No. 5
Monatsschrift des Württembo. Vereins für Badkunde in Stuttgart.
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Abwässern besser bei den städtischen Abwässern als bei den
Fabrikabwässern verfolgen.
Der Gedanke lag nahe, der Landwirtschaft, welche die
Produkte zur Ernährung der Städte liefert, die Abfallstoffe zur
Düngung des Bodens zurückzugehen. Die Versitz- und Schling
gruben wurden durch undurchlässige ersetzt. Da man hierbei
auf Schwierigkeiten stiess, auch die Räumung der Gruben
Unannehmlichke.ten mit sich brachte, so wurden Kübel und
Tonnen eingeführt. Es entstand das System der geregelten
Abfuhr, welche von Unternehmern oder den Stadtverwaltungen
in eigener Regie besorgt wird. Dieses System besteht auch
heute noch zu Recht und es hat unverkennbare Vorteile. Aber
es hat als Nachteil zunächst den, dass es nur bis zu einer
gewissen Grösse der Städte durchführbar ist. Ferner stockt ab
und zu die Abfuhr, da die Landwirte die Abfallstoffe, die
Fäkalien, um die es sich hier besonders handelt, nur zeitweise
gebrauchen können. Mit der Aufstapelung des Materials treten
aber, selbst nach wenigen Tagen, in der Grube Stickstoff
verluste auf, welche dessen Dungwert vermindern. Diese Ver
luste suchte man durch Zugabe von Chemikalien und physi
kalisch wirkenden Mitteln zu den Fäkalien zu verhüten. Man
war hierbei bestrebt, lästige Geruchsentwicklungen zu be
seitigen, nach Umständen auch zu desinfizieren. Das Torfstreu
verfahren (-Kloset) darf in dieser Richtung als der beste Vor
schlag erachtet werden. Bei zentraler Aufstapelung der Fäkalien
leisten die Verfahren der Poudrettierung und Kompostierung in
dieser Hinsicht gute Dienste. Sie liefern ein haltbares und
transportfähiges Material, welches leider durch seine Herstellungs
kosten einen schweren Konkurrenzkampf mit den sogenannten
künstlichen Düngemitteln (Chlorkaliumindustrie,Thomasschlacken
mehl, Guano) zu bestehen hat.
Mit der Einführung der Schwemmkanalisation schlug die
Forschung der Abwasserreinigung eine vollkommen andere
Richtung ein. Die verdünnte Kanaljauche ist für eine direkte
landwirtschaftliche Verwendung unbrauchbar; sie ist ärmer an
Nährstoffen, der grosse Wasserballast erhöht zu stark die
Verfrachtungskosten. Das Bestreben ging dahin, die Dung-
stoffe aus der Kanaljauche herauszuholen und diese der Land
wirtschaft zu gute kommen zu lassen; so entstanden die Klär
verfahren. Im wesentlichen nutzen diese die Unterschiede des
spezifischen Gewichtes aus; die ungelösten Stoffe scheiden sich
durch ihre grössere Schwere von dem flüssigen Anteil der
Jauche ab. Diesen Vorgang hat man durch Zugabe von
Chemikalien zu begünstigen versucht, welche beschwerende
Niederschläge bewirken. Die Vorschläge in letzter Beziehung
sind nahezu unzählig; am meisten wurde der Kalk benutzt,
ohne oder mit Zusatz der verschiedenartigsten Stoffe. Diese
Verfahren finden sowohl vereinzelte, wie zentrale Anwendung.
Man baut Gruben mit Ueberlauf oder doppelte Gruben für das
einzelne Haus, oder man sammelt das Kanalwasser in
Zentralbassins. Durch die Bauausführung wurde die
mechanisch-chemische Klärung vervollkommnet, nach
Umständen wurde sie noch durch maschinelle Einrich
tungen unterstützt. Auch hier machte sich bald der
Missstand fühlbar, dass man das gewonnene Material,
die Klärrückstände, nicht los werden konnte. Die
selben vermehren sich durch die chemischen Zusätze
und werden durch diese auch landwirtschaftlich minder
wertiger.
Wo es die Bodenverhältnisse zuliessen, ist man dazu über
gegangen, die Jauche durch den Boden zu reinigen, durch
Filtration und Berieselung. Neuerdings hat man die komplizierten
Verhältnisse, in welchen die reinigende Kraft des Bodens beruht,
Lus künstlichem Wege nachzubilden versucht; hierauf beruhen
vornehmlich die sogenannten biologischen Verfahren der Ab
wasserreinigung.
Von einigen belanglosen Versuchen der Verwendung von
Elektrizität (das Web st er’sehe und das Hermite’sche Ver
fahren) abgesehen, bewegte sich die Forschung der Abwasser
reinigung immer in diesen Bahnen. Heute ist man durch
eingehendes Studium der einzelnen physikalischen und chemischen
Vorgänge bei erprobten Verfahren bestrebt, denselben noch
anhaftende Nachteile zu beseitigen oder zu verringern.
Es konnte nicht Aufgabe einer allgemeinen Weltaus
stellung sein, ein Bild der historischen Entwicklung einer
speziellen Frage der praktischen Hygiene zu geben; die Vor
führungen in Paris im Jahre 1900 sollten vielmehr nur einen
orientierenden Einblick über den gegenwärtigen Stand dieser
Frage geben. Es ist eine erfreuliche Thatsache, dass sich hieran
Deutschland gegenüber anderen Ländern am meisten beteiligt
hat, insbesondere durch die vom kaiserlichen Gesundheitsamt
vorbereiteten Vorführungen. Wenn diese auf Vollständigkeit
keinen Anspruch machen durften, so lag dies an äusseren
Gründen, nicht zum mindesten an dem bedauerlichen Umstande,
dass der nötige Raum nicht verfügbar war; dass sie gleichwohl
Beachtung gefunden haben, dafür spricht, dass die Aussteller
fast ausnahmslos von den Preisrichtern mit ehrenden Auszeich
nungen bedacht wurden. In Nachfolgendem sollen die vor
geführten Verfahren besprochen und daran Kritik geübt werden,
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in wie weit man auf Grund der Erfahrung früher erkannte
Nachfeile auszugleichen vermochte.
Die rein mechanische Klärung ohne Zusatz von
Ghemikalien war durch ein Modell der Schmutzwasser-
Reinigungsanlage der Residenzstadt Kassel vertreten. Die
Anlage in Kassel (Fig. I a und 1 b) reinigt zunächst die Abwässer
von 90 000 Menschen, da in einem Stadtteil die im Bau begriffene
Kanalisation noch nicht beendet ist. Es sind fünf Klärbecken
(K) angelegt, deren jedes 40 m lang, im Durchschnitt 4 m breit
und 3,5 m tief ist; die Sohlen haben in der Durchfiussrichtung
ein Gefälle von 1: 100. Irgend welche Vorrichtungen zum
Abfangen der Schwimm- und Sinkstoffe, wie Siebe, Schlamm
fänge, Wehre oder Eintauchplatten, sind in diese selbst wie in
die Zuflussleitung nicht eingebaut. Damit ist der Vorteil erreicht,
dass die Beseitigung der Rückstände von einem Punkte aus auf
maschinellem Wege bewerkstelligt werden kann. Die Becken
werden der Reihe nach in Gebrauch genommen, sodass der
Betrieb ein ununterbrochener ist; gleichwohl befindet sich das