Volltext: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Wendungen kehren sich vielmehr im wesentlichen gegen die vorge 
schlagene Zoneneinleilung und die Anbauvorschriften. Erwünscht 
scheint dem Verein noch eine Begutachtung des Entwurfts vom künst 
lerischen, insbesondere architektonischen Standpunkte aus.* 
Die von Stadtbaurat Kölle in der Begleitschrift zu seinem 
Plan vorgeschlagenen Bauvorschriften entsprechen im allgemeinen 
den für eine zweckmäßige Bebauung des in Betracht kommenden 
Geländes zu stellenden Anforderungen. Die Durchführung dieser 
Vorschriften würde namentlich auch eine Gewähr für thunlichste Er 
haltung des landschaftlich reizvollen Charakters der Umgebung Stutt 
garts bieten. 
Der Verein hält es unter den gegebenen örtlichen Verhältnissen 
für notwendig und allein richtig, in den Außenbezirken der Stadt 
die offene Bauweise beizuhalten. Eine Ausnützung des Geländes der 
Stuttgarter Markung im Sinne der Rettich'schen Vorschläge, würde 
der Verein für einen nie wieder gut zu machenden Fehler halten, 
umsomehr als hiedurch dem Mangel an geeignetem Baugelände im Stutt 
garter Thal nicht abgeholfen würde, die schöne Umgebung von Stutt 
gart aber zerstört, und die Gemeindeverwaltung doch in verhältnis 
mäßig kurzer Zeit genötigt wäre, anderweitig für Erschließung neuer 
Bauquartiere zu sorgen. 
Zu nachhaltiger Abhilfe des gegenwärtigen Mangels an Bau- 
* Ist inzwischen durch die bürgerlichen Kollegien eingeleitet worden. 
Plätzen, sowie zur Hintanhaltung der dadurch hervorgerufenen un 
gesunden Spekulation, hält der Verein folgende Mittel für geeignet 
a) Ausgiebige Erschließung neuer Bauquartiere durch Anlage 
neuer Straßen im Erweiterungsgebiet; 
b) Erleichterung des Verkehrs mit den benachbarten Gemeinden 
durch Anlage von Vorortbahnen mit billigen Tarifen. 
c) Weitere Ausdehnung der begonnenen Eingemeindung von 
Nachbarorten. 
Diese Kundgebung wurde mit nachstehendem Schreiben dem 
Gemeinderat von Stuttgart übergeben: 
Stuttgart, den 11. April 1900. 
An den Gemeinderat! 
Der württ. Verein für Baukunde hat schon bisher mit einer 
Reihe städtischer Fragen, welche das technische Gebiet berühren, 
sich befaßt, er hat auch zu der zurzeit akuten Frage der Stadt 
erweiterung Stellung genommen und sie in einer Kundgebung zum 
Ausdruck gebracht. 
Ich erlaube mir diese Kundgebung in der Anlage ergebenst 
zu übermitteln. 
Hochachtungsvoll 
Der Vorstand des Vereins für Baukunde. 
Für den V orsitzenden: 
(gez.) Euting. 
Die Stadterweiteruiig von Stuttgart 
Erörterung, eingeleitet durch Baurat Frey, am 17. März 1900. 
Unter Bezugnahme auf das Protokoll vom 17. März d. I. in 
Heft 3 ds. Jhrggs. tragen wir das wesentlichste des Berichtes des 
Herrn Baurat Frey und die Aeußerung des Herrn Präsidenten von 
Schlier holz in jener Versammlung hiemit nach. 
Der Vortragende gab einen geschichtlichen Rückblick auf frühere 
Stadterweiterungspläne voraus, an denen die Vermeidung jeder schiefen 
Straßendurchschneidung und die Außerachtlassung jeder Rücksicht auf 
die Terrainverhältnisse charakteristisch sind. Mit Uebernahme der Vor 
standsstelle des Tiefbauamts durch Stadtbaurat Kölle mußte die 
Stadterweiterung auch auf die Höhen ausgedehnt werden, da sich 
dort überall Baulust äußerte. Es bedurfte jahrelanger Arbeit, bis 
1895 ein Plan, der fast die ganze Stuttgarter Markung umfaßt, 
dem Gemeinderat vorgelegt werden konnte. 
Ter neue Plan umfaßt eine bebaubare Fläche von 870 Hektar 
nach Abzug von Gärten, Straßen und mit Bauveibot belegten Flächen. 
Die angebauten Quartiere umfassen 567 Hektar, wovon noch 
162 Hektar unüberbaut sind, so daß für bauliche Ausnützung noch 
etwa 1000 Hektar verfügbar bleiben. 
Baurat Kölle hat in weitgehender und geschickter Weise sich 
mit seinen Straßenzügen den schwierigen Terrainverhältnissen an 
gepaßt, zu riefe Einschnitte (über 5 Meter) und zu hohe Auffüllungen 
sind vermieden, die Straßenbrciten sind thunlichst reduziert, auf der 
Bergseite sind meist erhöhte Vorgärten vorgesehen, welche die Ge 
bäude noch herausheben. Besondere Aufmerksamkeit ist durchgehen 
den Slraßenzügen geschenkt, die als Panoramastraßen an den Hängen 
entlang sich ziehen oder in gewundenen Linien mit mäßigen Steigungen 
aufwärts streben und das Thal mit den Höhen verbinden. 
Der Vortragende erläuterte die in einzelnen Erweiterung^ 
gebieten geplanten Straßenzügc des weiteren und gab seiner Ueber 
zeugung dahin Ausdruck, daß der neue Stadterweitcrungsplan sowohl 
bezüglich des zu überwältigenden Verkehrs, als auch in Rücksicht auf 
ein interessantes Städtebild eine hervorragende Leistung darstelle. 
Seil dem Jahr 1898 liegt der, nach einigen Vorschlägen von 
Oberbaurat Prof. Baumeister-Karlsruhe und dem Vortragenden 
als Korreferenten in einzelnen Teilen umgeänderte Plan zur Ge 
nehmigung vor. Der jetzige Stadtvorstand hielt es für angezeigt, 
den Plan auch noch nach der volkswirtschaftlichen Seite prüfen zu lassen 
und wenn es richtig ist, daß Stuttgart eine der teuersten Großstädte 
im deutschen Reich ist, dann ist es auch wohl Pflicht eines Stadt 
vorstandes, über die Ursachen dieser Erscheinung Erhebungen nach 
allen Richtungen anstellen zu lassen. 
Mit dieser Prüfung wurde Gemeinderat Or. Rettich beauf 
tragt. Die Einwände, die Rettich in seiner bekannten Schrift erhob, 
richten sich nicht gegen das geplante Straßennetz, sondern gegen 
die Bebauungsvorschriften und damit auch gegen unser, im Jahr 
1897 unter reger Beteiligung des damaligen Oberbürgermeisters 
Rümelin, nach den vom Verein für öffentliche Gesundheitspflege 
aufgestellten Grundsätzen, neu revidiertes Ortsbaustatut. Charakteristisch 
an dem letzteren ist die Einführung des Zonensystems mit einer 
nach außen sich steigernden Weiträumigkeit der Bebauung. In Be 
tracht kommen bezüglich der zu den 3 Zonen aufgestellten Vorschriften 
für die Gebäudeabstände 8 40, für die Gebäudehöhe § 27, für die 
Ausnützung des Bauplatzes § 44, für die Hintergebäude 8 49. 
Rettich hat nun berechnet, daß der neue Stadtbauplan für etwa 
122 000 Menschen Wohngelegenheit biete, d. h. auf einem Gebiet, 
das 247 Prozent der zurzeit schon überbauten Fläche beträgt, würden 
nur 74 Prozent der gegenwärtigen Einwohnerzahl untergebracht 
werden, die Ausgaben pro Kopf für Beleuchtung, Reinigung und 
Unterhaltung der Straßen würden dadurch erheblich steigen und Stutt 
gart zur höchstbesteuerten Großstadt machen. 
Sind diese Zahlen richtig, so erscheint allerdings eine Prüfung 
der Bebauungsvorschriften nicht unangezeigt, die Richtigkeit wird 
aber in wohlbegründeter Weise von Baurat Kölle, wie von Baurat 
Frey bestritten. Kölle, der die Rettich'sche Berechnung mittelst 
der Straßenfrontlängen beibehält, findet, daß auf dem noch vor 
handenen Bebauungsgebiet 270 000 Menschen oder 170 Prozent der 
gegenwärtigen Einwohnerzahl Raum finden, und das wäre ganz und 
gar nicht ein beängstigendes Resultat. Frey weist nach, daß die 
Berechnung nach Straßenfrontlänge überhaupt kein richtiges Resultat 
liefern könne, da die Blocktiefe und Blockform wesentlich sei und 
hiebei nicht zur Geltung komme; er rechnet nach der Bebauungsfläche 
und kommt auf ca. 240 000 Einwohner, die noch untergebracht 
werden könnten. Dieses Ergebnis steht dem Kölle'schen sehr nahe. 
Er warnt deshalb davor, sich durch die Rettich'sche Berechnung zu 
Maßnahmen drängen zu lassen, die in hygienischer wie ästhetischer 
Beziehung verwerflich sind und später schwer bereut werden würden. 
Redner bedauert, daß seinerzeit der von Oberbaurat Reinhard für die
	        

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