Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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zur Kanzel sehe und gut höre (Roßwag* Fig. 36, Scharnhausen* 
Fig. 37, Untergruppenbach*)/ Hin und wieder lasse sich auch in solch 
seitlichem Ehoranban unter dem Emporenraum die Sakristei anordnen 
(Möglingen und Möckmühl). 
Gruppe VI Kreuzsörmige An 
lagen. Die sechste Gruppe zielte auf 
kreuzförmige Kirchen ab und war in drei 
sehr interessanten Beispielen vor Augen 
geführt. Der eine Fall behandelte die 
bedeutende Vergrößerung der kleinen Kirche 
zu Schramberg (Fig. 38). Die frühere, 
erst vor 26 Jahren erbaute Kirche bildete 
nur ein länglich rechteckiges Schiff mit 
anschließendem rechteckigem Chor. Die 
Längsaxe der Kirche stand senkrecht zu dem 
hügeligen Baugelände, so daß dieser Ban 
an der Chorseite einen tiefen Einschnitt ver 
ursachte. Um nun unter Vermeidung kost 
spieliger Grabarbeiten und bei möglichster 
Schonung der vorhandenen Kirche eine 
wesentliche Vergrößerung herbeizuführen, griff 
der Baumeister zu dem Auswege, den vor 
handenen Kirchenraum als Querhaus zu 
benützen, westlich ein Langhaus mit Hauptturm und östlich eine 
Choranlage mit Sakristei anzubauen. Der frühere Chor wurde so 
wohl im Erdgeschoß als auch darüber mit Sitzplätzen ausgefüllt und 
dient zu ebener Erde mit Hinzuziehung des davorliegenden Quer 
schiffraumes als ein mit Rollläden abschließbarer Konfirmanden- oder 
Betsaal. Auch in anderen Projekten konnte man das Bestreben nach 
Gewinnung solcher Konfirmandensäle beobachten, sei es wie hier unter 
einer Querschiffempore, oder unter der Orgelempore, oder seitlich vom 
Langhaus. Ueberall 
waren diese Neben- 
ränme als Bestand 
teile des gottes 
dienstlichen Haupt 
raumes gedacht 
(Waiblingen*, 
Korb*, Göppingen 
(Stadtkirche), Hall 
lSt. Katharina). 
Ein weiteres Beispiel ähnlicher Art zeigte die Vergrößerung der Kirche 
zu Oberroth* und Bückingen* (Fig. 39), zu welch letzterer noch eine 
Variante (Fig. 40) vorlag, in welcher der quer eingeschaltete Neubau 
auf beiden Seiten gleich weit vorspringt, so daß dadurch ein quer 
laufendes Langhaus entstand, bei welchem in der Mitte der einen 
Langseite die Turmhalle als Chor benützt war. Eine ähnliche An 
lage zeigt bekanntlich die reizende Schloßkirche in Stuttgart, welches 
Vorbild dem Vortragenden schon mehrfach bei 
Projekten Anlaß gab, eine Nutzanwendung zu 
versuchen, so bei einem Vorprojekt zur Friedhof 
kirche in Reutlingen (Fig. 41), ja sogar bei einer 
Kirche größeren Umfangs, bei der Stadtkirche zu 
Göppingen*. 
Gruppe VII. Anbau des Hauptkirchen- 
raums an vorhandenen Chorbau. Nun kamen als siebente Gruppe 
diejenigen Kirchennmbauten in Betracht, bei welchen nur noch die 
Choranlage einer Erhaltung wert ist, so daß der neue Anbau sich 
auf den ganzen Schiffbau bezicht. Unter diesem Gesichtspunkt fanden 
wir die ausgeführte St. Katharinenkirche zu Hall (Fig. 42) und ein 
Projekt zur Stadtkirche in Ebingen* als dreischifsige Kirchen vorge 
führt. In letzterem Projekt war die Erhaltung der alten steinernen 
Schiffsäulen noch in den Neubau hereingezogen. Als Variante zu 
letzterer Kirche verdient hier auch ein Projekt mit Anlehnung an die 
moderne Radialanlage erwähnt zu werden. 
Gruppe VIII. Große Grundrißanlagen. Eine achte Gruppe 
befaßte sich mit großen Grundrißanlagen, deren neue Stuhlungs 
einteilungen zeigten, mit welcher Vorsicht man bei der Verteilung des 
Fig. 41. 
( I 
Fig. 43. 
Gestühles verfahren muß, um jeder Stuhlungsgruppe eine Richtuna 
zu geben, bei welcher ein Schauen nach Altar und Kanzel möglich 
ist. Je näher die beiden letzteren beisammen liegen, um so leichter 
sei dies durchführbar. In großen Kirchen sei dies jedoch selten der 
Fall, deshalb stoße der Baumeister oft auf Uebelstäude, welche einen 
mehr oder weniger großen freien Platz vordem Altar fordere, um dort mit 
Hilfe von losen Einzelstühlen zu ermöglichen, sich je nach Bedürfnis 
gegen die Kanzel oder gegen den Altar setzen zu können. Als Bei 
spiele von größeren Stuhlungsanlage» waren die meist ausgeführten 
Projekte der Stadtkirchen von Blaubeuren*, Bietigheim, Geislingen 
a St., Göppingen (Oberhofenkirche*), Hall (St. Michael*), Kirch- 
heim u. T., Urach und Vaihingen a. E. 
Eine besondere Sorgfalt hatten hiebei die Orgelemporen der 
meisten dieser Kirchen erfahren, indem hiebei angestrebt wurde, diese 
Orgelemporen höher zu legen als die Seitenemporen, damit dem an 
der Kopfseite der Kirche eintretenden Beschauer ein 
freierer Blick in das Langschiff ermöglicht ist. Ori 
ginell erdacht waren die Orgelemporen für die Stadt 
kirchen zu Urach und Blaubeuren (Fig. 43 u. 44 (Tafel), 
bei welchen im Interesse der Abhaltung von Kirchen 
konzerten besondere Rücksicht auf den Standort der 
Sänger und des Dirigenten genommen wurde. 
Von den in den obigen Gruppen angeführten Grundrißtypen 
waren auch einzelne Neubauentwürfe vertreten, so als kleine ein 
schiffige Kirche diejenige für Unterboihingen, als kleine zweischiffige 
Kirchen diejenigen für Göggingen, Großdeinbach, Häslach und Holz 
bronn* als kleine dreischifsige Kirche die Friedhofkirche zu Reutlingen 
(Fig 46), als Kirche in lateinischer Kreuzform diejenige für Söflingen 
und in griechischer Kreuzform diejenige für Zuffenhausen*. 
Ein Vergleich der einzelnen Grundrißlösungen zeigt auch, wie 
vielseitig die Anordnung von Treppenanbauten bei den Kirchcner- 
neuerungen gelöst werden kann. 
Gruppe IX. Kirchturmbautcn. Eine besondere Beachtung 
fand auch eine Anzahl von Kirchmrmbauten. Sie wurden als 
neunte Gruppe vorgezeigt, teils als Neubauten, teils als Um- oder 
Ausbauten. 
Mit welcher Mühe und Sorgfalt solche Turmlösungen verbunden 
sind, davon zeigten sieben verschiedene Skizzen zum Ausbau des in 
länglicher Achteckform gestalteten alten romanischen Turmes an der 
St. Katharinenkirche zu Schwäb. Hall. Hier und an dem Kirchturm 
zu Schramberg hat die Kupfereindeckung eine künstliche Patina er 
halten und zwar durch das überaus einfache Mittel eines zweimaligen 
Anstrichs mit Häringsauce. Vielfach war bei diesen Kirchturm 
bauten neben Gewinnung eines geräumigen Glockenhauses und der 
Unterbringung von Uhrtafeln auch das Bedürfnis nach Aussichts- resp. 
Musikaltanen zu befriedigen. Letzteres wurde in dem Entwurf zum 
Neubau der Oberteile der zwei Türme an der Stadtkirche zu Murr 
hardt* durch einen über dem Chordach sich erhebenden Verbindungs 
gang erreicht. Die Ausbildung dieser beiden Turmoberteile mit 
Verbindungsgalerie lehnt sich strenge an die romanischen Formen der 
angebauten berühmten Walderichskapelle an. 
Besonderes Interesse erregte die Art und Weise, wie in dem 
Restaurationsprojekt zu der Göppinger* Stadtkirche der in den nüch 
ternsten romanisierenden Formen um die Mitte dieses Jahrhunderts 
neu aufgebaute Kirchturm dem Renaissancestil des alten Kirchenschiffs 
angepaßt werden kann. Türme mit Steinhelmen waren in ver 
schiedener Formgebung vorhanden (Bissingen u. T., Holzhausen* 
Reutlingen (Friedhofkirche), Wannweil und Ebingen*). Als Repräsen 
tant der Eiseukonstruktiou sei hier der Turmhelm der Stadtkirche zu 
Urach erwähnt, bei welchem uns unter anderem auch die zweckmäßige 
Befestigungsweise anregte, welche bei sicherem Halte doch eine freie 
Bewegbarkeit der Holzschalung zuläßt. Darüber ist Rauteneindeckung 
in Kupfer ausgeführt. 
Als ganz neu wurde die Helmkonstruktion für den Kirchturm 
zu Söflingen bei Ulm vorgeführt. Dieser Helm sei nämlich aus 
10 cm dicken und ca. 40 cm hohen Zemcntkunststeinplatten in Ver 
bindung mit einem leichten inneren Eisengerippe konstruiert, den 
Gräten entlang laufen am Aeußern Zoreseisen, welche mit den inneren
	        

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