Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1893-97)

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deren Lagen genau für jede Länge und Breite der Erde durch Rechnung 
bestimmt und in Tabellen eingetragen stehen. 
Auch in den Tropen jenseits des Aeguators finden wir zum 
Teil die gleichen Sternbilder wie Orion, Cassiopeia und a. m., welche 
auch unseren Nachthimmel in nördlichen Breiten schmücken. 
Wenn ich mich in kurzen Zügen den wesentlichsten Erklärungen 
derjenigen Faktoren zuwende, die nötig sind, um ein Bild der Ent 
wickelung der geographischen Ortsbestimmung zu geben, so geschieht dies, 
um darüber in der hoffentlich darauf folgenden Diskussion neben anderen 
Gesichtspunkten Anhalt zu geben. 
Auflösung mathematischer Formeln und Berechnungen lasse ich 
absichtlich aus, um den Vortrag nicht zu einem speziellen Fachvortrag 
zu stempeln, da überdies die Rechnungen und Zahlen ohne praktische 
Veranschaulichung uninteressant sein dürften. 
Nur das sei mir gestattet einzuschalten, daß diese astrono 
mische Zeit- und Ortsbestimmung, welche einen Teil der 
praktischen Astronomie bildet; oder umgekehrt — die geographische 
Ortbestimmung, die mit Hilfe der berechneten Lage der Himmels 
körper zur Erde Ausweis giebt, sich insbesondere mit der Lage der 
verschiedenen Himmelskörper gegen einen einzelnen Punkt der Erde, 
von dem Bcobachtungkpunkt aus, beschäftigt. 
Im Gegensatz zu terrestrischeu Messungen handelt es sich bei 
diesen Messungen nicht um Ermittlung der Entfernungen der 
anvisierten Gestirne von der Erde oder um deren Entfernungen von 
einander, sondern in erster Linie um die Winkel, Richtungsunter 
schiede der Sehstrahlcn vom Beobachtungspunkt reduziert auf den 
Horizont und den Null-Meridian nach dem Himmelskörper. 
Entfernungsbestimmungen der Gestirne, die in das Gebiet der 
vergleichenden, reinen astronomischen Beobachtungen und Berechnungen 
fallen, dienen dann, sobald große Gcnauigkeil für die gewonnenen 
Resultate gefordert wird, als vorhandenes nachschlagbares Material, 
als Korrektions- und Hilfswerte. 
Um der Lage der Gestirne eine Begrenzung zu geben, mit 
welcher, oder mit Bezug auf welche eine gegenseitige Raumlage 
denkbar ist, nimmt man eine ideelle Kugel an — welche man mit 
beliebig, ja unendlich großem Radius sich um den Erdmittelpunkt 
gezogen denkt, und welche wir kurzweg mit dem Ausdruck Himmels 
gewölbe bezeichnen. 
Als weiteres Charakteristikum ergiebt sich, daß abweichend von 
terrestrischen Messungen diese Winkel zum Horizont sich stetig, je 
nach dem Datum ändern, was durch unsere geneigte Erdaxe und die 
Rotation der Erde bedingt ist, wodurch eben auch die vielen Tabellen 
außer den logarithmischen Hilfstafeln unentbehrlich werden. Hieraus 
ergiebt sich auch selbstredend, daß ein weiterer Faktor mit in Rechnung 
gezogen werden muß, dies ist die Zeit. 
Wir erhalten als Zusammenstellung des bisher Angedeuteten, 
daß 4 Faktoren zu berücksichtigen sind: 
1) Bestimmung der Zeit, 
2) Bestimmung der Himmelsrichtung (Azimuth), 
3) Bestimmung der geogr. Länge, 
4) Bestimmung der geogr. Breite. 
Die Bestimmung der Zeit und der geogr. Länge sind nahe 
verwandt, ergänzen sich vielfach. 
Bei allen Beobachtungen von Gestirnen, die nahe dem Horizont 
gelegen sind, tritt, wie schon vorhin erwähnt, die Refraktion 
störend auf, da die wahre Höhe des Gestirnes, sei es die Sonne 
oder ein anderes Objekt, nicht der scheinbaren Höhe entspricht. 
So nehmen wir oft bei auf- oder untergehender Sonne, auch 
bei auf- oder untergehendem Mond eine prächtige Scheibe wahr, 
welche beim Aufgang schon sichtbar, wenn der eigentliche Körper noch 
gar nicht über den Horizont herausgetreten ist; und ebenso schon in 
Wirklichkeit untergegangen ist, (mehrere Grade unter dem Horizont 
liegt) wenn wir denselben noch als scheinbar untergehende Sonne 
oder Mond wahrnehmen. Es möge hier auch kurz erwähnt sein, 
daß bei allen Refraktionserscheinungen die Lufttemperatur sowie Luft 
feuchtigkeit eine Wirkung ausüben, die infolge dessen auch rechnerisch 
berücksichtigt werden muß. 
Messen wir die Höhe eines Gestirnes, so geschieht dies ia 
natürlich von unserem Standpunkt aus; wäre unsere Erde eine genaue 
Kugel, so würde eine Reduktion auf das Erdzentrum nicht nötig 
sein, die Ellipsoidgestalt bedingt aber eine solche, die die Bezeichnung 
Parallaxe trägt. 
Bei der Sonne, dem Mond, und denjenigen Planeten, die eine 
meßbare Scheibe haben, sind die Beobachtungen, wenn nur an einem 
Rand des Gestirnes erfolgt, nach vorheriger Befreiung von Parall 
axe- und Resraktionsfehlern, mit dem Halbmesser auf den Mittelpunkt 
des Gestirnes zu reduzieren. 
Der Ort eines Gestirnes am Himmelsgewölbe ist bekannt, wenn 
die Sternzeit seines Durchgangs durch den Meridian, seine gerade 
„Aufsteigung" (Rektascension) und seine Entfernung vom Aequator, 
„Abweichung" (Deklination) gegeben ist. Derjenige <$, welchen nun 
ein Gestirn, welches wir in einen größten Kreis, Stundenkreis, der 
gleichzeitig durch die beiden Pole geht. verlegt denken, mit dem 
Meridian bildet, den sog. Stundenwinkel, erhalten wir demnach aus 
der Differenz von Sternzeit und Rektascension. 
Aus dem sog. sphärischen Dreieck welches wir uns am 
Himmelsgewölbe jeweils denken können, welches sich aus dem be 
obachteten Stern, dem Zenith und dem Pol (Polarstern) bildet, 
ergeben sich für die Ortsbestimmung eine Menge von Gleichungen, 
mit Hilfe deren die gesuchten unbekannten Faktoren durch trigono 
metrische Rechnung sich finden lassen. 
Was die Wahl von Gestirnen in ihrer jeweiligen Höhe anbelangt, 
so eignen sich die Sterne die in der Nähe des Meridians durch 
dasZcnith gehen, wohl zu Zeit-, aber nicht zu Breitenbestimmungen. 
Durch Beobachtung ein und desselben Sternes östlich und 
westlich in gleicher Höhe entspricht das Mittel aus den beiden Be 
obachtungszeiten dem Durchgangsmoment durch den Meridian, für 
welchen die Sternzeit des betreffenden Ortes gleich die Rektascension 
des Sternes ergiebt. 
Sodann haben wir, wie bekannt, für unsere Erde einen größten 
Ausgangskreis um die Erdoberfläche zu denken, rechtwinklig zum 
Aequator durch die Pole gehend, also einen Längengrad, welcher als 
Null-Meridian verschieden angenommen wird. 
In Betracht kommen für Karten in Atlanten meist der Meridian, 
welcher durch die Pariser Sternwarte geht und um 2° 20' 2" östlich 
von dem auf See ausschließlich gebräuchlichen Meridian von Greenwich 
gelegen ist. — 
Sodann ist noch ein dritter viel angenommener Meridian zu 
erwähnen, der durch die Insel Ferro geht, welcher von Paris 20° 
westlich gelegen ist. 
Durch Annahme eines dieser Meridiane ist somit ein Punkt 
geographisch genau definiert, wenn seine geographische Länge und 
Breite bestimmt sind. 
Um einen Begriff der Beziehungen des Vorangegangenen zur 
gedachten Himmelsstellung zu erhalten, denken wir uns die Erde in 
die Mitte des Himmelsgewölbes gelegt, ferner die zur Erdbahn 
geneigte Axe über die Pole hinaus in gerader Richtung bis an's 
Himmelsgewölbe verlängert, so erhalten wir eine das letztere schneidende 
Gerade, um welche wir uns weiter das Himmelsgewölbe in Drehung 
denken. 
So ergeben sich für diese große Kugel, das Himmelsgewölbe, 
genau die gleichen Beziehungen, die uns in der mathematischen 
Geographie der Erde begegnen. — Wir erhalten demnach, gleich wie 
auf unserer Erde, Aequator, Parallelkreise, Wendekreise, Polarkreise, 
Pole. - 
Die in der Wissenschaft gebräuchlichen Ausdrücke Rektascension 
und Deklination eines Gestirnes lassen sich leicht definieren mit Zu 
hilfenahme unserer geographischen Länge und Breite. — 
Somit entspricht die Rektascension der geographischen Länge, 
die Deklination der geographischen Breite. 
Auf die Breitenbestimmung übergehend, ist voraus zu be 
merken, daß die Zeitfehler möglichst gering sein müssen, weswegen 
also diejenigen Gestirne den Vorzug bieten, deren Höhe während des 
Verlaufs der Beobachtung sich wenig verändert. 
Dies ist bei allen Sternen mit Ausnahme der Zenithsterne, in 
der Nähe des Meridians der Fall. 
Aus der gewonnenen Messung der Zenithdistanz eines Sternes, 
welche im Meridian erfolgte, ergeben sich wiederum mehrere 
Gleichungen bezüglich oberer und unterer Kulmination, deren Werte,
	        

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