Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Monatsschrift des Württembg. Vereins für Badkünde in Stuttgart. 
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hang stand, die Mittelachse trifft genau auf die Mitte der Lang 
seite der Basilika, woselbst eine Thüre angebracht war. Der 
Grundriss mit der direkt an das Querschiff ansetzende Absis 
scheint noch karolingischen Ursprungs zu sein, dagegen ist 
der ganze Aufbau mit deu beiden schmalen, den Chor flan 
kierenden Türmchen wohl erst aus der Zeit der ersten Ottonen, 
die Pilaster, auf welchen die Vierungsbogen aufsitzen, haben 
sogar Kapitäle, deren Ornomentmotive einer noch späteren Zeit 
angehören. Sicher ist, dass die Kirche nicht erst, wie man 
früher glaubte, unter Friedrich I. erbaut worden ist, sondern 
damals nur einige Reparaturen erhalten hat. Eine Thüre im 
linken Kreuzarm zeigt noch ganz die karolingische Bauweise 
(s. Figur 5). 
Von besonderem Interesse ist nun, was P. Clemen zur 
Rekonstruktion des Palastes beibringt. Mit grosser Gelehrsamkeit 
hat derselbe die dürftigen Nachrichten gesammelt, welche bei 
Schriftstellern des 8.— 10. Jahrhunderts über Königspaläste 
vorkommen. Diese Quellen geben im Zusammenhang folgendes 
Schema für den abendländischen Palastbau bis ums Jahr 1000: 
zunächst wird eine Fläche als proaulium bezeichnet, ein offenbar 
eingezäunter Raum vor dem Hauptthor, dann kommt das Sa- 
lutatorium, zur Begrüssung und Empfang der Deputationen, an 
den Hauptbau angelehnt, es folgt das Konsistorium, zum Recht 
sprechen, zur Unterhaltung und als Aufenthaltsort vor den Mahl- 
Bögen von 6,20 m Scheitelhöhe, so dass die ganze Höhe 
des Saales auf 10 m angenommen werden muss. Wie schon 
angeführt, bestanden die Säulen grösstenteils aus Syenit, einige 
aus Granit und Odenwälder Marmor. Im ganzen sind 12 Stück 
in der Länge von 3,30 bis 3,47 erhalten, besonders sechs Stück 
am Schlossbrunnen zu Heidelberg, andere zu Wiesbaden, Mainz, 
Mannheim und in Ingelheim selbst in der Remigiuskirche ein 
gemauert. Die Kapitale von weissem Marmor gehören der 
Kompositordnung an (s. Figur 6). Sieben davon sind jetzt im 
Museum zu Mainz aufgestellt; Basen haben sich keine erhalten. 
Der Raum über den Arkaden war nun mit den Gemälden ge 
ziert, welche uns Ermoldus Nigellus beschreibt. Auf jeder Seite 
waren fünf historische Darstellungen, die je wieder in zwei Szenen 
zerfielen. Fünf Könige des Altertums werden immer fünf christ 
lichen Herrschern gegenübergestellt, im Anschluss an die sieben 
Bücher des Orosius -Ninus und Semiramis, Cyrus und Tomyris, 
Phalaris und Romulus, Hamilkar und Hannibal, Alexander und 
Augustus waren in der ersten Reihe. In der zweiten zunächst je 
zwei Grossthaten des Konstantin und des Theodosius; es folgen die 
Thaten der Karolinger. Für Karl Marteil ergibt sich als zweite 
Szene der Sieg über die Sarazenen, für Karl den Grossen die 
Kaiserkrönnung in Rom, die alsdann den Triumphzug des 
Augustus in Rom auf das genaueste entspricht. Der Bilderkreis 
im Trichorum ist der erste grosse Gemäldezyklus, der gleich 
zeitige historische Vorgänge zum Gegenstand hat, seit den 
Tagen der Langobardenkönigin Theudelinde, die ihren Palast 
zu Monza mit Szenen aus der Geschichte des eigenen Volkes 
ausschmückt. Die Anlage des Trichorum mit dem unverhältnis- 
Figur 7. Nymwegen (Situationsplan). 
Figur 8. Karolingische Kapelle. 
Zeiten, endlich das Trichorium oder Triclinum, der grosse Fest- 
und Speisesaal. Die erhaltene nördliche Bogenstellung gleicht 
ganz dem Unterbau des karolingischen Thorbaus zu Lorsch, der 
nach den Untersuchungen Schneiders als eine Ehrenpforte er 
wiesen ist, die mit der Abteikirche in gleicher Achse lag. Da 
rüber hat man sich ein weiteres Stockwerk zu denken, zu welchem 
vom Salutatorium aus Treppen führen. Dieses Stockwerk nennt 
man das Epikaustarium. Beispiele dafür hat man am Palast 
Theodorichs zu Ravenna und zu Spalato. Die Decken dieser 
Räume sind sind aus Holz zu denken, und als Stütze der 
selben nimmt Clemen Säulen an, welche naturgemäss in der 
Verlängerung der Achsen der nördlichen Scheidemauern liegen 
müssen. Im Konsistorium werden vier freistehende Säulen an 
genommen, nebst zwei Wandsäulen, welche das Gebälke tragen. 
Mit grosser Wahrscheinlichkeit gehören hierher die vier an Ort 
und Stelle aufgefundenen höchst interessanten Trapezkapitäle 
(s. Figur 6), die gestreckte Form ihrer oberen Lagerfläche er 
scheint wie geschaffen als Träger für einen Balkon. Vom Kon 
sistorium gelangt man über ein paar Stufen in das Trichorum, 
einen dreischiffigen Raum von 30 m Länge und 15 m Breite, 
genau entsprechend der Regel des Vitruv, nach welcher die 
Basiliken in den Privatgebäuden noch einmal so lang als. breit 
sein sollen. Der Mittelraum war etwas über 9 m breit, die 
Seitenschiffe hatten eine Breite von nur 2 1 / 2 m. Säulen waren 
auf jeder Seite 10, mit Kapital ca. 4 1 / 2 m hoch, dieselben trugen 
massig breiten Mittelschiff scheint durch den geplanten malerischen 
Schmuck in den Verhältnissen bedingt zu sein ; von der Exedra 
aus sollte der ganze Zyklus bequem übersehen werden können. 
Zwischen der Basilika und der Kirche lag ein grosses Atrium 
von fasst quadratischem Grundriss, dessen Säulengallerien offenbar 
nur von Holz waren. Von den Gemälden in der Kirche haben 
wir gleichfalls eine Beschreibung von Ermoldus Nigellus. In 
zwei Bilderfolgen zur Rechten und Linken waren Szenen aus 
dem alten und neuen Testament dargestellt. Die 14 Dystichen, 
welche die erste Folge schildern, enthalten die Beschreibung 
von 13 oder, da die Sintflut und Arche wahrscheinlich zu einem 
Bilde vereinigt waren, von 12 Szenen. Ebenso ergeben sich 
auf der rechten Sette 12 Szenen des neuen Testaments, da das 
letzte Distichon offenbar die Schilderung der Auferstehung 
und Himmelfahrt vereinigt. Zwischen beiden Folgen bestanden 
Beziehungen, z. B. entspricht der Kindermord des Herodes der 
Ermordung Abels, die Opferung Isaaks der Taufe Christi. Diese 
Gegenüberstellung von Szenen des alten und neuen Testaments 
ist im neunten und zehnten Jahrhundert nichts Ausserge wohn 
liches, gleichzeitig entstand der Bilderkreis der Aachener Pfalz 
kapelle und der Bilderkreis in St. Gallen. Die Kirche des hl. Re 
migius wie der langgestreckte Festsaalbau im Westen des um 
grenzten Bezirks waren nur die beiden öffentlichen Mittelpunkte, 
um die sich das private Leben mit seinen materiellen Anforder 
ungen gruppierte. Wir haben uns eine lange Reihe von Einzel-
	        
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