Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

Firstziegeln erfüllt, und handelt es sich dann nur noch darum, die 
Firstblechabdeckung an den beiden Giebeln mit Ableitungen zur Erde 
zu versehen, wozu auch wieder ohne weiteres etwa vorhandene Blech 
verwahrungen der Ortgänge, Dachrinnen und Abfallrohren benutzt 
werden können, so daß man also in einem solchen Fall besondere 
künstliche Leitungen und insbesondere die die Blitzableiteranlage er 
heblich verteuernden Auffangstangen entbehren kann. 
Die deutsche und österreichische Militärverwaltung verzichten des 
halb auch neuerdings auf die Anwendung von Auffangstangen gerade 
bei den gefährlichsten Gebäuden, den Pulver- und Munitionsmagazinen. 
Ragen nun aber in der Nähe des Firstes einzelne Gebäudeteile über 
die Dachflächen empor, z. B. Schornsteinköpfe, so sind auch diese als 
wahrscheinliche Blitzeinschlagstellen in Rechnung zu nehmen und zu 
schützen. Es kann dies in einfacher und zweckmäßiger Weise durch 
die häufig, so wie so vorhandenen Blechrohraufsätze, durch eine Blech 
abdeckung steinerner Schornsteindeckplatten oder durch gußeiserne Deck 
platten geschehen, welcheselbstoerständlich mit metallischen Ableitungen 
oder Anschlußleitungen an die andern Dachleitungen zu versehen 
sind. 
In Ermanglung solcher natürlicher Auffangvorrichtungen genügt 
es aber auch, die Ableitungen oder Anschlußleitungen, welche beliebig 
aus Draht, Drahtseil, Bandeisen oder Kupferband bestehen können, 
über den Schornsteinkopf hinwegzuführen oder nur an denselben 
emporzuführen und einige Dezimeter über die Deckplatte hinausragen 
zu lassen. Die so gebildeten Auffangstängchen können oben beliebig 
stumpf oder spitzig endigen. 
Auch da, wo man besondere freistehende Auffangstangen nicht 
entbehren zu können glaubt, ist es ziemlich gleichgiltig, wie man die 
selben oben endigen läßt. Jedenfalls können die gewöhnlich für unent 
behrlich gehaltenen vergoldeten Kupferspitzen, Silber- und Platinspitzen 
gespart werden, nachdem man weiß, daß eine blitzschlagverhütende 
Spitzenwirkung der Auffangstangen nicht besteht und daß der Blitz, 
der Hunderte von Metern schlecht leitender Luft durchschlägt, durch 
eine dünne Oxydschicht an der Blitzableiterspitze nicht aufgehalten wird. 
Bei der Aufführung von Neubauten ist es sehr zu empfehlen, 
in der oben angegebenen Weise zu verfahren und die First- und 
Gratkanten der Dächer mit Blechstreifen statt mit Ziegeln zu ver 
wahren. Hierdurch, sowie durch die erforderlichen Schornsteinanschlüsse 
und die durch die Blechverwahrungen der Ortgänge, Dachrinnen und 
Abfallrohre gebildeten Ableitungen wird auf fast kostenlose Weise 
ein ziemlich wirksamer Blitzschutz erzielt. Jedenfalls sind dabei die 
Mehrkosten im Vergleich zur Gesamtbaukostensumme so verschwindend 
klein, daß bei keinem Neubau auf dieses einfachste Blitzschutzmittel 
verzichtet werden sollte; denn wenn auch, wie erwähnt, die Blitzgefahr 
bei städtischen Gebäuden eine sehr geringe ist, so ist es doch von 
nicht zu unterschätzendem Wert, wenn man während eines schweren 
Gewitters sich und die Seinigen damit beruhigen kann, daß man in 
einem gegen den Blitz geschützten Haus wohnt und nichts zu fürchten 
braucht. 
Soll nun aber ein bestehendes Haus, welches jene Blechver 
wahrungen der Dachkanten, metallenen Dachrinnen und Abfallrohre 
nicht oder nur teilweise besitzt, gegen den Blitz geschützt werden, so 
müssen eben die fehlenden natürlichen Leitungen durch künstliche er 
setzt werden. Hiezu können nach Belieben Blechstreifen oder Metall 
bänder, Drähte oder Drahtseile aus Eisen, verzinktem Eisen oder 
Kupfer verwendet werden. Was sich im einzelnen Fall als das 
Zweckmäßigste erweist, ist in dem von mir herausgegebenen Buch 
über den Blitzschutz der Gebäude näher ausgeführt und ist dort auch 
über die Verbindungsweise der einzelnen Leitungsteile und die Be 
festigung der Leitung das Erforderliche gesagt und zeichnerisch dar 
gestellt. Da, wie gesagt, eine vollständig metallische Kontinuität der 
Leitungen nicht unbedingt nötigt ist, es vielmehr genügt, wenn sich 
nur die einzelnen Leitungsteile mit entsprechend großen Flächen dicht 
berühren, kann man das auf dem Dach schwierig und kostspielig 
auszuführende Zusammenschweißen eiserner Leitungen und das be 
sonders bei Gebäuden mit leicht entzündlichem Inhalt feuergefährliche 
Löten der Leitungsverbindungen entbehren und sich mit Schrauben-, 
Muffen-, Laschen-, Schellenoerbindungen oder auch mit bloßen Ver 
schnürungen der Leitungsenden mittelst Bindedraht begnügen. 
Was nun die Erdleitungen betrifft, so liest man in den meisten 
Blitzableiterbüchern, daß das der weitaus wichtigste Teil eines Blitz 
ableiters sei. Als gute Erdleitung wird z. B. eine ins Grundwasser 
versenkte Metallplatte bezeichnet, welche bei der Prüfung mit der 
Meßbrücke einen galvanischen Erdübergangswiderstand von höchstens 
20—30 Ohm ausweist. Diese strenge Forderung glaubte man stellen 
zu müssen, weil der Blitz thatsächlich oft von Blitzableitern abge 
sprungen ist, welche eine nach diesem Begriffe schlechte Erdleitung 
besaßen. Ein aufmerksameres Studium der Blitzstatistik und der 
Vorgänge bei einer großen Zahl von Blitzschlägen lehrte aber, daß 
auch sehr häufig der Blitz Blitzableitern, welche eine ganz schlechte 
Erdleitung oder gar keine besaßen, gefolgt ist. Es konnte also in 
jenen anderen Fällen der Grund des Abspringens des Blitzes nicht 
in der schlechten Erdleitung allein gelegen sein. In meinem Buch 
über den Blitzschutz ist eine Reihe von Blitzschlagbeispielen beschrieben, 
wo der Blitz einfach vom unteren Ende der Regenabfallrohre aus, 
ohne daselbst die geringste Spur zu hinterlassen, zur Erde abgeleitet 
worden ist. 
Trotzdem darf der Wert der Erdleitungen nicht unterschätzt 
werden, denn erfahrungsgemäß wird die Neigung des Blitzes zum 
Verlassen des Blitzableiters in dem Maße vermindert, als ihm seine 
Ausbreitung in der Erde erleichtert wird durch Schaffung groß 
flächiger Berührungsstellen des Blitzableiters mit feuchter Erde. 
Bei Gebäuden, welche ausschließlich aus Stein und Holz und 
ähnlichen, die Elektrizität schlecht leitenden Baumaterialien bestehen, 
wird der Blitz nicht leicht von den guten Leitern, welche ihm die 
Dachkantenbleche, Dachrinnen und Abfallrohre oder andere Metall 
leitungen darbieten, abspringen, auch wenn nur eine schlechte Erd 
leitung oder gar keine vorhanden ist. Sobald sich aber irgend 
welche Metallmassen in der Nähe der Luftleitungen befinden, und 
seien es auch nur die Drähte vergipster oder verputzter Fachwerks 
wände und Decken, so besteht die Gefahr eines Abspringens des 
Blitzes vom Blitzableiter. Diese Gefahr kann jedoch durch gute Erd 
leitungen nur teilweise beseitigt werden. 
Die thatsächlich bestehende große Tendenz des Blitzes zum 
Verlassen anscheinend vorzüglicher Leiter ist nämlich noch auf einen 
weiteren Umstand zurückzuführen, auf den vor etwa einem Jahrzehnt 
der englische Physiker Oliver Lodge aufmerksam gemacht hat. Es 
ist die beim Durchgang des Blitzes durch den Blitzableiter auf 
tretende Selbstinduktion oder elektrische Trägheit, durch welche gleich 
sam eine Verstopfung im Blitzableiter erzeugt wird. Uebt man z. B. 
auf das durch eine Röhre fließende Wasser in der Längsrichtung 
des Rohrs einen sehr raschen starken Stoß aus, so widersteht das 
Wasser fast wie ein fester Körper und kann das Rohr platzen, wenn 
der Stoß stark genug ist. Aehnlich verhält es sich bei dem kurzen 
elektrischen Stoß, den der Blitzableiter aufzunehmen hat. Die elek 
tromotorische Kraft, welche nötig ist, um die plötzliche, durch die 
Selbstinduktion erzeugte Verstopfung im Blitzableiter zu überwinden, 
kann so groß werden, daß der Blitz eher den ungeheuer großen 
galvanischen Leitungswiderstand einer mehrere Meter dicken Luft 
schicht überwindet und auf in der Nähe befindliche Leiter oder Halb 
leiter überspringt, als daß er dem kontinuierlichen Blitzableiter folgt. 
Glücklicherweise kann nun aber die hiezu Veranlassung gebende 
Selbstinduktion auf ein völlig ungefährliches Maß vermindert werden 
durch entsprechende Vermehrung der Zahl der Ableitungen, durch 
möglichst geradlinige Führung und durch die Wahl möglichst groß 
flächiger Qnerschnittsformen der Leitungen. 
Der durch die Selbstinduktion bedingte, sogenannte scheinbare 
oder induktive Widerstand ist z. B. bei 2 Ableitungen 4 mal und 
bei 4 Ableitungen 16 mal geringer als bei einer einzigen Ableitung 
von gleich großem Querschnitt. Deshalb empfiehlt es sich, selbst 
bei den kleinsten Häusern statt nur einer wenigstens 2, besser aber 
4 Ableitungen, an jeder Hausecke eine, anzubringen. 
Spiralförmige Windungen in den Leitungen, durch welche die 
Selbstinduktion bedeutend erhöht wird, sind streng zu vermeiden.
	        

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