Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

Fig- 1. 
jener Bauernkünstler habe sich nämlich dadurch Luft gemacht, daß 
sie mittelst einer brennenden Oelampel die Deckenflächen in rythmischer 
Folge mit schnecken- und blumenförmigen Gebilden in verschiedenen 
Rußnüancen dekorierten. 
Nun schritt Redner zu der Erläuterung seiner oben erwähnten 
Auslese von Zeichnungen, welche sich auf ca. 60 württembergische 
Kirchen bezogen und suchte hiebei insbesondere auf die verschiedenen 
Erweiterungsmöglichkeiten bei vorhandenen Kirchen hinzuweisen. 
Gruppe I. Nestaurationen ohne Erweiterungen an den Um- 
fassnngswänden. Als erste Gruppe war eine reichhaltige Auswahl 
von Restauralionsprojekten vorgeführt, bei welchen die Grundflächen 
zwischen den allen Umfassungswänden keinerlei wesentliche Erweiterungen 
erfuhren. Entweder handelte es sich hiebei um Erneuerung des 
ganzen Einbaues, wobei es durch zweckmäßige Ausnützung des Raumes 
möglich war, das vorhandene Sihplatzbedürfnis zu be 
friedigen oder hat man den in der Regel durch die 
Entfernung der Orgel aus dem Chore sich ergebenden 
Verlust an Sitzplätzen durch eine zweite Quereinpore 
im Schiff zu decken gesucht (Illingen, Fig. 1). Wo 
aber die Platzbedürfnisse noch größer waren und nur 
ganz bescheidene Mittel zur Verfügung standen, hat 
man sich zur Erbauung von zwei übereinander liegenden Längs 
emporen entschlossen, wobei die oberen Emporen eine triforienartige 
usbildung erhielten, was architektonisch viel hübscher wirkt, als jene 
zweiemporigen Kirchenvergrößerungen, welche im sog. 
Kameralamtsstil in den zwei ersten Dritteln dieses Jahr 
hunderts vielfach ausgeführt wurden (Besigheim, Walheim 
u. a., Fig. 2). Bei der triforienartigen Lösung sind die 
oberen Emporen dem Dachraume entnommen, sie sind 
dementsprechend weniger tief und mit dem überhöhten 
Mittelschiff durch Arkaden verbunden. Dieser Gedanke ^>g. 2. 
ist in der Kirche zu Oberroth (Fig. 3) zur Ausführung 
JL gebracht, auch für Kochendorf*) war ein sorgfältig ge- 
zeichneter Entwurf (Fig. 4 u. 5 Tafel) vorgeführt, bei 
welchem in origineller Weise der Dachraum für den 
Kirchenraum nutzbar gemacht wurde. 
Für Mittelfischach wurde in primitivster Weise der 
Gedanke einer zweiten Empore als Provisorium durch 
geführt, weil die Mittel zu anderweitiger Vergrößerung der Kirche 
sich nicht beschaffen ließen. 
Die alten Deckenbildungen im Schiffraume haben bei diesen 
inneren für Holzbau entworfenen Erneuerungen in beinahe allen 
Fällen insofern Aenderungen erfahren, als dieselben mit Zuhilfenahme 
des Raumes über dem untersten Dachgebälk als gesprengte Decken 
ausgeführt wurden, sei es nun, daß dieselben die ganze Breite des 
Schiffes in Vieleckform tonnenförmig überspannen, wobei . 
in manchen Fällen die Anwendung von Deckenoberlicht 
gute Dienste leistete, (Beuren*, Heumaden (Fig. 6), Holz. 
hausen* (Fig. 7 Tafel), Illingen, Neuhausen ob. Eck, Ott- 
marsheim* Oeschelbronn, Uhlbach, Weissach*,) oder daß der 
Schiffraum in 2 oder 3 Längsschiffe derart geteilt wurde, f> 
daß man in den Seitenschiffen die horizontale Deckenform beließ und 
nur über dem Hauptschiff die gesprengte Deckenform in Anwendung 
brachte (Backnang* Bietigheim (Fig. 14), Kornwestheim, Sersheim*), 
wobei es oft willkommen schien, zur besseren Erhellung 
A der Kirche an den senkrechten Teilen des überhöhten 
Mitelschiffs Fenster anzuordnen, welche von 
NPR durch das Dach geführten Lichtschächten ihre 
Helle erhalten (Baiersbronn, Laufen-Herberg 
(Fig. 8 u 9), Kochendorf* (Fig. 4 u. 5 Tafel), 
Oberroth (Fig. 3), Unterjesingen, Göppingen 
(Oberhofenkirche Fig. 10 u. 11) Hier sei 
auch zu erwähnen, welche Vorteile die schrägen 
Emporendecken in Bezug auf die Lichtzufnhrung für die darunter 
befindlichen Räume bieten. 
Fig. 3. 
Fig. 8. 
Fig- 9. 
*) Bei den mit * versehenen Orten handelt es sich um Projekte, welche 
zur Zeit noch nicht ausgeführt sind. 
Fig. 10 
Prinzip 
Bemerkenswert sei, daß die gesprengten Deckenbildungen sich in 
den meisten Fällen ausführen ließen, ohne die alten Dachstühle ab 
nehmen zu müssen, so daß die ganze Arbeit 
im Trockenen vor sich gehen konnte. Nur 
in denjenigen Fällen, wo sich die Erhöhung 
der Schiffmauern empfehle, müsse der Dach 
stuhl abgebrochen werden. 
Gruppe II. Zwcischisstge Anlagen. 
Interessant war auch der Hinweis auf die 
Zweckmäßigkeit der als zweite Gruppe vor 
geführten zweischiffigen Anlagen bei kleinen 
und mittelgroßen Kirchen, das hierinliegende Prinzip sei bei den 
meisten Württembergischen Landkirchen von der Reformationszeit her 
zuleiten. indem man bei den meisten dieser Kirchen sehe, daß wenn 
außer der Querempore noch weitere Emporenfläche zu gewinnen war, 
dieselbe durch Anordnung von nur einer Längscmpore erreicht wurde, 
während die andere Längswand des Schiffes freiblieb und der Kirche 
ungehindert Licht zuführte. Die Kanzel stehe dann immer am Ende 
dieser freien Längswand, wodurch der Geistliche beinahe von allen 
Plätzen im Schiffraume gesehen werden könne. 
Wo dieses Auskunftsmittel damals nicht ausreichte, 
habe man öfters eine der Längswände (meist 
die nördliche) abgebrochen und entsprechend 
nach außen gerückt (Bietigheim, Kornwestheim, 
Oberfischach (Fig. 12 u. 13), Satteldorf. 
Sersheim, Schwabbach, Weiler z. St. u. dgl.), 
wodurch der Chor oft in unschöner Weise 
aus der Mitte des Schiffs gerückt schien, 
wie es natürlich scheinen sollte, auf dem 
sei es in manchen Kirchen umge- 
Flg. 
Anstatt die 
erbreiterten 
Längsempore 
Schiffteil anzuordnen, 
kehrt gemacht worden, so daß oft die Längsempore weit in das Licht 
des Chorbogens hereinrage und dort meist mit der im Chor errichteten 
Orgelempore in Verbindung stehe. 
Da die Alten sich bei solchen Kirchenerweiterungen meist nur 
mit der Lösung der praktischen Seite der Aufgabe begnügten, wurden 
diese Längsemporen ohne irgend eine Wechselbeziehung zur Deckcn- 
bildung in den Schiffraum hineingestellt. Denke man sich aber die 
erwünschte Wechselbeziehung durchgeführt, so habe man die zwei- 
schiffigc Kirchenanlage vor sich, wie solche die Neu 
zeit vielfach bei Neubauten anstrebe. 
In welcher Weise sich solche einerseits er- 
breiterte Schiffrüume auch künstlerisch zu organisch 
durchgeführten zweischiffigen Anlagen umgestalten 
lassen, davon legten die teils schon aus dem Anfang 
der 80 er Jahre herrührenden Pläne für die Kirchen 
der oben zuletzt genannten Orte Zeugnis ab. In 
Bietigheim (Fig. 14) sei nach demselben Prinzipe 
eine dreischiffige Anlage mit zwei sehr ungleich breiten Seitenschiffen 
entstanden, deren Ungleichheit jedoch bei der angewendeten architck- 
«ü w tonischen Ausbildung in keiner Weise störend wirke. Auch 
. . , bei der Kirche zu Oberroth (Fig. 3,15 u. 16) 
s: H j haben die Längsaxen des Schiffs und des 
als Chor dienenden Turmunterteils nicht zu 
sammen getroffen. Beim innern Umbau habe 
man alsdann auf einer Seite im Chor eine 
schmale Empore ein- 
Fig. 15. Fig. 16. gefügt und hiedurch 
die Choraxe in die Schiffaxe eingerückt, 
welche Anordnung infolge der dortigen Decken 
ausbildung und des neuen Chorfensterdurch 
bruchs einen ganz harmonischen Eindruck 
macht. In Sulzbach a. Kocher habe man 
gelegentlich der Erbauung eines neuen Kirch 
turmes Anlaß genommen, aus Zweckmäßig 
keitsrücksichten durch die Stellung des Turmes 
eine zweischiffige Anlage zu erzielen (Fig. 17 u. 18). 
Daß das alte Auskuuftsmittel, die eine der beiden Längswände 
nach außen zu rücken, auch heute noch durchgeführt wird, davon 
i 
Fig. 18.
	        

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