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Wendungen kehren sich vielmehr im wesentlichen gegen die vorge
schlagene Zoneneinleilung und die Anbauvorschriften. Erwünscht
scheint dem Verein noch eine Begutachtung des Entwurfts vom künst
lerischen, insbesondere architektonischen Standpunkte aus.*
Die von Stadtbaurat Kölle in der Begleitschrift zu seinem
Plan vorgeschlagenen Bauvorschriften entsprechen im allgemeinen
den für eine zweckmäßige Bebauung des in Betracht kommenden
Geländes zu stellenden Anforderungen. Die Durchführung dieser
Vorschriften würde namentlich auch eine Gewähr für thunlichste Er
haltung des landschaftlich reizvollen Charakters der Umgebung Stutt
garts bieten.
Der Verein hält es unter den gegebenen örtlichen Verhältnissen
für notwendig und allein richtig, in den Außenbezirken der Stadt
die offene Bauweise beizuhalten. Eine Ausnützung des Geländes der
Stuttgarter Markung im Sinne der Rettich'schen Vorschläge, würde
der Verein für einen nie wieder gut zu machenden Fehler halten,
umsomehr als hiedurch dem Mangel an geeignetem Baugelände im Stutt
garter Thal nicht abgeholfen würde, die schöne Umgebung von Stutt
gart aber zerstört, und die Gemeindeverwaltung doch in verhältnis
mäßig kurzer Zeit genötigt wäre, anderweitig für Erschließung neuer
Bauquartiere zu sorgen.
Zu nachhaltiger Abhilfe des gegenwärtigen Mangels an Bau-
* Ist inzwischen durch die bürgerlichen Kollegien eingeleitet worden.
Plätzen, sowie zur Hintanhaltung der dadurch hervorgerufenen un
gesunden Spekulation, hält der Verein folgende Mittel für geeignet
a) Ausgiebige Erschließung neuer Bauquartiere durch Anlage
neuer Straßen im Erweiterungsgebiet;
b) Erleichterung des Verkehrs mit den benachbarten Gemeinden
durch Anlage von Vorortbahnen mit billigen Tarifen.
c) Weitere Ausdehnung der begonnenen Eingemeindung von
Nachbarorten.
Diese Kundgebung wurde mit nachstehendem Schreiben dem
Gemeinderat von Stuttgart übergeben:
Stuttgart, den 11. April 1900.
An den Gemeinderat!
Der württ. Verein für Baukunde hat schon bisher mit einer
Reihe städtischer Fragen, welche das technische Gebiet berühren,
sich befaßt, er hat auch zu der zurzeit akuten Frage der Stadt
erweiterung Stellung genommen und sie in einer Kundgebung zum
Ausdruck gebracht.
Ich erlaube mir diese Kundgebung in der Anlage ergebenst
zu übermitteln.
Hochachtungsvoll
Der Vorstand des Vereins für Baukunde.
Für den V orsitzenden:
(gez.) Euting.
Die Stadterweiteruiig von Stuttgart
Erörterung, eingeleitet durch Baurat Frey, am 17. März 1900.
Unter Bezugnahme auf das Protokoll vom 17. März d. I. in
Heft 3 ds. Jhrggs. tragen wir das wesentlichste des Berichtes des
Herrn Baurat Frey und die Aeußerung des Herrn Präsidenten von
Schlier holz in jener Versammlung hiemit nach.
Der Vortragende gab einen geschichtlichen Rückblick auf frühere
Stadterweiterungspläne voraus, an denen die Vermeidung jeder schiefen
Straßendurchschneidung und die Außerachtlassung jeder Rücksicht auf
die Terrainverhältnisse charakteristisch sind. Mit Uebernahme der Vor
standsstelle des Tiefbauamts durch Stadtbaurat Kölle mußte die
Stadterweiterung auch auf die Höhen ausgedehnt werden, da sich
dort überall Baulust äußerte. Es bedurfte jahrelanger Arbeit, bis
1895 ein Plan, der fast die ganze Stuttgarter Markung umfaßt,
dem Gemeinderat vorgelegt werden konnte.
Ter neue Plan umfaßt eine bebaubare Fläche von 870 Hektar
nach Abzug von Gärten, Straßen und mit Bauveibot belegten Flächen.
Die angebauten Quartiere umfassen 567 Hektar, wovon noch
162 Hektar unüberbaut sind, so daß für bauliche Ausnützung noch
etwa 1000 Hektar verfügbar bleiben.
Baurat Kölle hat in weitgehender und geschickter Weise sich
mit seinen Straßenzügen den schwierigen Terrainverhältnissen an
gepaßt, zu riefe Einschnitte (über 5 Meter) und zu hohe Auffüllungen
sind vermieden, die Straßenbrciten sind thunlichst reduziert, auf der
Bergseite sind meist erhöhte Vorgärten vorgesehen, welche die Ge
bäude noch herausheben. Besondere Aufmerksamkeit ist durchgehen
den Slraßenzügen geschenkt, die als Panoramastraßen an den Hängen
entlang sich ziehen oder in gewundenen Linien mit mäßigen Steigungen
aufwärts streben und das Thal mit den Höhen verbinden.
Der Vortragende erläuterte die in einzelnen Erweiterung^
gebieten geplanten Straßenzügc des weiteren und gab seiner Ueber
zeugung dahin Ausdruck, daß der neue Stadterweitcrungsplan sowohl
bezüglich des zu überwältigenden Verkehrs, als auch in Rücksicht auf
ein interessantes Städtebild eine hervorragende Leistung darstelle.
Seil dem Jahr 1898 liegt der, nach einigen Vorschlägen von
Oberbaurat Prof. Baumeister-Karlsruhe und dem Vortragenden
als Korreferenten in einzelnen Teilen umgeänderte Plan zur Ge
nehmigung vor. Der jetzige Stadtvorstand hielt es für angezeigt,
den Plan auch noch nach der volkswirtschaftlichen Seite prüfen zu lassen
und wenn es richtig ist, daß Stuttgart eine der teuersten Großstädte
im deutschen Reich ist, dann ist es auch wohl Pflicht eines Stadt
vorstandes, über die Ursachen dieser Erscheinung Erhebungen nach
allen Richtungen anstellen zu lassen.
Mit dieser Prüfung wurde Gemeinderat Or. Rettich beauf
tragt. Die Einwände, die Rettich in seiner bekannten Schrift erhob,
richten sich nicht gegen das geplante Straßennetz, sondern gegen
die Bebauungsvorschriften und damit auch gegen unser, im Jahr
1897 unter reger Beteiligung des damaligen Oberbürgermeisters
Rümelin, nach den vom Verein für öffentliche Gesundheitspflege
aufgestellten Grundsätzen, neu revidiertes Ortsbaustatut. Charakteristisch
an dem letzteren ist die Einführung des Zonensystems mit einer
nach außen sich steigernden Weiträumigkeit der Bebauung. In Be
tracht kommen bezüglich der zu den 3 Zonen aufgestellten Vorschriften
für die Gebäudeabstände 8 40, für die Gebäudehöhe § 27, für die
Ausnützung des Bauplatzes § 44, für die Hintergebäude 8 49.
Rettich hat nun berechnet, daß der neue Stadtbauplan für etwa
122 000 Menschen Wohngelegenheit biete, d. h. auf einem Gebiet,
das 247 Prozent der zurzeit schon überbauten Fläche beträgt, würden
nur 74 Prozent der gegenwärtigen Einwohnerzahl untergebracht
werden, die Ausgaben pro Kopf für Beleuchtung, Reinigung und
Unterhaltung der Straßen würden dadurch erheblich steigen und Stutt
gart zur höchstbesteuerten Großstadt machen.
Sind diese Zahlen richtig, so erscheint allerdings eine Prüfung
der Bebauungsvorschriften nicht unangezeigt, die Richtigkeit wird
aber in wohlbegründeter Weise von Baurat Kölle, wie von Baurat
Frey bestritten. Kölle, der die Rettich'sche Berechnung mittelst
der Straßenfrontlängen beibehält, findet, daß auf dem noch vor
handenen Bebauungsgebiet 270 000 Menschen oder 170 Prozent der
gegenwärtigen Einwohnerzahl Raum finden, und das wäre ganz und
gar nicht ein beängstigendes Resultat. Frey weist nach, daß die
Berechnung nach Straßenfrontlänge überhaupt kein richtiges Resultat
liefern könne, da die Blocktiefe und Blockform wesentlich sei und
hiebei nicht zur Geltung komme; er rechnet nach der Bebauungsfläche
und kommt auf ca. 240 000 Einwohner, die noch untergebracht
werden könnten. Dieses Ergebnis steht dem Kölle'schen sehr nahe.
Er warnt deshalb davor, sich durch die Rettich'sche Berechnung zu
Maßnahmen drängen zu lassen, die in hygienischer wie ästhetischer
Beziehung verwerflich sind und später schwer bereut werden würden.
Redner bedauert, daß seinerzeit der von Oberbaurat Reinhard für die