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Schwere der verdorbenen Luft ganz außer acht läßt und vergißt,
daß diese niemals durch den bloßen Temperaturunterschied, wie er
hier vorhanden ist, sich überwältigen läßt, was man stets auch in
geheizten Räumen wahrnehmen kann, sondern daß hier nur ein
kräftiger Luftzug Abhilfe schafft, der aber wieder einzig und allein
durch die größeren Gebäudeabstände in Wirksamkeit treten kann.
So ist in dem Gutachten, welches Dr. Rettich im Auftrag und
im Sinne des Stadtvorstandes abgegeben hat, weder zahlenmäßig
irgendwie glaubhaft nachgewiesen, daß der angegriffene Stadterweiter-
ungs-Entwurf mit der weiträumigen Anordnung der Gebäude die
Wohnungen verteuert, noch konnte es gelingen, die geschlossene Bau
weise als eine gesundheitlich empfehlenswerte darzustellen. Die Un
zulänglichkeit der Beweismittel in der Denkschrift ergiebt sich auch
daraus, daß Rettich trotz der vorgeschlagenen Zusammendrängung der
Bewohner in die auch an den Thalhängen hinauf fortgesetzten eng
bebauten Straßen gegenüber der offenen Bauweise nur auf wenig
Jahrzehnte länger Raum übrig hat für den normalen Zuwachs, der
nach den seitherigen Brobachtungen in Stuttgart vorauszusehen ist.
Ob die Eingemeindung weiterer Gebiete, welche auch Rettich
als unbedingte Notwendigkeit anerkennt, etwas früher oder später
durchgeführt werden muß — sie hat ja für Stuttgart schon begonnen
und wird demnächst auch auf dem für Industrie und Handel günstig
gelegenen Thalgebiete der Markung Cannstatt fortgesetzt werden —
kann für die Entwicklung nicht in Betracht kommen.
Viel schwerer würde es ins Gewicht fallen, wenn Stuttgart durch
Einführung einer geschlossenen Bauart an den Thalseiten hinauf bis
am die Höhen der anschließenden Rücken und Hochflächen sich nicht
nur zu einem gesundheitlich minderwertigen Wohnplatz Herabdrücken
würde, sondern wenn es auch um den schnöden Preis, etwas früher
200000 Menschen mehr zu beherbergen, dieselben aber dann in öden
Mietskasernen zusammengedrängt zu sehen, auch noch auf den Schmuck
der Gärten und der öffentlichen Anlagen, der schönen leicht erreich
baren Aussichtspunkte und der charakteristisch und künstlerisch durch
gebildeten Wohnstätten beinahe ganz verzichten müßte.
Nicht um Erhaltung des landschaftlichen Charakters der Um
gebung handelt es sich, wie Rettich durchaus unrichtig annimmt; das
ist selbstverständlich, daß der landschaftliche Charakter einer Gegend
verloren gehen muß, wenn dieselbe zum Stadtgebiet wird. Aber
darum handelt es sich, daß das Städtebild nicht eine tote Steinmasse
zeigt, daß überall, wo es angeht, und das ist in den Wohnbezirken
jeder Stadt der Fall, der Natur und der Gartenkunst Gelegenheit
gegeben wird, ihre Schwingen zu entfalten, die Härten und Unzu
träglichkeiten, welche das Zusammenwohnen vieler Menschen mit sich
briugt, zu mildern und jene herzerfreuenden Bilder zu schaffen, die
allein durch inniges Zusammenwirken von Baukunst und Natur ent
stehen können und die nicht nur ein Gut des Besitzers und Benützers
sind, sondern die zum Allgemeingut werden, weil es auch den Vor-
übergehehenden aus der Nähe und aus der Ferne erquickt, wen.! die
edlen Formen eines Gebäudes harmonisch herauswachsen aus präch
tigen Baumgestalten und blühenden Gebüschen, aus denen Vogelgesang
hervortönt, und die in dieser Vollkommenheit nur in Privatgänen
und nicht in öffentlichen Anlagen gepflegt werden können, oder wenn
ein herrlicher Blumenflor das Auge erfreut. Wo bleiben diese An
lagen, wenn enggeschlossen und hoch auch in den Außenbezirkeu ge
baut wird, und was dann, lvenn das schöne Stuttgarter Thal mit
solchen Steinkolossen vollgepfropft ist und in der Umgebung überall
die Schornsteine rauchen? Wahrlich, ein wenig erfreuliches Zukunfts
bild für die Mitte des neuen Jahrhunderts.
Besonders ist aber noch darauf hinzuweisen, daß die offene
Bauweise nicht nur für Villenquartiere geeignet und notwendig ist,
sondern daß die Arbeiterwohnungen in noch hervorragenderem Maße
eine solche bedürfen. Falsch ist es überhaupt, hier eine willkürliche
Trennung von Wohnquartieren nach Gesellschaftsklassen zu machen;
diese Trennung tritt von selbst ein, und die Stadtverwaltung hat im
Gegenteil die Aufgabe, die Schärfe derselben wo immer möglich zu
mildern und zu beseitigen. Viele Städte, z. B. Ulm, haben mit
diesem System schon vorzügliche Ergebnisse erzielt und zwar dadurch,
daß frischweg die Stadtverwaltungen selbst den Bau der Arbeiter-
wohnhäuser in Angriff genommen und hiermit der besonders in dieser
Richtung durchaus unzulässigen Spekulation mit den Bauplätzen und
mit den Bauten selbst die Spitze abgebrochen haben.
Der Zwiespalt, der durch dieses Vorgehen des Stuttgarter
Stadtvorstandes und seines Gemeinderates in die Kreise der Haupt-
und Residenzstadt Stuttgart getragen worden ist, hat aber deshalb
ein allgemeines Interesse, weil es dringend notwendig erscheint, solche
Uebergriffe auf das Gebiet des Architekten und Ingenieurs, sowie
des Hygienikers auf das entschiedenste zurückzuweisen. Die dadurch
entstehenden Fehler werden schließlich doch dem Techniker aufgebürdet,
da sich derartige Einflüsse später leicht zu verbergen in der Lage sind
und gewöhnlich dem ausführenden Techniker, wenigstens in den Augen
der Menge, die volle Verantwortung zufällt. Aber nicht nur im
Interesse der städtischen Techniker, hauptsächlich zu Gunsten der Ent
wicklung unserer Städte sind diese Anschauungen zu bekämpfen; denn
manche Beispiele zeigen schon, daß derartige Fehler sich in den ge
sundheitlichen Verhältnissen bitter rächen und schwer oder niemals
wieder gut zu machen sind.
Personalnachrichten.
Straßenbauinspektor Baurat Stapf ist aufseinen Wunsch von
Ellwangen nach Ravensburg versetzt worden.
Den Regierungsbaumeistern Beißwänger und Burger in
Stuttgart wurden die erledigten Jnspektorstellen bei der Gebäude
brandversicherungsanstalt übertragen und denselben der Titel und
Rang eines Bauinspektors verliehen.
Regieruugsbaumeister Buck bei der K. Domänendirektion wurde
seinem Ansuchen entsprechend aus dem Staatsdienst entlassen.
Heran«,egeden »am Würtlemd. Verein für Santinnde. Für denselben! Vanlnspektor Aeitzling. — Drück non Alfred Müller * fflo. — verlaa non S. Weil»',
Hofbnchhandlnng, sämtlich l« Ltnttgarl.