Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

22 
Heizung geschieht mit Niederdruck-Dampfheizung von E. Möhrlin- 
Stuttgart. Mit Rücksicht auf die in diesen Lokalen gehaltene obli 
gatorische Fortbildungsschule ist eine elektrische Beleuchtung mit Bogen 
lampen unter Anwendung des Systems der Deckenreflexion eingerichtet. 
Im Souterrain befindet sich eine Badeanstalt mit Gasheizung, 
System Geiger-Karlsruhe. Der Bau kostete ohne den der Stadt 
gehörigen Bauplatz 170000 ^. oder bei 10000 cbm Inhalt pro 
cbm ohne innere Einrichtung 14 Ji, mit Einrichtung 17 Ji. 
Bemerkenswert ist ferner, daß durch die Freigebigkeit der Eß- 
linger Verlagsanstalt, I. F. Schreiber, das Schnlhaus mit einer 
mustergiltigen Lehrmittelsammlung ausgestattet wnrve, deren große 
bildliche Darstellungen z. B. auch zur Dekoration der Korridorwände 
benützt werden konnten. 
Ein zweites Schulgebäude der neuesten Zeit erlaube ich mir 
ebenfalls in Photographie vorzuführen, die staatliche Präparanden- 
Anstalt an der Beblinger Straße, von unserem leider so früh ver 
storbenen Kollegen Le übe begonnen, fortgeführt und beendigt durch 
die Herren Oberbaurat Berner und Baurat Beeger. 
Unter dem Kapitel „Gesundheitspflege" ist zu rubrizieren: 
Die Vergrößerung des städtischen Krankenhauses durch einen 
Barackenbau, in dem erstmals in Eßlingen die Gasheizung und zwar 
mittelst Warsteiner sog. Schulöfen, zur Anwendung gekommen ist, 
und seitdem zu großer Zufriedenheit der Verwaltung funktioniert. 
Ferner ein Desinfektionshaus mit Apparat von Rietschel und 
Henneberg, Geschenk von Kommerzienrat Merkel. Das Gebäude 
enthält ein Lokal zur Annahme der zu desinfizierenden Wäsche, 
Betten rc., den Apparatraum, auf der einen Seite zum Einlegen der 
infizierten, auf der andern Seite, getrennt durch eine massive Scheide 
wand, zum Herausnehmen der desinfizierten Stücke, sodann einen Raum 
zur Abgabe der desinfizierten Stücke, und endlich ein Badezimmer, 
welch letzteres der Wärter stets zu passieren hat, um von der einen 
Abteilung in die andere zu gelangen. 
Unter die sanitären Einrichtungen begreife ich ferner den General 
dohlenplan für die Stadt Eßlingen, welcher von Professor Or. Lueger 
gegenwärtig ausgearbeitet wird und dessen erste Partie jetzt in Aus 
führung begriffen ist. 
In Ermangelung des Planes selbst, der leider noch nicht ganz 
fertig ist, habe ich wenigstens den seinerzeitigen Entwurf und das Begleit 
schreiben mitgebracht, sowie eine Skizze über die Art wie die Cement- 
röhrendohlen von 80 und 100 cm Durchmesser auf ihrer Sohle gegen 
Einwirkung von Säuren mittelst Steingutschaalen geschützt werden 
sollen. 
Auch auf dem Gebiete der Wasserversorgung stehen uns große 
Veränderungen bevor. 
Das erst 1879 erbaute Pumpwerk mit Filtergallerie soll der 
künftigen Lokomotivwerkstätte der Kgl. Eisenbahnverwaltung Platz 
machen und wird vergrößert weiter oberhalb neu erstehen, während 
die Filtergallerie auf die linke Neckarseite verlegt wird, woselbst die 
ganze Thalfläche Eigentum der Stadt und eine Gefahr der Verseuch 
ung durch künftige Bauquartiere ausgeschlossen ist. 
Zur Vervollständigung erwähne ich noch, daß die Stadt im 
vorigen Jahr am Wasserhause mit einem Aufwand von 15 000 ^ 
ein Schwimmbad auf Pontons angelegt hat, und daß auf dem gegen 
über liegenden linken Ufer des Neckars seil 3 Jahren eine Eisbahn 
für den Schlittschuhlauf besteht. 
Diese Eisbahn hat eine Fläche von 5000 qm und ist etwas 
vertieft angelegt, sodaß zum erstmaligen Füllen durch eine Schütze 
Neckarwasser eingelassen werden kann. Zur nachherigen Berieselung 
der Bahn ist außerdem an die städtische Hochdruckleitung angeschlossen. 
Die Ausführung kostete rund 10000 Ji, welche durch private Samm 
lung aufgebracht worden sind. 
Im Beleuchtnngswesen, darf ich mit Stolz sagen, waren wir 
Stuttgart lange Zeit über, indem durch die Maschinenfabrik Eßlingen 
schon im Jahr 1893 ein Elektrizitätswerk erbaut worden ist. Das 
selbe wird mit Dampf betrieben. Akkumlatoren dienen zur Aus 
gleichung der Stromabgabe bei Nacht und an Sonn- und Festtagen. 
Der Stand am 1. April 1896 war 4507 Glühlampen, 46 Bogen 
lampen und 63 Motoren mit zus. 208 Pferdekräften. 
Die Stadt hat ihre öffentlichen Gebäude, Schulen u. s. w. an 
geschlossen, zur Straßenbeleuchtung aber nur ausnahmsweise auf 
freien Plätzen Bogenlampen verwendet und im übrigen ihre Gas 
laternen beibehalten, ein System, das sich jetzt bei Einführung des 
Gasglühlichtes recht gut bewährt hat. 
Eine wesentliche und dankenswerte Thätigkeit entfaltet das 
Elektrizitätswerk namentlich auf dem Gebiet der Kraftlieferung für 
das Kleingewerbe. 
Hier hat dasselbe unserer Gasanstalt erheblich Abbruch gethan, 
wenn auch der Ausfall von etwa 100000 cbm inzwischen wieder 
eingeholt ist. 
Auch Verbesserungen im Eßlinger Gaswerk, an welchem die 
Stadtgemeinde Mitteilhaberin ist, dürfen nicht unerwähnt bleiben. 
Für Fachleute wird es von Interesse sein, zu hören, daß Herr 
Gasinspektor Ko h l e r gegenwärtig eine Garnitur Retortenöfen neuesten 
Systems Coze mit schräg liegenden Retorten und Unterfeuerung nach 
' Hasse-Didier, sowie eine maschinelle Kohlenförderung hierzu ein 
richten läßt. Die Jahresproduktion ist z. Zt. 1 200 000 cbm. 
Die Gaspreise sind für Beleuchtung 17 Pfg., für Heizung und 
technische Nutzung 12 Pfg. pro cbm, wobei eine städtische Steuer 
; von 2 Pfg. pro cbm eingerechnet ist. 
Bei dem bemerkten billigen Ansatz für Nutzgas hat die Ver 
wendung zum Kochen ganz erheblich: Fortschritte gemacht. 
Die städtischen öffentlichen Gebäude betreffend, sind unser altes 
und neues Rathaus schon früher als architektonische Sehenswürdig 
keiten hervorgehoben worden. 
Ich erlaube mir, noch darauf hinzuweisen, daß neuerdings durch 
Herrn Oberbaurat D o llinger im Auftrag eines Eßlinger Bürgers 
Aquarell-Skizzen für eine stilgerechte Renovation des alten Rathauses 
ausgeführt wurden, welche Sie bei Ihrem Besuch im Eßlinger Rat 
hause besichtigen werden. 
Eine von Herrn Dollinger zu gleichem Zwecke gefertigte 
Federzeichnung des nördlichen Gebiets liegt Ihnen hier zur Ansicht 
vor. Bei dieser Gelegenheit will ich unsern Herrn Architekten die 
j Bestätigung ihrer schon wiederholt ausgesprochenen Vermutung nicht 
vorenthalten, daß nämlich dieser Nordgiebel thatsächlich von dem 
- herzogt, württ. Baumeister Schikhardt herrührt. Nach der Ihnen 
mitgebrachten im Eßlinger Rats-Archiv ausgehobenen Abrechnung 
über den Vorbau des Steuerhauses (wie der Bau damals hieß) dat. 
1587 wurde dem Baumeister Heinrich Schikhardt in Herrenberg 
für Visierung, Beratschlagung und Abmessung des Bauwerks eine 
„Verehrung" von 174 fl. 48 kr. bezahlt. 
Da wir nun doch wieder auf das archäologische Gebiet ge- 
j kommen sind, so werden Sie mir Dank wissen, wenn ich einige ver 
gilbte Handzeichnungen des Baumeisters Schikhardt beifüge, einen 
Umbau des Kanzleigebäudes, des jetzigen Archivs betreffend (vom Steuer- 
| Hausbau war leider bisher nichts aufzufinden). Schlichte Blätter, 
dat. 1610, also knapp vor dem Ausbruch des unseligen Kriegs, in 
welchem der greise Baumeister Schikhardt sein Leben rühmlos ver 
lor. Anno 1610 stand er wohl auf der Höhe seines Ansehens am 
herzoglichen Hofe, denn der ehrsame Rat von Eßlingen hat ihm 
seine, wie er selbst schreibt, „gar geringe Bemühung" mit 15 Dukaten 
gelohnt, eine für die damalige Zeit ganz respektable Remuneration. 
Der Bau kam übrigens nicht nach diesen Plänen zur Ausführung. 
Hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, daß das ehrwürdige, alte 
Rathaus wieder eine Zierde für Eßlingen bedeutet. 
Infolge seiner gegenwärtigen Benützung zu Schulzwecken ist 
leider viel an seiner inneren und äußeren Struktur gesündigt worden. 
Das neue Rathaus bedarf äußerlich ebenfalls in Bälde der 
bessernden Hand, dagegen ist im Innern der große Ratssaal, welcher 
unter den früheren Besitzern — der Freiherrlich Palm'schen Familie 
und später dem Grafen Alexander von Württemberg — manch fröhlichen 
Reigen gesehen haben mag, vor einigen Jahren im Stile des 
vorigen Jahrhunderts restauriert worden. In seinem neuen Sch mucke 
diente er erstmals beim Empfange des Königspaares 1894, von 
welchem Anlaß die Ihnen vorgeführten photographischen Aufnahmen 
des dekorierten Rathauses und der Ehrenpforte in der Bliensau- 
Straße stammen. (Schluß folgt.) 
Äerausgegeben vom Württemb. Verein kür Daukunde. Für denselben: Oberbanrat Dr. v Drockmaun. — Druck von Ä-lfred Müller ofc Oo. — Verlag von L. We ise^s 
Dofbuchtsandlung, sämtlich in Stuttgart.
	        

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.