Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Monatsschrift des WCbttembg. Vereins für Baukünde in Stuttgart. 
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gestossenen Ziegelsteinen zeigt. Der länglich viereckige Raum 
(Fig. 1) ist durch Quermauern in fünf Abteilungen geteilt, die 
einst durch Thüren mit einander verbunden waren. Diese Ab 
teilungen waren nicht gewölbt, sondern hatten hölzerne Balken 
decken, was daraus hervorgeht, dass in dem vorletzten nach 
Westen gelegenen Raume an den beiden Langseiten noch je 
fünf Kragsteine vorhanden sind, welche die Decke trugen. | 
Ueber diesen Kellern war das untere Stockwerk des karoling 
ischen Saalbaues durch jene Quermauern ebenfalls in fünf 
Räume eingeteilt. Der Umstand, dass in vier Räumen die vor- I 
erwähnten Kragsteine jetzt fehlen, ist dadurch zu erklären, dass 
beim Umbau im vierzehnten Jahrhundert hier Tonnengewölbe ' 
eingezogen worden sind, welche grösstenteils tiefer gelegt 
wurden; die Kragsteine sind somit verschwunden. Das Erd 
geschoss des karolingischen Reichssaales hatte ebenfalls Holz 
decken und war 3,60 m im lichten hoch. Indem man nun 
die Quermauern in ihrer Breite beliess, verstärkte man die Um 
fassungsmauern um etwa 1,5 m, um dem Ganzen mehr Festig 
keit zu geben. 
Dass Karl der Grosse seinen Palast auf derselben Stelle, 
wo der merovingische gestanden, errichtet und, wenn er in 
Aachen weilte, bestimmend beim Bau mitgewirkt hat, deuten 
Bischof Theodulph von Orleans, der im Jahre 796 den Hoffesten 
in Aachen beiwohnte, und Angilbert, der Eidam des Kaisers, 
in besonderen dichterischen Auslassungen über den Aachener 
Palast an. Ersterer sieht den Kaiser, wie er nach Anhörung 
der aus Constantinopel gekommenen Botschafter aus dem Palast 
zur Kirche eilt, um Gott für die glücklichen Nachrichten zu 
danken. Von dort steigt Karl wieder zur Höhe der Burg hin 
an, während die Volksmenge in den Hallen auf und nieder 
wogt. Angilbert aber schildert die rege Thätigkeit der beim 
Palastbau beschäftigten Werkleute mit lebhaften Farben. Nach 
seiner Darstellung „ist der Kaiser häufig inmitten der Arbeiter 
und bestimmt die Richtung der Mauern und die Plätze, auf denen 
die einzelnen Gebäude errichtet werden sollen. Wie in einem 
Wettstreit begriffen, bemühen sich die verschiedenen Arbeiter- 
Gruppen, ihre Aufgabe zu lösen: diese schneiden den harten 
Stein zu Säulen, jene wälzen schwere Blöcke mit den Händen 
herbei, die einen legen die Grundmauern zur Burg, zum Vor 
hof, zum Gerichtssaal, zum Theater usw., die anderen führen 
Mauern in die Höhe und Schliessen die Vorhallen mit „erhabenen“ 
Türmen ein; wieder andere suchen die heissen Quellen auf, 
umschliessen sie mit passenden Einfriedigungen und errichten 
bei denselben schöne Sitze mit Marmorstufen. Die Quelle des 
mächtig wallenden Wassers hört nicht auf vor Hitze zu sieden; 
sie leitet ihre Bäche in alle Teile der Stadt." 
Der Reichssaal bestand, die schon erwähnten Kellerräume 
abgerechnet, aus zwei Geschossen, eine Anordnung, wie sie 
auch bei den Palästen späterer Zeit noch eingehalten wird. 
Das untere Geschoss hatte eine lichte Höhe von 3,60 m und 
diente ohne Zweifel Haushaltungszwecken, d. h. es enthielt die 
Küche, Vorratskammern und Aufenthaltsräume für Bedienung 
und niederes Gefolge. Die Form des Saales war die herkömm 
liche rechteckige mit einem grossen halbrunden Ausbau gegen 
Westen und zwei kleineren in der Mitte der beiden Langseiten, 
i ganz entsprechend dem römisch-byzantinischen Trichorum. Da 
, eine Wölbung des Saales nicht angenommen werden darf, so 
muss man sich dessen Decke durch vier Holzsäulen gestützt 
denken, die genau an der Stelle der jetzigen Pfeiler des Krön 
ungssaales auf den Grundmauern des merovingischen Baues 
gestanden haben müssen (s. Fig. 2). Von den Ausbauten hat sich die 
Hauptapsis, in der der Thron des Kaisers aufgestellt war, bis 
auf den heutigen Tag erhalten. Man verdankt ihre Erhaltung 
dem Umstande, dass sie im vierzehnten Jahrhundert, beim Um 
bau in das Rathaus, als Turm benutzt, und zwar überhöht, 
mit einem Zinnenkränze versehen und durch ein schlankes 
Türmchen bekrönt worden ist (vgl. Fig. 3). Die Aussenseite 
dieses westlichen Ausbaues war mit einer Wandpfeiler-Bogen- 
stellung versehen. Diese ist noch heute, freilich in sehr zer 
störtem Zustande, kenntlich und beachtenswert. Die Wand 
pfeiler scheinen der dorischen Ordnung angehört zu haben, 
doch ist das, weil die Capitelle sehr verwittert sind, nicht mit 
Bestimmtheit zu sagen. Es sind fünf Bogen, deren Vorlage 
vor der Mauer nur etwa 0,10 m betrug. Da sich in den 
Bogenfeldern selbst keine Dehnungen befanden; so sind die 
Fenster, die das. Innere des Halbrunds erleuchteten und deren 
Zahl der der Bogenöffnungen entsprach, als oberhalb der Bogen 
angebracht anzunehmen. Die anderen Ausbauten, deren Grund 
mauern erst in neuerer Zeit wieder aufgefunden wurden, standen 
mit dem Saale durch je eine grosse Bogenöffnung in Verbindung, 
ln die nördliche Apsis gelangte man überdies noch von aussen 
vermittelst einer Freitreppe. Dies war ohne Zweifel der Haupt 
zugang ; eine zweite Thür ist an der Ostseite anzunehmen, als 
Verbindungsthür mit den kaiserlichen Wohngemächern. Die 
Umfassungsmauern des karolingischen Saalbaues, von denen 
KAKOLI N Q ÜSCHE PFALZ 
AACHEN 
Figur 2. Der Reichssaal im 14. Jahrhundert. 
sich, abgesehen von der West-Aspis, bedeutende Reste auch 
an der Nord- und Südseite des Rathauses bis jetzt erhalten 
haben, hatten eine Stärke von vier Fuss. An den Langseiten 
des Saales, rechts und links von den beiden kleineren Aus 
bauten, hat man sich je zwei rundbogige Fenster zu denken, 
die ziemlich hoch über dem Fussboden gelegen haben müssen; 
in den Apsiden können je drei Fenster angeordnet gewesen 
sein. Die Annahme, dass innerhalb des Saales eine Triforien- 
galerie angebracht gewesen sei, ist höchst unwahrscheinlich. 
Die Stelle bei dem Mönche von St. Gallen I. 30 auf welche sich 
diese Annahme stützt, bezieht sich offenbar nur auf die Wohn- 
räume des Kaisers. Denn es heisst dort, Karl habe um die 
Pfalz nach seiner Anweisung Wohnungen für alle Leute jedes 
Standes erbaut, und zwar so, dass er durch das Gitterwerk 
seines Söllers (per cancellos solarii sui) alles sehen konnte, was 
aus- und einging. 
Fussboden und Decke des Saales waren ohne Zweifel von 
Holz; eine bestimmte Andeutung darüber finden wir bei Einhard. 
Dieser berichtet nämlich im Leben Karls, dass nach dessen 
Tode manche Vorzeichen vorangegangen seien. „Zu diesen 
Zeichen,“ sagt er, „zählt auch die häufige Erschütterung des 
Palastes und das beständige Krachen des Gebälkes in den 
Gemächern, die er bewohnte.“ Aber auch aus constructiven 
Gründen muss eine Holzdecke angenommen werden, abge 
sehen davon, dass ja zu karolingischer Zeit die Holzdecke 
nicht allein für den Wohnbau, sondern auch für Kirchen
	        
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