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Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baükdnde in Stuttgart.
No. 2
1. Eingabe an den preussischen Herrn Kultusminister.
Euer Excellenz
beehrt sich der unterzeichnete Vorstand des Verbandes deutscher
Architekten- und Ingenieur-Vereine zur Frage der Anerkennung
der Staatsbauprüfung als Vorbedingung für die Zulassung zur
Doktor-Promotion an den technischen Hochschulen Preussens
folgendes ehrerbietigst zu unterbreiten:
Als durch Allerhöchsten Erlass vom 11. Oktober 1899 den
technischen Hochschulen Preussens das Recht beigelegt wurde,
die Würde eines Doktor-Ingenieurs zu verleihen, war man in
den weitesten Kreisen des technischen Berufes der Anschauung,
dass diese Anerkennung allen Zweigen der Technik gelten sollte,
dass demnach die Erlangung der Doktorwürde an einer tech
nischen Hochschule allen Technikern mit voller akademischer
Vorbildung frei stehen und nicht an die Ablegung einer besonderen
Vorprüfung geknüpft sein würde.
Die Promotionsordnung der preussischen technischen Hoch
schulen verlangt jedoch als Vorbedingung die Ablegung des
Diplomexamens, schliesst also damit die Architekten an den
jenigen technischen Hochschulen, .welche eine Diplomprüfung
für dieses Fach nicht besitzen, von der Erlangung der Doktor
würde völlig aus und erschwert denjenigen Ingenieuren, welche
entweder schon die Staatsprüfung abgelegt haben oder sich dem
Staatsdienste nach Ablegung der Bauführerprüfung widmen wollen,
die Erlangung dieser Würde, da sie sich mindestens einer Nach
prüfung unterziehen und sich zum Diplom-Ingenieur ernennen
lassen müssen.
Diese Regelung des Promotionsrechtes, wie sie nach den
bisher vorliegenden Bestimmungen erscheint, ist nicht nur von
den derzeitigen Studierenden der technischen Hochschulen, sondern
in den weitesten Kreisen des Staatsbaufaches als eine Zurück
setzung des letzteren schmerzlich empfunden worden. Sie trifft
vor allem die Architekten und nächstdem die Bauingenieure,
welche letztere an den technischen Hochschulen z. Z. in der
überwiegenden Mehrzahl die Staatsprüfung ablegen, um in den
Staats- bezw. Kommunaldienst einzutreten.
Es liegt dem Verbände fern, an dieser Stelle die Frage
des grösseren wissenschaftlichen Wertes der Diplomprüfung oder
der Bauführerprüfung erörtern zu wollen, es sei jedoch darauf hin
gewiesen, dass beide Prüfungen die Berechtigung der Habilitierung
Dresden-Darmstadt, den 20. September 1901.
an den preussischen technischen Hochschulen geben, und dass
die bisherige Diplomprüfung, die nach dem Erlass vom 3. April
1901 bis auf weiteres hinsichtlich des Promotionsrechtes anerkannt
worden ist, sich, abgesehen von einer häuslichen Probearbeit,
in der Form nicht wesentlich von der Bauführerprüfung unter
scheidet. Wird auch die eine Prüfung lediglich von der
akademischen Behörde abgenommen, so haben die Professoren
in der Bauführerprüfung doch einen wesentlichen Anteil, und
schliesslich stützen sich beide auf das gleiche akademische
Studium. Wenn daher die erste Hauptprüfung der Diplom
prüfung hinsichtlich der Zulassung zur Doktor-Promotion gleich
gestellt würde, so dürfte ein derartiges Vorgehen wohl kaum
als ein Eingriff in die freie Selbstbestimmung der technischen
Hochschulen angesehen werden können.
In den anderen Bundesstaaten liegen die Verhältnisse zum
Teil ebenso, wie in Preussen, und nur zum Teil etwas günstiger
für die Staatsbaubeamten.
Der Verband deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine,
welcher mit seinen 38 sich auf ganz Deutschland verteilenden
Vereinen mit einer Gesamtzahl von über 7000 Mitgliedern sich
wohl als der Vertreter der deutschen Architektenschaft und der
Bauingenieure betrachten darf, hat es bei dieser Sachlage als
seine Pflicht betrachtet, zu der Frage der Doktor-Promotion an
den deutschen technischen Hochschulen Stellung zu nehmen.
Die XXX. Abgeordnetenversammlung des Verbandes, welche
am 23. und 24. August in Königsberg i. Pr. tagte, hat e.^ als
die Aufgabe des Verbandes festgestellt, dahin zu wirken, dass:
1. die Staatsbaubeamten (Bauführer und Baumeister) in
allen Bundesstaaten ' unter Vermeidung weiterer I rüf-
ungen zur Doktor-Promotion zugelassen werden,
2. die neuen Diplomprüfungsordnungen möglichst einheitlich
für alle Bundesstaaten gefasst und auf alle Abteilungen
der technischen Hochschulen ausgedehnt werden.
Wir richten an Euer Excellenz die ehrerbietige Bitte, in
diesem Sinne, welcher den Wünschen der überwiegenden Mehrheit
der Staatsbaubeamten entspricht, eine Regelung der Zulassm tgs-
bedingungen zur Doktor-Promotion sowie der neuen Diplom
prüfungsordnungen herbeiführen zu wollen.
Der Vorstand des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine.
Der I. Vorsitzende: Waldow. Der II. Vorsitzende: v. Weltzien.
2. Abschrift vorstehender Eingabe ist dem preussischen Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten mit folgendem
Anschreiben übersandt worden :
Dresden-Darmstadt, den 20. September 1901.
Euer Excellenz
beehrt sich der unterzeichnete Vorstand des Verbandes deutsche
Architekten- und Ingenieur-Vereine, eine an den Herrn Kultus
minister gerichtete Eingabe in Sachen der Anerkennung der
I. Staatsprüfung im Baufache als Vorbedingung für die Zulassung
zur Doktor-Promotion mit der ehrerbietigen Bitte zu überreichen,
als der berufene Vertreter des Staatsbaufaches für die Interessen
der Staatsbaubeamten in dieser Frage in einem Sinne eintreten
zu wollen, welcher den Wünschen der überwiegenden Mehrzahl
der Staatsbaubeamten entsprechen würde.
3. Dieselbe Eingabe ist ferner den Senaten der drei preussischen technischen Hochschulen zu Berlin, Hannover und
Aachen mitgeteilt worden mit folgendem Anschreiben:
Dresden-Darmstadt, den 20. September 1901.
Einem hohen Senate
beehrt sich der unterzeichnete Vorstand des Verbandes deutscher
Architekten- und Ingenieurvereine im Aufträge der XXX. Ab
geordnetenversammlung des Verbandes, welche am 23. und
24. August in Königsberg i. Pr. getagt hat, eine an den Herrn
Kultusminister in Sachen der Anerkennung der I. Staatsprüfung
im Baufache als Vorbedingung für die Zulassung zur Doktor-
Promotion gerichtete Eingabe beifolgend mit der Bitte zu über
reichen, sich den in dieser Eingabe im Sinne der überwiegenden
Mehrheit der Staatsbaubeamten ausgesprochenen Wünschen
nicht verschliessen zu wollen. —
Während die entsprechenden Eingaben an die zuständigen Minister und technischen Hochschulen, sowie an die
anderen in Frage kommenden Bundesstaaten vorbereitet wurden, erschien die neue sächsische Diplomprüfungsordnung.
Es sind darauf an die zuständigen Ministerien des Kultus und Unterrichtes der anderen Bundesstaaten die nachstehenden,
etwas veränderten Anschreiben gerichtet worden, welche wiederum mit besonderem Anschreiben den Ministerien zugeschickt
wurden, welchen in dem betr. Bundesstaat das Bauwesen unterstellt ist, sowie den betr. technischen Hochschulen.