No. 4
Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baükunde in Stuttgart,
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Das Meliorationswesen in Württemberg.
Vortrag, gehalten im Verein für Baukunde am io. Mai 1902 von Baurat Canz.
Sehr geehrte Herren! Zufolge einer Aufforderung des
Herrn Vereinsvorstands erlaube ich mir, Ihnen einige Mit
teilungen über den Stand des Meliorationswesens in Württem
berg zu geben.
Zuvor muss ich Sie aber um Ihre gütige Nachsicht bitten,
da es mir wegen meiner Berufsarbeiten und der kurzen Zeit,
die mir zur Verfügung stand, nicht möglich war, meinen Mit
teilungen grössere Sorgfalt zuzuwenden und insbesondere bessere
Zeichnungen Ihnen vorzuführen. Die eingerahmten Pläne über
ausgeführte Meliorationen, die Sie hier ausgehängt sehen, wurden
seinerzeit zu Zwecken einer Ausstellung angefertigt und sind
mir durch die Güte des Herrn Präsidenten der kgl. Zentralstelle
für die Landwirtschaft für den heutigen Abend überlassen
worden.
Ich bitte Sie also, mit demjenigen vorlieb nehmen zu
wollen, was ein mitten in der Praxis stehender Techniker, der
zudem über wenig Personal verfügt, Ihnen bieten kann.
Die Berechtigung, zu Ihnen heute über das .deliorations-
wesen zu sprechen, darf ich vielleicht daher leiten, dass dieser
Zweig der Technik insofern auf einer Etappe seiner Entwick
lung angelangt ist, als mit Anfang dieses Jahres das Wasser
gesetz in Württemberg in Kraft trat, welches verschiedene Er
leichterungen in der Durchführung insbesondere grösserer
genossenschaftlicher Meliorationen geschaffen hat.
Die Meliorationen, meine Herren, sind ein wichtiges Mittel
zur Steigerung der Bodenerträge und Verbesserung der Erwerbs
verhältnisse von Landwirtschaft und Industrie durch Ausnutzung
des vorhandenen Boden- und Wasserschatzes.
Das Meliorationswesen umfasst die Regelung der Wasser
verhältnisse von Flüssen und Bächen behufs Verhütung von
Ueberschwemmungen, von Uferabbrüchen und Verwilderungen,
die Beseitigung von Bodenversumpfungen, die Herstellung von
Anlagen zur Zurückhaltung des Wassers, die Ausführung von
Bewässerungen für landwirtschaftlich benützte Flächen und die
Anlage von Feldwegnetzen und Zufahrtssteigen zur leichteren
Bewirtschaftung des landwirtschaftlich bebauten Areals.
Die Besitzverteilung des landwirtschaftlich benützten Grund
und Bodens in unserem engeren Vaterlande bringt es mit sich,
dass der Umfang der einzelnen Meliorationsunternehmungen ein
verhältnismässig geringer ist und bei allen eine mehr oder minder
grosse Zahl von Grundbesitzern und Grundstücken beteiligt ist.
Aus Mangel an gesetzlichen Bestimmungen über Genossen
schaftsbildung mit Beitrittszwang und zwangsweiser Belastung
von Grundstücken mit Dienstbarkeiten war es bis jetzt nur
dann möglich, ein genossenschaftliches Meliorationsunternehmen
durchzuführen, wenn sämtliche Beteiligte mit der Ausführung
einverstanden waren. Dass die Beibringung der Zustimmung
sämtlicher Interessenten und zu Belastenden mit grossen
Schwierigkeiten und Umständlichkeiten verknüpft war, können
Sie sich denken. Manches nützliche Unternehmen kam aus
Mangel an Gemeinsinn, aus Unverstand oder Eigensinn nicht
zu stände. Erfreulicherweise ist es aber durch Geduld und Be
lehrung und insbesondere durch die zwingende Macht gut aus
geführter Beispiele in vielen Fällen gelungen, für die Beteiligten
vorteilhafte Unternehmungen zur Ausführung zu bringen.
Die königl. Regierung hat schon in den 40 er Jahren des
vorigen Jahrhunderts dem Meliorationswesen ihre Aufmerksam
keit zugewandt und dasselbe durch Gewährung von Beiträgen
zu ausgeführten Unternehmungen, Ausbildung von Sachver
ständigen, staatliche Aufstellung von Wiesenbaumeistern zu
fördern gesucht. Die damals neu gegründeten landwirtschaft
lichen Bezirksvereine wurden aufgefordert, solchen Unter
nehmungen ihre eifrigste Thätigkeit zuzuwenden und die da
malige Zentralstelle des landwirtschaftlichen Vereins auf dem
laufenden zu erhalten.
Im Jahre 1843 wurde ein Wiesenbaumeister aus Hessen
berufen, der an dem landwirtschaftlichen Institut und der
Ackerbauschule in Hohenheim Unterricht im Kunstwiesenbau
und der Entwässerung zu erteilen und Behörden, Genossen
schaften und Private hinsichtlich der Ausführung solcher An
lagen zu beraten hatte.
Zöglinge der Ackerbauschulen des Landes, welche sich an
diesem Unterricht beteiligten und sich zu Wiesenbaugehilfen
ausbilden liessen, erhielten Staatsunterstützungen.
Später wurde sodann in jedem der vier Kreise des Landes
ein Wiesenbaumeister im Nebenamt zur Beratung der Land
wirte aufgestellt.
Einen neuen Aufschwung nahm das Meliorationswesen,
als im Jahre 1873 ein akademisch gebildeter Ingenieur, der aus
Baden berufen wurde, bei der Zentralstelle für die Landwirt
schaft angestellt worden war mit der Aufgabe, sich aus
schliesslich der Förderung der Bodenkultur zu widmen.
Die Zahl der ausgeführten Unternehmungen nahm seither
stetig zu, besonders nachdem das Institut der Kulturauf
seher geschaffen und es möglich geworden war, die Landwirte
nicht nur zu beraten und ihnen einen Entwurf über eine
Melioration zu fertigen, sondern auch denselben auszuführen
und die Ausführung durch gut geschulte, beständig mit der
artigen Arbeiten beschäftigte Kulturaufseher überwachen zu
lassen. Im Jahre 1886 brachte das Feldbereinigungsgesetz
neuen Geschäftszuwachs, indem vielfach die Vorarbeiten für
Feldbereinigungen von den Kulturingenieuren gefertigt und die
Ausführung der gemeinsamen Anlagen für solche Unternehmungen
geleitet werden.
Das bei der Zentralstelle angestellte kulturtechnische Personal
besteht zur Zeit aus 3 Ingenieuren, 1 Geometer und 7 Kultur
aufsehern.
Die Kulturingenieure haben auf Antrag Behörden, Genossen
schaften und Private in Meliorationsangelegenheiten zu beraten,
die Anregung zur Aufstellung geeigneter Entwürfe zu geben,
die Vorarbeiten für dieselben zu fertigen, die Ausführung zu
leiten und die Abrechnung und Verteilung der Kosten auf die
einzelnen Beteiligten aufzustellen.
Was nun die in den letzten Jahrzehnten ausgeführten Unter
nehmungen betrifft, so wurden in einer Reihe von Fällen durch
Regelung von Wasserläufen, d. h. Vergrößerung des Durchfluss
profils, Beseitigung schädlicher Krümmungen und zu enger
Brücken und Durchlässe, Senkung des Wasserspiegels, Abflachen
und Befestigen der Böschungen namhafte Vorteile erzielt.
Derartige Arbeiten waren um so nutzbringender, je höher
das beteiligte Gelände gewertet wurde.
Vielfach gibt die Feldbereinigung Gelegenheit, Bach- und
Grabenkorrektionen zum Schutz gegen Ueberschwemmungen und
Versumpfungen auszuführen.
Bei den Bachkorrektionen wurde in der Regel der
Grundsatz festgehalten, dass das neue Bachprofil nur zur Auf
nahme der häufig vorkommenden Sommer-Hochwasser dienen
soll, während Durchlässe und Brücken derart hergestellt wurden,
dass sie die grössten vorkommenden Hochwasser ohne schäd
lichen Rückstau abführen können.
Da derartige Unternehmungen meist mit grossen Kosten
verknüpft sind, so konnten sie nur dann zur Ausführung kommen,
wenn eine kräftige Beihilfe aus staatlichen oder Körperschafts
mitteln geleistet wurde.
(Typische Beispiele dieser Art zeigen die Prinkorrektion in
den Markungen Rottweil und Göllsdorf und die Schmiecha-
korrektion in der Markung Thailfingen, O.-A. Balingen.)
In den Formationen der Lettenkohle, des Keupers, des
schwarzen und braunen Jura, in den Moor- und Torfgebieten
der Moräne und den Lehmböden mit undurchlassender Unter
lage ist an vielen Orten die Entwässerung des Bodens zur
Beseitigung der stauenden Nässe und Ermöglichung einer
besseren Wirtschaftsweise ein dringendes Bedürfnis.
Am häufigsten kommt zur Ausführung die Röhren-Drainier-
ung, deren Beliebtheit sich durch ihre gute Wirkung und leichte
Anwendung erklärt, indem diese Entwässerungsmethode ohne
Vornahme wesentlicher Aenderungen in der Grundstückseinteilung
und den bestehenden Wasserläufen ausgeführt werden kann,
auch bisher in den meisten Fällen keine polizeiliche Erlaubnis
zur Einführung der sich ergebenden, verhältnismässig geringen
Wassermengen in die öffentlichen Gewässer notwendig war.
Die Ausführung geschieht auf genossenschaftlichem Wege.
Die Grabarbeit wird von den Beteiligten selbst im Akkord ge
leistet. Die Kosten werden nach Verhältnis der entwässerten
Fläche auf die einzelnen Beteiligten umgelegt. Dieselben be
tragen pro ha zwischen 220 und 350 M.
Was die technische Seite der Sache anbelangt, so kommt
allgemein die Tiefdrainierung mit Draintiefen von 1,4 bis 2,0 m