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schule und deren Senat zn ihrem neuesten Erfolge herzlichst zu
beglückwünschen.
Möge das mit dem neuen Jahrhundert empfangene Recht zu
fernerem Blühen und Gedeihen der Hochschule beitragen und auch
für alle Fachgenossen in Wissenschaft und Praxis ein neuer Sporn
zu weiterer gemeinsamer Förderung unserer Standesintercssen werden.
Mit dem Ausdrucke unserer vollkommenen Verehrung namens
des Vereins für Baukunde.
Stuttgart, den 5. März 1900.
Der Vorstand:
(Namensunterschriften.)
Das iicur Rathaus in Stuttgart.
Vortrag zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Königs, gehalten am 25. Februar 1900 in der König!. Technischen Hochschule zu Stuttgart
von Professor H. Jassoy. Mit einer Abbildung.
Hochverehrte Festversammlung!
Nach den siegreichen Kämpfen des Jahres 1870, nach welchen
sich Deutschland so mächtig entwickelte, zeigte sich sehr bald dieser
allgemeine Aufschwung in den Residenz- und Provinzialhauptstädten
unseres deutschen Vaterlandes.
Durch den im Land sich mehrenden Wohlstand bildete sich ein
Zug nach den vorgenannten Städten, deren Einwohnerzahl sich in
verhältnismäßig kurzer Zeit dadurch sehr vergrößerte und deren Be
bauung sich wesentlich ausdehnte. Daniit erweiterte sich naturgemäß
auch das Arbeitsfeld der Kommunalverwaltungen. In den meisten
Residenzstädten zeigte es sich bald, daß die Verwaltungsgebäude der
selben (die Rathäuser) nicht mehr groß genug waren, um die ver
größerten und vermehrten Beamtungen aufzunehmen.
Man schritt zunächst dazu, die durch neue Gesetze und Wohl
fahrtseinrichtungen notwendig werdenden Beamtungen in anderen
städtischen Gebäuden unterzubringen, oder dafür in gemieteten Räumen
Platz zu schaffen. In kurzer Zeit zeigten sich die Uebelstände dieser
gezwungenen Dezentralisation.
Durch das Zusammenschließen wissenschaftlicher, künstlerischer
und technischer Vereine und Körperschaften innerhalb des gesamten
deutschen Reiches wurden notwendigerweise deren Versammlungen zn
Wandelversammlungen und abwechselnd in den größeren Städten des
Reichs abgehalten. Die Städte wurden dadurch in die Lage versetzt,
bei Eröffnungen derartiger Versammlungen und Kongresse zu reprä
sentieren. Auch diesen Verhältnissen entsprachen die alten Rathäuser
kaum mehr, und so erstanden in fast allen größeren Städten neue
Rathäuser, die im stände waren, sowohl die vergrößerten und ver
mehrten Beamtungen aufzunehmen, als auch einer diesen Städten
würdigen Repräsentation zu dienen. j
So hat sich auch in unserer Stadt, deren Wohlstand sich wie j
int ganzen Land unter der gesegneten Regierung unseres allergnädigsten
Königs, dessen hohen Geburtstag wir heute zn feiern die Ehre haben,
durch große Steigerung der Einwohnerzahl das Bedürfnis nach einem
neuen Rathause geltend gemacht.
Auf Grund eines von den städtischen Behörden aufgestellten
Programms wurde im Jahre 1895 zur Erlangung von Entwürfen
ein Wettbewerb unter den deutschen, österreichischen und schweizerischen
Architekten ausgeschrieben. Dieser Wettbewerb war der größte bisher
in Deutschland und hat 206 Bewerbungen erfahren. Als Bauplatz
war das Grundstück des alten Rathauses mit den umgebenden Häusern
bis zur Metzgergasse vorgesehen.
Die Entscheidung fiel zu unseren Gunsten aus. Nach weiteren
Verhandlungen der städtischen Körperschaften wurde der Bauplatz :
bis zur Küferstrabe vergrößert und wir mit der Ausarbeitung eines
Projekts für Viesen Bauplatz betraut.
Im Jahre 1898 wurde der Plan zur Aussühruug des „großen
Rathauses" von den städtischen Körperschaften beschlossen.
In demselben Jahre wurde uns der ehrenvolle Auftrag, nach
dem zweiten Projekt das Rathaus für unsere Haupt- und Residenz
stadt zu erbauen.
ES wurde beschlossen, den Bau in zwei Perioden auszuführen,
da bei gleichzeitiger Inangriffnahme des ganzen Bauwerks durch
Niederleguug des alten Rathauses sowohl als der anderen Gebäude
am Markt, eine vorläufige Unterbringung der in diesen Gebäuden
enthaltenen Beamtungen in Mietsräumen notwendig geworden wäre.
Der Bau der ersten Periode, umfassend die Gebäudeteile Küfer-,
Hirsch- und Eichstraße bis zum Mittelbau, sowie letzteren selbst, soll
nach Vollendung 1901 die in den Gebäuden am Markt enthaltenen
Beamtungen aufnehmen.
Der Bau der zweiten Periode, umfassend die Gebäudeteile
Hirsch-, Eichstraßc, sowie Marktplatz, soll sodann begonnen und Ende
1903 der Benutzung übergeben werden.
Das nunmehr in Ausführung begriffene Projekt wurde am
28. April 1899 von Seiner Majestät dem König und dem K. Mini
sterium genehmigt.
Jedes Bauwerk, ganz besonders aber ein Verwaltungsgebäude,
stellt dem Architekten eine zweiteilige Aufgabe: Der erste Teil ist
mehr technischer Natur und findet seine Lösung in Grundriß, Kon
struktion und Ausbau, der zweite Teil, rein künstlerischer Art, be
handelt die Formengebung und ästhetische Entwicklung des ganzen
Bauwerks.
Von der Lösung des ersten Teils der Aufgabe hängt im
wesentlichen die Betriebsfähigkeit, und somit auch die Brauchbarkeit
eines Verwaltungsgebäudes ab. Von diesem Standpunkt aus gilt
cs zunächst bei der Gesamtanlage die Raumanordnungen so zu treffen,
daß alle, selbst die untergeordnetsten Nebenräume, direkte Luft- und
Lichtzuführung erhalten. Es dürfen die Raumtiefen für Arbeits
räume nicht über eine bestimmte Grenze hinausgehen, wofür bei
diesen Räumen eine solche von 7 m das erfahrungsgemäßc Maximum
ist. Auch aus konstruktiven Rücksichten dürfte dieses Maß nicht
überschritten werden.
Die Tagesbeleuchtung der Arbcitsräume muß von den Straßen
oder wenigstens glcichbreiten Höfen angenommen sein.
Treppenhäuser und Korridore eines öffentlichen Gebäudes
dürfen nie eine andere als direkte Beleuchtung erhalten. Oberlicht-
beleuchtung soll, da dieselbe immer große Betriebsnachteile ergiebt
und sich nicht cinwandsfrei konstruieren läßt, vermieden werden. Die
Toiletten- und Kloseträume sollen unter allen Umständen mit direkter
Beleuchtung und dadurch auch Lüftung versehen sein.
Die Klarheit in der Anlage der wichtigsten Teile des Innen
ausbaues, der Heizungs- und Ventilationsanlagen, Gas-, Wasser-
anlagen, sowie elektrischen Beleuchtungs- und Telegraphenleitungen,
bedingen hauptsächlich die gute Verwaltung des Gebäudes selbst
sowohl, als dessen gesamte Benutzung.
Da man mit der Möglichkeit event. Störungen vorgenannter
Einzelbetriebe immerhin rechnen muß, so ist cs dringend wünschens
wert, daß jeder derselben in seiner ganzen Leitungs-Ausdehnnng
zugängig und übersichtlich ist.
Wir Architekten müssen entschieden von dem lange verfolgten
Prinzip des Versteckens dieser Leitungsanlagen in Putz und Decken
konstruktion unter Anerkennung der außerordentlichen Betriebswichtig
keit derselben abgehen, und Anlage und Konstruktion nicht der Willkür
der Unternehmer und Handwerker überlassen, sondern ebenso gut einer
gründlichen Durcharbeit unterziehen, wie die Architektur des Gebäudes
selbst, und diese Anlagen organisch dem ganzen Bauwerk einfügen.
Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte sind die Grundrißanord-
nuilgcn des vorliegenden Projektes entstanden, welche ich an der Hand
der vorliegenden Pläne jetzt näher erklären möchte.
Den Bauplatz begrenzen Marktplatz, Hirsch-, Küfer- und Eich
straße, und ist die Gcsamtanlage so gedacht, daß die Gebäudeteile