Full text: Monatsschrift des Württembg. Vereins für Baukunde in Stuttgart (1898-1904)

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Bedürfnis. Oberbürgermeister Heim mochte aber in diese Frage um 
so weniger mehr eintreten, als er die Absicht hatte, sobald der Münster 
turm vollendet sei, sein Amt auf jüngere Schultern übergehen zu 
lassen; er begnügte sich damit, die Bedürfnisfragc anzuregen, indem 
er die Ausführung gleichzeitig als eine Aufgabe für seinen Nach 
folger bezeichnete. 
So war es denn eine der ersten Sorgen des neuen Oberbürger 
meisters Wagner, diese Aufgabe in die Hand zu nehmen. Es schien 
ihm jedoch zweckmäßiger, anstatt die Kosten, welche der Bau erheischte, 
ganz oder teilweise der Stadt aufzubürden, lieber den Versuch zu 
machen, mittels Gründung einer Aktiengesellschaft die Bürgerschaft 
durch direkte Beteiligung des Einzelnen mit seinem Geldbeutel in 
unmittelbare Beziehung zu dem Unternehmen zu bringen und 
auf diese Weise das Interesse der Ulmer für die Sache in erhöhtem 
Maße heranzuziehen. 
Eine Aufforderung zur Beteiligung brachte rasch ein Grund 
kapital von Jl 200000 zusamm en und so konnte zu den nötigen 
Vorarbeiten geschritten werden. 
Zunächst beschäftigte die Platzfrage die Gemüter und es zeigte 
sich bald, daß die Ansichten über dieselbe in dem neu gebildeten 
Jnitiativkomite der Gesellschaft weit auseinander gingen. Selbst die 
Meinungen der bauverständigen Mitglieder des letzteren waren nicht 
unter einen Hut zu bringen. Während die einen sich für den Platz 
an der Bahnhofstraße an der Stelle der abgebrannten Mühle erwärmt 
hatten und hiemit dem Eingang in die Stadt dieses öffentliche Ge 
bäude sichern wollten, waren andere mehr für etwas entferntere Plätze 
in der mit Anlagen versehenen Olgastraße, in der Gegend der Syrlin- 
straßc eingenommen, weil sie fürchteten, die Bahnhofstraße sei zu eng 
für ein solches Gebäude und die Lichtzuführung nicht genügend. 
Andere hatten den Wunsch, es möchte ein Bauplatz gewählt werden, 
der die Möglichkeit böte, eine Gartenwirtschaft mit dem Saalbau 
zu verbinden. 
Es wurde daher beschlossen, einen auswärtigen unbeteiligten 
Sachverständigen, der sich mit ähnlichen Gebäuden praktisch beschäftigt 
habe, um ein Gutachten in der fraglichen Angelegenheit anzugehen 
und es wurde an mich die Anfrage gerichtet, ob ich in der Lage und 
bereit sei, mich dieser Aufgabe zu unterziehen. 
In diesem Stadium bin ich in die Baufrage des Ulmer Saal 
baues eigetreten, indem ich zunächst für alle drei Plätze Skizzen an 
fertigte, um zu untersuchen, was sich auf jedem der ins Auge gefaßten 
Grundstücke erreichen lasse. 
Es zeigte sich dabei, daß der eine auf der Stelle der alten 
Stadtmauer an der Olgastraße gelegenen Bauplatz bezüglich der 
Nebenräume eine große Beschränkung auferlegte, daß dagegen die 
beiden andern Plätze den Raum für ein zweckentsprechendes Programm 
boten; daß ferner auf dem Grundstück an der Olgastraße ein freier 
Platz vor dem Gebäude erübrigt werden könnte, der sich als Wirt 
schaftsgarten ausnützen ließ, während die Situation durch die Nähe 
der beiderseitigen Nachbargrundstücke, bei welchen eine künftige Ueber- 
bauung nicht ausgeschlossen war, die Lichtverhältnisse weniger günstig 
ließ, als diejenigen auf dem Grundstück an der Bahnhosstraße. Für 
dieses letztere Grundstück sprach außerdem noch der Umstand, daß die 
Bahnhofstraße, als direkte Verbindung zwischen dem Bahnhof einerseits, 
sowie dem Münsterplatz und Marktplatz andrerseits eine Hauptverkehrs 
ader von Ulm bildet und deshalb nicht nur für die Wirtschaft, diese 
notwendige Vorbedingung für das Gedeihen des ganzen Unter 
nehmens, die günstigsten Aussichten bot, sondern insbesondere auch 
die Möglichkeit in sich schloß, durch eine Anzahl nach Größe und 
Ausstattung auf der Höhe der heutigen Anforderungen stehender Ver 
kaufsläden eine sichere Rente für einen beträchtlichen Teil des Anlage 
kapitals zu erzielen. Unter diesen Gesichtspunkten mußte sich das 
sachverständige Gutachten für den Platz an der Bahnhofstraße aus 
sprechen und es wurde auch im großen Komite mit erheblicher Majorität 
beschlossen, den in städtischem Besitz befindlichen und zu annehmbarem 
Preis angebotenen alten Mühlenplatz nebst den zur Ergänzung nötigen 
kleineren Grundstücken für die Saalbaugesellschaft zu erwerben und 
auf dem ebenfalls in dem Gutachten empfohlenen Wege einer öffent 
lichen Konkurrenz sich volle Klarheit über das Erreichbare auf diesem 
Bauplatze zu verschaffen. 
Diese Konkurrenz hat etliche 30 zum großen Teil sehr schöne 
Entwürfe zu tage gefördert, von welchen drei preisgekrönte hier zur 
Einsicht ausgehängt sind. 
Wie bei den meisten Konkurrenzen, mußten auch bei dieser eine 
große Zahl architektonisch sehr hervorragender Arbeiten beim ersten 
Durchgang ausgeschossen werden, weil sie eine im Verhältnis zu der 
gebotenen Bausumme viel zu große Grundfläche überbauten und damit 
meistens auch in Konflikt mit den polizeilichen Bestimmungen über 
nachbarliche Abstände und Lichtrecht geraten waren, so daß sie für 
die Ulmer Verhältnisse unausführbar gewesen wären, oder weil An 
lagen gewählt waren, die sich für die in Aussicht zu nehmenden ver 
schiedenartigen Gebrauchsarten nicht eigneten. 
So mußten z. B. alle diejenigen Anlagen fallen, bei welchen 
das Podium nicht, ohne den Saal zu berühren, für die bei größeren 
Aufführungen Mitwirkenden erreichbar, oder keine genügenden Aufent 
halts- und Versammlungsräume für dieselben vorgesehen waren. 
Bei alledem ist die Konkurrenz nicht ohne den wünschenswerten 
Erfolg gewesen, sondern hat zur Klärung der Baufrage wesentlich 
beitragen. 
Die Ausarbeitung des für die Ausführung bestimmten Entwurfes 
wurde mir übertragen. Meine Bedenken hiegegen, die mich zunächst 
veranlaßt hatten, dem Komite meine direkte Mitwirkung bei diesen 
Arbeiten zu verweigern, da sich eine solche mit meiner Teilnahme 
am Preisgericht nicht vertrage, wurden von dem Vorsitzenden des 
Komites, Herrn Oberbürgermeister Wagner, nicht acceptiert. Er 
machte gegen diese Bedenken geltend, daß der Preisträger des in erster 
Linie in Betracht kommenden Projektes, welches auch in seinen Haupt 
zügen zur Ausführung gelangen solle, Herr Stadtbaumeister Roman, 
nicht in der Lage sei, sich der Ausführung anzunehmen und im 
Komite selbst den Vorschlag gemacht habe, dieselbe in meine Hände 
zu legen. Nachdem sich alsdann auch der Geheime Baurat Professor- 
Wagner in Darmstadt, dem ich die Angelegenheit zur Beurteilung 
vorgelegt hatte, dahin aussprach, daß bei der vorliegenden Sachlage 
eine Verletzung der bei Konkurrenzen einzuhaltenden Grundsätze nach 
seiner Ansicht nicht darin gefunden werden könne, stellte ich mich den: 
Koniite für die Ausführung zur Verfügung, indem ich mir vorbehielt, 
diejenigen Aenderungen, welche sich bei der Durcharbeitung als not 
wendig oder nützlich zeigten, vornehmen zu dürfen. 
Ich konnte mich mit der gegebenen Totalanlage um so eher ein 
verstanden erklären, als sie, was den Hauptstock betraf, sich eng an 
meine ursprünglichen Skizzen anschloß und auch die Hauptmassen, 
sowie die Teilung der Fassade mit ihren beiden Giebeln schon in 
meiner ersten Aufstellung enthalten waren. 
Ein wesentlicher Unterschied bestand nur in der Verwendung des 
Parterrestocks, der in meinen Skizzen ursprünglich fünf große Läden 
enthielt, wodurch die Bierhalle nicht ganz so groß geworden war, als 
in der Ausführung, und das mit der Bierhalle verbundene Cafe 
mit Billard ganz fehlte. 
Die Läden hatten nämlich in Ulm große Aufregung unter den 
Geschäftsleuten hervorgerufen, denen von Gegnern des Saalbaues 
mitgeteilt worden war, es solle ihnen durch die Läden eine große 
Judenkonkurrenz auf den Hals geladen werden. Um diesem Gerücht 
die Spitze abzubrechen, wurde vom Komite beschlossen, lieber die 
Bierhalle zu erweitern und ein Cafe mit Billard an die Stelle der 
großen Läden zu setzen. So wurde bis auf zwei kleine Läden der 
ganze Parterrcraum, soweit ihn das Hauptvestibül, Treppenhaus und 
Garderobe übrig ließen, für wirtschaftliche Zwecke verwendet. 
Die auf solcher Grundlage ausgearbeiteten Pläne fanden im 
Herbst 1894 die Genehmigung des Komites. Im Frühjahr 1895 
wurde mit den Grabarbeiten begonnen, nachdem vorher die notwendig 
gewordene Verlegung des Blaukanals vollzogen war. Im Laufe des 
Jahres 1895 wurde der Rohbau in der Hauptsache vollendet und im 
Jahr 1896 der innere Ausbau so gefördert, daß anfangs Dezember 
des genannten Jahres die Wirtschaft eröffnet werden und im Januar 
1897 die Einweihung des Saales mit allen seinen Nebenräumen 
stattfinden konnte.
	        

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