Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

Nr. 5 und 6 
Monatsschrift des Württembg. Vereins für Badkünde in Stuttgart. 
55 
Bericht 
der vom Verein unter dem 26. März d. Js. gewählten Kommission zur Beratung des vom Kgl. Ministerium 
des Innern bearbeiteten „Entwurfs einer Bauordnung“. 
Die Kommission hat in sieben Sitzungen den Entwurf durchberaten und ist zu folgendem Ergebnis gelangt. Sie hält im 
allgemeinen den Entwurf, der sich im grossen Ganzen an das bisherige Recht anschliesst, für wohlgeeignet, die im Lauf der Jahre 
bei der Handhabung des alten Gesetzes hervorgetretenen Mängel zu beseitigen und zeitgemässe Verbesserungen einzuführen, sie 
schlägt aber dem Verein unter näherer Begründung nachstehende Abänderungen des Entwurfs als wünschenswerte Verbesserungen vor. 
Fassung des Entwurfs einer Bauordnung. 
(Bearbeitet im Kgl. Ministerium des Innern.) 
Art. 3. 
Die Errichtung eines neuen und die Abänderung eines be 
stehenden Ortsbaustatuts steht dem Gemeinderat mit Zustimmung 
des Bürgerausschusses,*) in zusammengesetzten Gemeinden nach 
Vernehmung der gesetzlichen Vertreter der betreffenden Teil 
gemeinden zu. Dabei ist, wenn es sich nicht um ganz einfache 
Fälle handelt, ein Bauverständiger, welcher wenigstens die Prü 
fung als Bauwerkmeister erstanden haben muss, beizuziehen. 
Dem Beschlusse über ein Ortsbaustatut hat die öffentliche Be 
kanntmachung des Entwurfs mit der Aufforderung an alle Be 
teiligten vorauszugehen, etwaige Einwendungen gegen die vor 
geschlagenen Bestimmungen innerhalb einer bestimmten Frist, 
welche in der Regel auf mindestens vier Wochen festzusetzen 
ist, geltendzumachen. Die öffentliche Bekanntmachung kann durch 
die Vernehmung der Beteiligten ersetzt werden, wenn die Wirk 
samkeit der zu erlassenden Vorschriften sich auf ein genau be 
grenztes Baugebiet von so kleinem Umfang beschränken soll, 
dass sämtliche Beteiligte bekannt sind. 
Ueber die vorgebrachten Einwendungen haben die Gemeinde 
kollegien*) zu beschlossen.. 
Die Errichtung und die Abänderung des Ortsbaustatuts bedarf 
der Genehmigung des Ministeriums des Innern. 
Die genehmigten Bestimmungen sind öffentlich bekanntzu 
machen und erlangen damit — soweit in dem Statut nicht eine 
beschränkende Bestimmung getroffen ist — für den ganzen Ge 
meindebezirk bindende Kraft. 
*) Die liier und in Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3, Art. 11 
Abs. 3, Art. 14, 64 Abs. 2, Art. 70 Abs. 1, Art. 71 Abs. 3 
und Art. 74 genannten Gemeinde- und Amtskörperschaftsvertre- 
tungen sind im Falle der Annahme des Entwurfs einer Gemeinde- 
und Bezirksordnung durch die dort gewählten und neugeschaffenen 
Bezeichnungen und Aemter (Gemeinderat an Stelle von Gemeinde 
rat und Bürgerausschuss, Stadtrat und Stadtverordnetenversamm 
lung, Bezirksrat und Bezirksversammlung) zu ersetzen. 
Art. 4. 
Dem Gemeinderate*) kommt zu, mit Zustimmung des Bürger 
ausschusses,*) in zusammengesetzten Gemeinden nach Vernehmung 
der gesetzlichen Vertreter der betreffenden Teilgemeinden und 
unter Zuziehung eines Bauverständigen, welcher wenigstens die 
Prüfung als Bauwerkmeister erstanden haben muss, sowie mit 
Genehmigung der Regierungsbehörde neue Ortsbaupläne mit Bau 
linien und Strassenhöhen festzustellen und die bestehenden Orts 
baupläne nach Bedürfnis abzuändern. Wenn es sich nur um die 
Feststellung einer Baulinie von untergeordneter Bedeutung han 
delt, genügt die Zuziehung eines geprüften Feldmessers. 
Die Feststellung neuer Ortsbaupläne hat namentlich zu ge 
schehen, wenn und soweit für unbebaute Flächen des Gemeinde 
bezirks eine ausgedehntere Ueberbauung in Aussicht steht. 
Ebenso sind da, wo ein Bedürfnis und ein geeigneter Anlass 
zur Regelung oder Erbreiterung bestehender Strassen und öffent 
licher Plätze vorliegt, Baulinien mit Strassenhöhen festzusetzen. 
Ist eine Baulinie nicht festgestellt, so hat die Erweiterung 
des Ortsbauplans oder die Feststellung einer Baulinie nebst 
Strassenhöhe dann zu erfolgen, wenn an einer Ortsstrasse oder 
einem öffentlichen Platze oder in deren Nähe ein neues Gebäude 
aufgeführt oder ein bestehendes Gebäude erneuert oder wesentlich 
verändert werden will (vgl. Art. 7). Die Feststellung einer Bau- 
linie nebst Strassenhöhe kann jedoch mit Zustimmung der Re 
gierungsbehörde unterbleiben, wenn eine solche weder von einem 
Beteiligten beantragt noch mit Rücksicht auf die Wahrung einer 
genügenden Strassenbreite oder sonstiger Interessen für geboten 
erachtet wird. 
*) Siehe oben Anm. zu Art. 3. 
Begründung der Vorschläge zum Entwurf einer 
Bauordnung. 
Zu Art. 3. 
Die Worte in Abs. 1 u. 2 [wenn es ... . handelt] sollen 
wegfallen, und hinter den Worten erstanden haben muss“ 
soll angefügt werden „(Ortsbautechniker s. Art. 70 Abs. 1)“. 
Die Entscheidung darüber, ob es sich um einen „einfachen 
Fall“ handelt, wird meistens auf technischen Erwägungen be 
ruhen. Es liegt also ohne Beiziehung des Ortsbautechnikers die 
Möglichkeit vor, dass die Tragweite und Konsequenz eines solchen 
Beschlusses von den Gemeindekollegien ungenügend erfasst wird; 
dabei erscheint es unter allen Umständen wünschenswert, dass der 
Ortsbautechniker in ortsbaustatutarischen Fragen mit der Ge 
meindevertretung in steter Fühlung bleibt und etwaige Bedenken 
rechtzeitig zu Gehör bringen kann. — Aus ähnlichen Gründen 
möchten wir empfehlen, die Worte „die öffentliche Bekannt 
machung .... bekannt sind“ zu streichen. Wenn auch zuzugeben 
ist, dass ortsbaustatutarische Bestimmungen zuweilen nur Inter 
essenkreise, welche räumlich scharf abgrenzbar sind, berühren, 
eo sind doch Fälle denkbar, wo in diese scheinbar fest um- 
rissene Grenze ein berechtigtes Interesse weiterer Kreise herein 
spielt. Da die neuaufgenommene Regelvorschrift über die Be 
kanntmachung eine kurze Fristbestimmung gestattet und die Ver 
nehmung des Ortsbautechnikers kaum eine Verzögerung mit sich 
bringt, so wird immer noch eine Vereinfachung gegenüber der 
bisherigen Uebung eintreten. 
Zu Art. 4. 
Die Zuziehung eines Feldmessers bei der Feststellung „einer 
Baulinie von untergeordneter Bedeutung“ an Stelle eines geeig 
neten Bautechnikers können wir nicht gut heissen, da dem Feld- 
messer jede schulmässige Ausbildung und ein amtlicher Nach 
weis über die erforderlichen Kenntnisse im Baufach abgehen. Jede 
Neufeststellung oder Abänderung im Ortsbauplan, auch wenn sie 
räumlich aufs äusserste beschränkt ist, kann als Teil eines or 
ganischen Ganzen recht unerwünschte weittragende Folgen für die 
spätere Ausgestaltung des Plans nach sich ziehen. 
Die Fälle, wo durch falsch angesetzte Strasseneinmündungen, 
fehlerhafte Visiere u. dergl. nicht mehr gutzumachende Verstösse 
gegen die Anforderungen des Art. 9 in die Ortsbaupläne hinein 
gebracht worden sind, kommen erfahrungsgemäss so häufig vor, 
dass Feststellungen ohne Zuziehung eines Sachverständigen grund 
sätzlich vermieden werden sollten.
	        

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