Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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Kgl. Eisenbahn-Materialverwaltung gehörigen Gebäude abgebrochen 
und zurückgesetzt werden. 
Ter Kostenüberschlag beläuft sich auf 530000 JL, deren Ver 
teilung aus der Ihnen vorliegenden Uebersicht zu entnehmen ist. 
Die bürgerlichen Kollegien haben nun hierzu mit 30 gegen 
3 Stimmen beschlossen, das Projekt der Kgl. Regierung zu unter 
breiten und als Beitrag seitens der Stadtgemeinde die Summe von 
150 000 JL angeboten. 
Daß seitens der Anwohner in der Bliensan-Straße dem Projekt 
Opposition gemacht werden würde, war vorauszusehen und ist be 
greiflich. Das Verhältnis des Gesamtinteresses gegenüber dem Sonder- 
interessc ist aber durch die Abstimmung in der Ratssitzung bezeichnend 
zum Ausdruck gebracht worden Es ist auch zu erwarten, datz in 
einiger Zeit den Bliensau-Straßeanwohnern der künftige Wegfall des 
durchgehenden Fuhrwerksverkehrs nicht mehr von so großer Be- . 
deutung erscheint. 
Der Fußgängerverkehr wird der Bliensau-Straße in vermehrtem 
Maße zu gut kommen und den lokalen Fährverkehr wird sie sich zu 
erhalten wissen. 
Zu wünschen bleibt freilich, daß die Kgl. Eisenbahnverwaltung 
durch Abrücken der Gleise es ermöglicht, daß die Neckarstraße als 
Verbindungsweg zwischen Bahnhof und östlichem Stadtteil in ihrer 
jetzigen Breite erhalten bleibt. Da auf der südlichen Bahnhofseite 
daselbst einige Abstellgleise der Neparaturwerkstütte liegen, so ließe 
sich wohl durch Eingehenlassen eines solchen Gleises die erforderliche 
Verschiebung bewerkstelligen. 
Ein anderer für das Projekt wesentlicher Punkt ist die Erhaltung 
des Bliensauturms. Wer Eßlingen von Anschauung kennt und ein 
empfängliches Gemüt für ein landschaftlich und architektonisch schönes 
Stadtbild hat, wem vollends ein warmes Herz für Altertümer im 
Busen schlägt, der muß mit uns darin einig gehen, daß der Bliensau- 
thortmm unter allen Umständen erhalten bleiben muß. 
Daß die Stadtgcmeinde diesen Standpunkt mit Nachdruck ver 
tritt, kann ihr überall nur zur Ehre gereichen. Ich denke aber, daß 
mit dem Wortlaut meines Erläuternngsberichts der Archäolog, Archi 
tekt und Ingenieur zufrieden sein kann. 
Eine Anerkennung für die Stadt glauben wir auch dafür er 
warten zu dürfen, daß dieselbe über die Forderungen des Nützlichen 
hinaus sich die Verschönerung ihrer Straßen und Plätze angelegen 
sein läßt. 
So wurde 1894/95 aus Anlaß der Einweihung des von der 
deutschen Turnerschaft gestifteten Georgii-Denkmals auf der Maille, 
zu beiden Seiten der Ihnen wohlbekannten zierlichen St. Nikolaus- 
Kapelle, dem Stile der Umgebung angepaßt, eine gotische Freitreppe 
von der Inneren Brücke nach der Maille hergestellt. 
Die Kosten der Treppe, ca. 6000 JL, wurden von der Stadt 
und durch private Beiträge gemeinschaftlich getragen. 
Die links und rechts angebrachten Kandelaber sind Entwurf 
meines Freundes, Professor Bischofs in Karlsruhe. 
In gleicher Weise entstand im vorigen Jahr in der Nähe der 
St. Agnes-Brücke ein Brunnenniodell mit den Büsten von Bismarck 
und Moltke. 
Der Bahnhofvorplatz ist seit mehreren Jahren mit gärtnerischen 
Anlagen und einsm Springbrunnen — Stiftung der Maschinenfabrik 
Eßlingen — ausgestattet und auf dem Martinsplatz wird im Laufe ^ 
dieses Jahres ebenfalls ein Monnmentalbrunnen aus privaten Mitteln 
erstehen. 
Für geistige Genüsse dient ein städtisches Theater, welches vor 
2 Jahren ini Innern sachgemäß restauriert wurde. Der Kugel'sche 
Saal unseres Kollegen Eisele ist den Herren allen wohlbekannt. 
Der Fürstenfelder Hof in der Strohstraße, eine mittelalterliche Kloster 
dependance, ist voriges Jahr in ein Restaurant umgewandelt worden. 
Sehenswert sind die darin erhaltenen Stuckdecken aus der Barockzeit. 
Oberhalb der Stadt auf dem rechtsufrigen Sirnauer Feld hat 
die Schützengilde ihr schön ausgestattetes neues Heim aufgeschlagen. 
Was unsere Industrie in der neueren Zeit zugelegt hat, haben 
Sie aus unserer Beteiligung an der, Stuttgarter Gewerbcausstellung 
gesehen. I 
Neue Etablissements sind in der Maschinenbranche, Fcilcnhancrei, 
Plaquewaren- und Werkzeugfabrikation, Essigbereitung u. a. entstanden, 
während die altbekannten Firmen ihre Anlagen vergrößern. 
Mit diesem erfreulichen Aufschwung geht auch die Erstellung 
hübscher Wohnhäuser Hand in Hand und wir werden bald in dieser 
Hinsicht andern Städten nicht mehr zurückstehen. Die mitgebrachte 
grafische Darstellung der Statistik über die Bauthätigkeit seit 20 Jahren 
verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Vorstands unseres Gewerbe 
vereins, dem Herrn Werkmeister und Stadtrat Albert Brinzinger. 
Es sind jetzt alle Anzeichen dafür vorhanden, daß die Kurven 
im neuen Jahre wieder bedeutend nach aufwärts gehen werden. 
Mit dem Wachstum der Stadt ist ferner hier auch einer 
Neuerung auf dem Gebiete des Feuerlöschwesens zu gedenken — 
der vor einem Jahr eingerichteten Weckerlinie — welche bezweckt, 
die Alarmierung der 700 Mann starken freiwilligen Feuerwehr auf 
Fälle von Großfeuer zu beschränken. 
Zufolge wiederholt von anderen Städten nach Eßlingen ge 
richteter Anfragen habe ich kürzlich in der Süddeutschen Bauzeitung 
eine Darstellung unseres Instituts gegeben. Ich erlaube mir, Ihnen 
einige noch vorrätige Zeitungsexcmplare mitzuteilen. 
Die Weckerlinie besteht, kurz gesagt darin, daß 25—30 Mit 
glieder der freiwilligen Feuerwehr, und zwar aus den sämtlichen 
Abteilungen, zu einer besonders ausgerüsteten Truppe unter Leitung 
des Feuerwehrkommandanten, bezw. dessen Stellvertreters zusammen 
gestellt werden, und daß diese bei kleinen Brandsällen allein in 
Funktion zu treten hat, während sie bei Großfeuer, vermöge ihres 
raschen Eingreifen?, wenigstens die erste Hilfe bringen wird. 
Die Alarmierung der Weckerlinienmannschaft geschieht mittelst 
elektrischer Glocken, welche in den Geschäftslokalen und Wohnungen 
der Betreffenden angebracht wurden. Der Zentralapparat befindet 
sich auf der Polizeiwachtstube. 
Selbstredend müssen solche Leute ausgewählt werden, welche in 
der Nähe des Depots wohnen und einen Beruf haben, bei dem sie 
in der Regel zu Hause sind. 
Die elektrische Einrichtung besteht aus dem Fenermelde- und 
dem Wecker-Apparat. Um bei Störungen der Leitung wenigstens 
einen Teil der Mannschaft sicher alarmieren zu können, sind drei 
getrennte Ringe angeordnet. 
Zur speziellen Ausrüstung der Truppe wurde ein Mannschafts 
wagen und eine mechanische Leiter angeschafft und in einem besonderen 
Depot im Rathause untergebracht. Die Pferde zur Bespannung fahren 
für gewöhnlich im Dienste der städtischen Bauverwaltung und dürfen 
dabei nur im engern Stadtbezirk verwendet werden. 
Die ganze Einrichtung kostete rund 10 000 JL Dieselbe hat 
nun ein volles Jahr funktioniert und gute Dienste geleistet. 
Statt der früheren Aufregung bei den geringfügigsten Brand 
fällen erfährt jetzt das Publikum meist die Neuigkeit erst andern 
Tags aus der Zeitung. Dabei verbleibt die Weckerlinienmannschaft 
im Verband der freiwilligen Feuerwehr und es findet außer einer 
kleinen Vergütung für Zeitversäumnis keine Bezahlung an die 
Weckerlinien-Mannschaft statt. 
Eine spezifische Eigentümlichkeit des Eßlinger städtischen Haus 
halts bilden die aus reichsstädtischer Zeit überkommenen Filialen, 
d. h. die eingemeindeten Weiler Mettingen, Sulzgries, Rüdern, 
Hohenacker, Krummenacker, Oberthal, Wäldenbronn, Wifliugshausen, 
St. Bernhard, Liebersbronn, Sirnau und Weil. Jedem Besucher 
der Stadt fallen diese vielen kleinen Ortschäftchen, welche die liebliche 
Hügellandschaft um Eßlingen beleben, vorteilhaft ins Auge. 
Für die Stadtgemeinde erwachsen aus dieser Zugehörigkeil 
mancherlei Verpflichtungen, abgesehen von Kirchen und Schulen, ins 
besondere betreffs Straßenbauten, und man darf wohl sagen, daß 
die Stadt sich ihre Aufgaben in den letzten Jahren hat sehr ange 
legen sein lassen, wie die neuerdings erstellten — bezw. in Aus 
führung begriffenen — Wiflingshauser Steige, die Stettener Straße, 
die Seracher Straße, der Verbindungsweg Sulzgries-Krummenacker 
und der Verbindungsweg Liebersbronn- Hegensberg, sowie eine An 
zahl Wasserversorgungen, zur Genüge beweisen. 
Insbesondere die Stettener Straße ist ein größeres Bauwesen, 
das hälftig von Eßlingen, hälftig von Stetten ausgeführt wird und 
im Ganzen rund 200000 jHs. kostet.
	        

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