehen mußte und leider nicht immer pietätvoll geschehen ist. 
Meine verehrten Herren! Da gegenwärtig eine Neulithographierung 
des Stadtbauplans in Arbeit ist, so muß ich teilweise auf die aus 
gehängten Einzelpläne verweisen: 
1) Altstadt und westlicher Stadtteil, 
2) Oestlicher Stadtteil, 
3) Neckarvorstadt. 
Hievon stammt der erste aus älterer Zeit, und dieser Stadtteil 
ist nun thatsächlich in den letzten Jahren nahezu, und zwar der 
Westen in der Hauptsache mit Fabrikanwesen ausgebaut worden. In 
neuerer Zeit hat dieses westliche Quartier durch die Anglicderung der 
Mettinger Straße eine weitere Ausdehnung erfahren. 
Der zweite ist neueren Datums, gegenüber einem früheren Plan 
wesentlich verändert und zur Zeit in der Andauung begriffen. 
Die Abänderung des ältern Plans war namentlich durch das 
s. Zt. ohne Rücksicht auf den diesseitigen Stadtbauplan auf der an 
stoßenden Markung Obereßlingen genehmigte Fabrikanwesen von 
Bayer u. Leibfried bedingt. 
Erwähnenswert sind in diesem Plane die 27 m breite Alleen- 
ftraße, und mehrere zu gärtnerischen Anlagen bestimmte freie Plätze. 
Der dritte Plan ist in der Hauptsache noch Projekt, indem 
erst vor Kurzem wegen der Annäherung an die Kgl. Domäne Weil 
eine Einigung mit dieser getroffen wurde. 
Besonderheiten bietet dieser Plan nicht, jedoch dürfte bei defini 
tiver Festsetzung desselben die Frage der Schiffbarmachung des Neckars 
und eine linksseitige Eisenbahnverbindung mit Stuttgart in Betracht 
gezogen werden. 
Hervorzuheben bleibt, daß neuerdings die jedenfalls für das 
Stadtbild vorteühafte Tendenz besteht, Panoramastraßen anzulegen, 
so an der Ebershalde die sog. Stettener-Straße, an der Neckarhalde 
die Turm-Straße, und ebenso eine Straße am linksseitigen Thalhange 
der Neckarvorstadt. 
Ich denke nun die gesamten Bauwesen, und zwar private sowohl 
als solche des Staats und der Gemeinde am besten nach ver 
schiedenen Gruppen, ihrer unterschiedlichen Bestimmung nach, zu be 
sprechen und beginne mit den Kirchen und Schulen. 
Erstere sind seit Ausscheidung des Kirchenvermögens dem Ge 
schäftsbereich der städt. Bauverwaltung entrückt. 
Außer den 3 großen Kirchen in der Stadt selbst, bestehen noch 
die 3 Filialkirchen Mettingen, St. Bernhard und Sulzgries-Rüdern. 
Nachdem nun seit Jahren die Restaurierung der St. Pauls 
kirche und der Marienkirche durchgeführt ist, wird jetzt ernstlich an 
die dringliche Renovierung der Hauptkirche gegangen. Im Gegensatz 
zu den erstgenannten, in einheitlichem Stile erbauten Kirchen, haben, 
wie schon bemerkt, zu diesem in seinen Dimensionen größten Bau 
wesen Eßlingens die verschiedensten Stilperioden ihre noch heute er 
haltenen Beiträge geliefert. Wir werden nicht versäumen, Sie abends 
zur Besichtigung des Innern einzuladen und Sie werden erstaunt 
sein, welch wunderbaren Reiz die neueingerichtete elektrische Bogen- 
lampen-Beleuchtnng mit ihrem magischen Schein in diesen feierlichen 
Räumen ausübt. 
Vor etwa einem Jahr erschien in den Eßlinger Blättern ein 
sehr interessanter Aufsatz über die Architektur der Dionysius-Kirche. 
Derselbe war „K“ gezeichnet und dürfte von unserem vorgestern 
beerdigten Professor Ko pp an der Technischen Hochschule hergerührt 
haben. 
Die Mettinger Kirche ist vor einigen Jahren mir einer neuen 
Empore und neuem Gestühl versehen worden. 
Auch bezüglich Vergrößerung des St. Bernharder Kirchleins 
liegen der Kirchengemeinde dringliche Wünsche vor, doch haben diese 
Projekte noch keine greifbare Gestalt angenommen. 
Dagegen ist der bürgerlichen Gemeinde eine andere Ausgabe in 
Betreff der Frauenkirche verblieben. 
Schon vor 20 Jahren sind die zwei Häuser, Mettinger-Straße 
Nr. 6 und 8, welche zum Teil auf der alten Stadtmauer in süd 
licher Richtung der Marienkirche vorgebaut sind, zwecks Abbruchs 
von der Stadt aufgekauft worden. 
Nunmehr soll, nachdem durch unsern verehrten Herrn Baudirektor 
v. Egle vor 8 Jahren die Renovierung der Kirche ihren Abschluß 
gefunden hat, inzwischen das ehemalige Mettinger Thorhäuschen 
niedergelegt, und an Stelle eines verwahrlosten Hohlwegs eine schöne 
„Meister Beblinger-Straße" mitten auf die Kirche zu ausgeführt 
worden ist, der Abbruch dieser Häuser bewerkstelligt werden. 
An Stelle der Häuser ist eine einfach gehaltene gotische Treppe 
geplant. 
Mit dem Projekt in Berbindung steht die Verbesserung des 
Fahrwegs auf die Neckarhalde und die früher bemerkte Fortsetzung 
der Turmstraße als Panoramastraße. 
Um ungläubige Gemüter von der Zweckmäßigkeit der Freilegung 
zu überzeugen, hat Oberbürgermeister Mülberger ein Modell der 
Anlage im Maßstab 1:250 anfertigen lassen, welches durch abnehm 
bare Gebäudeteile die Sache deutlich veranschaulicht. 
Ich bedauere, daß der Transport des Modells etwas zu um 
ständlich und gefährlich gewesen wäre und bitte Sie, bis Sie Ihren 
in Aussicht genommenen Besuch in Eßlingen ausführen, einstweilen 
mit meiner Skizze vorlieb zu nehmen. 
Die Kosten der Freilegung sind zu 40 000 Jt (einschließlich 
Turmstraße zu 50000 Ji) berechnet, welche in der Hauptsache durch 
eine Loterie aufgebracht werden sollen. 
Ich denke, wir wollen heute Abend das viel umstrittene Kapitel 
der Freilegung — Vandalismus und Verödung sagen die andern — 
nicht weiter erörtern. 
Die Herren werden sich in 14 Tagen überzeugen, daß viel 
Phantasie dazu gehört, dem jetzigen Bestand das Wort zu reden. 
Von den neueren Schulen, — die älteren bieten nur niehr ein 
negatives Interesse —, ist Ihnen die von meinem Vor-Vorgänger 
im Amte, Wenzel, erbaule große Realschule beim Schelzthor längst 
bekannt. 
Ebenso die von Herrn Baurat Stahl erbaute staatliche Turn 
halle daselbst. 
Gestatten Sie mir dagegen, bei der im Jahr 1892 neu erstellten 
Knabenvolksschule etwas zu verweilen. Dieselbe steht auf dem sog. 
Kasernenplatz, d: h. dem Platz, der bis 1866 zu einer Kaserne be 
stimmt gewesen sein soll, und ist ein dreigeschossiger, massiver Back 
steinbau mit einem Sockel von Eßlinger Sandsteinen. Jeder Stock 
enthält 6 Klassenzimmer und Lehrerzimmer bezw. Zeichensaal. Die
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.