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Monatsschrift hes WCrttkmb«. \ ekkins für Baukunde in Stuttgart.
Nr. 1
Das Ingenieurlaboratorium der Kgl. technischen Hochschule Stuttgart in Berg.
jm 20. November 1900 fand unter Führung der Herren
Baudirektor v. Bach und Baurat Knoblauch durch unsern
Verein eine Besichtigung des Ingenieurlaboratoriums der
hiesigen technischen Hochschule in Berg statt
Der Vorstand der Anstalt, Herr Baudirektor v. Bach, er
klärte zunächst in einem Vortrag im Hörsaal des Lehrgebäudes
den Zweck eines Ingenieurlaboratoriums und die Einrichtungen,
welche ein solches ausweisen muss, um seinem Zweck voll
ständig zu entsprechen. Er führte etwa folgendes aus:
In den vergangenen Jahrzehnten suchten die Ingenieur
wissenschaften ihre Grundlagen im wesentlichen auf dem Wege
spekulativer Betrachtung und mathematischer Berechnung zu ge
winnen. Wegen des Fehlens gesicherter Versuchs- und Er
fahrungszahlen mussten dabei jedoch vielfache zum Teil mehr
oder minder willkürliche ‘Annahmen aufgestellt werden, was zur
Folge hatte, dass die hierauf gebauten Rechnungsergebnisse an
der Unsicherheit ihrer Grundlagen litten. Bei dem gewaltigen
Aufschwung des Maschinenwesens in den letzten Jahrzehnten
wurde daher in den beteiligten Kreisen immer lebhafter das
Bedürfnis empfunden, die Richtigkeit jener Annahmen und
Grundlagen zu prüfen, sowie die vielfach noch fehlenden Grund
lagen zu beschaffen, was nur auf dem Wege des planmässig
vorbereiteten und wissenschaftlich durchgeführten Versuchs
möglich ist.
Dieses namentlich in den Kreisen der Industrie und der
technischen Staatsbetriebe betonte Bedürfnis, die bisher mehr
abstrakte als wirklich wissenschaftliche Ausbildung der Ingenieure
auf den deutschen technischen Hochschulen in der Richtung
der Erkenntniss der Wirklichkeit zu erweitern und zu ergänzen,
ist nun aber durch den immer schärferen und bedeutenderen
Wettbewerb auf dem Weltmarkt, insbesondere durch die ein
dringlichen Berichte, die gelegentlich der Weltausstellung in
Chicago von deutschen Fachleuten erstattet wurden, zur unab
weisbaren Forderung geworden.
Der 10000 Mitglieder zählende Verein deutscher Inge
nieure, der als der Sammelpunkt aller wissenschaftlichen und
industriellen Kräfte des Maschineningenieurwesens bezeichnet
werden darf, nahm die Behandlung der Frage in die Hand.
Er stellte unter dem 8. Oktober 1894 auf Grund des ein
stimmigen Beschlusses der Vertreter seiner 36 Bezirksvereine
an die vorgesetzten Ministerien sämtlicher deutscher Hochschulen
das Gesuch, an diesen Maschinenbaulaboratorien zu errichten,
weil nur auf diese Weise bei der Ausbildung künftiger Ma
schineningenieure Wissenschaft und Praxis auf dem Wege von
Versuchen zusammenwirken könnten.
Der Zweck solcher Laboratorien wurde in jener
Eingabe als ein doppelter bezeichnet:
1. Unterstützung der Vorträge durch Versuche und
Ausbildung der Studierenden des Maschinen
ingenieurwesens durch A rbeiten im Laboratorium ;
2. Ermittlung fehlender Grundlagen auf den be
treffenden Lehrgebieten des Maschineninge
nieurwesens, Aufklärung hinsichtlich zweifel
hafter Grundlagen, sowie Beschaffung des für
den Unterricht und die Förderung dieser Lehr
gebiete nötigen Erfahrungsmaterials.
Lediglich auf dem Wege des Versuchs sei es möglich, den
Vorgängen in den Maschinen. und in ihren Teilen, sowie in
den hiezu gehörigen Einrichtungen auf den Grund zu gehen
und sie der wissenschaftlichen Behandlung zugänglich zu machen,
wie es die naturgemässe Aufgabe der technischen Hochschule
sei. Die technische Hochschule habe auf diesem Wege der
vaterländischen Industrie die leitenden und schöpferisch thä
tigen Persönlichkeiten vorzubilden, damit sich diese diejenige
Stellung auf dem Weltmärkte erringe, die eine der haupt
sächlichsten Voraussetzungen für das Gedeihen der nationalen
Wohlfahrt b lde.
Ein vollständiges Ingenieurlaboratorium sollte folgende
Einrichtungen aufweisen:
I. Die Einrichtungen zur Prüfung und Untersuchung des Ver
haltens der Konstruktionsmaterialien. zur Prüfung
des Genauigkeitsgrades der Ergebnisse der Elastizitäts
und Festigkeitslehre, zur weiteren Ausbildung dieser
Lehrgebiete auf Grundlage des thatsächlichen Verhaltens der
Materialien und zur Ermittlung der Erfahrungskoeffizienten,
deren der Lehrer, sowie der Konstrukteur auf den bezeich-
neten Gebieten bedarf;
2. die Einrichtungen zur Untersuchung von Motoren, ins-ja
besondere der Wärmekraftmaschinen einschliesslich
der Dampfkessel und der wichtigsten in Betracht kom
menden Arbeitsmaschinen, zur Ermittlung und zur j
Sicherstellung der wissenschaftlichen Grundlagen der Lehr
gebiete, welche sich mit den genannten Maschinen, den hiezu
gehörigen Einrichtungen und den in ihnen sich vollziehenden
Vorgängen zu befassen haben, sowie zur Ermittlung der
nötigen Erfahrungskoeffizienten.
Hieher gehören auch die Aufgaben, welche des Verhalten
der Arbeitsflüssigkeiten, die für die Kraft- und Arbeits
maschinen in Betracht kommen, betreffen, ferner die Auf
gaben über Wärmetransmission, über Reibung u. s. w.
Auf Grund dieser Eingabe des deutschen Ingenieurvereins
werden gegenwärtig an den technischen Hochschulen in Char
lottenburg, Hannover, Aachen und Dresden Laboratorien mit
diesen Einrichtungen gebaut, soweit solche nicht bereits vor
handen, bezw. inzwischen vollendet worden sind.
An der Technischen Hochschule in Stuttgart
war es schon 1884 den unermüdlichen Bemühungen des Vor
tragenden gelungen, nach dem Vorgang der technischen Hoch
schulen in München (1871) und Zürich (1879), eine Material
prüfungsanstalt einzurichten, nachdem hiezu von dem
Ueberschuss der Landesgewerbeausstellung im Jahre 1881 ein
Betrag von 10000 M. verwilligt worden war, der dann durch
staatliche Mittel verstärkt wurde. Die Anstalt war von Anfang
an dazu bestimmt, den Interessen der Industrie I
wie denjenigen des Unterrichts zu dienen. Sie hat
in den Jahren 1886, 1887, 1889, 1892, 1893 und 1894 Er-M
Weiterungen in ihrer Ausstattung erfahren. Den grössten Teil 1
der für die Versuche erforderlichen Gelder hat sie durch die |
Gebühren für die Untersuchungen selbst aufgebracht. Für die
Untersuchungen über die Widerstandsfähigkeit von Kesselwan
dungen wurde 1893 von Vereinen und Privaten aus ganz
Deutschland eine einmalige Beisteuer von 12 000 M., zu denen
das K. Ministerium des Innern weitere 1000 M. gab, geleistet.
Ferner hat der Vortragende mit den bescheidensten Mitteln
1880 eine Dampfmaschinenanlage begonnen und sie allmählich,
zum Teil wiederum durch Privatunterstützung, mit einer ein-, I-
dann mit einer zweizylindrischen Maschine ausgestattet.
Dieses Laboratorium hat sich trefflich bewährt. Die Ab- f
teilung für Maschineningenieurwesen hat sich einstimmig dabin J:
ausgesprochen, das mit verhältnismässig geringen Mitteln sehr J
viel geleistet worden sei und dass die Stellung, welche die
Abteilung in Ingenieurkreisen jetzt einnimmt, zu einem grossen l
Teil diesen Arbeiten zu danken sei. Dabei wurde jedoch be-I
tont, dass die Aufrechterhaltung dieser Stellung und insbesondereB
auch die Frequenz der Abteilung unbedingt weiteres Fort-»
schreiten erfordere.
ln dieser Richtung weist Herr Baudirektor von BachM
namentlich darauf hin, dass das Laboratorium von den Studie-«
renden fleissig benützt wurde und dass die Zahl der StudieJ|
renden an der Maschineningenieur-Abteilung von 27 im Winter-j
Semester 1882/83 d. h. seit Erscheinen der ersten Versuchs
resultate auf 318 im Wintersemester 1900,01 gestiegen ist.
Hiedurch haben sich die der Staatskasse zufliessenden Unter-]
richtsgelder um 20000 M. jährlich erhöht
Dieses Maschinenbaulaboratorium der Technischen Hoch
schule war nun aber in seinen Raumverhältnissen ungenügend,
zumal alle anderen technischen Hochschulen eifrig bestrebt sind,
neue Ingenieurlaboratorien zu bauen oder ihre bisherigen zu
erweitern. So sind z. B. für die Materialprüfungsanstalt am
eidgenössischen Polytechnikum in Zürich 1894 30000c Fr.
aufgewendet worden, während für das zu errichtende Maschinen-,
baulaboratorium 500000 Fr. vorgesehen sind.
An der hiesigen Technischen Hochschule ist die Dampf
maschine im Kesselhause untergebracht. Im Sommer pflegt
daselbst bei den Uebungen trotz der eingerichteten Ventilation
eine Temperatur von 33—36° einzutreten, so dass die Be
teiligten sich wie in einem Heissluftbad befinden, wa - bei zehn
stündiger Dauer der einzelnen Versuche oft mehr als anstrengend
ist. Selbst im Winter erreicht die Temperatur 28- 30" R-