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sogenannten chemischen Klärung unvermeidliche Zugabe von Kalk und
anderen Chemikalien. Das Projekt berücksichtigt den vollständigen
Ausbau aller bis jetzt für die Stadterlveiterung vorgesehenen Gebiete,
auf welchen für eine künftige Einwohnerzahl von 75000 Raum ge
schaffen ist. In dieser Ausdehnung kostet die Ausführung rund
4 Millionen Mark, während in der derzeitigen Ausdehnung der Stadt
die Anlage mit etwa 2'/r Millionen Mark durchgeführt werden kann.
Die Kanalisation ist die notwendigste der neuen sanitären Ein
richtungen in Pforzheim und wird wesentlich dazu beitragen, die in
der letzten Zeit in dieser Stadt hervorgetretenen Uebelstände zu beseitigen.
Die Irrenanstalt bei Rottenmünster bei Kottweil
(Ergänzung zu dem Protokoll in Heft 7, Seite 37, nach den
Diese Anstalt soll an Stelle der der Kongregation der barm
herzigen Schwestern gehörigen Privat-Anstalt St. Vincenz in Gmünd,
welche dort, inmitten der Stadt gelegen, nicht mehr haltbar ist, in
erweitertem Umfang und ganz den Fortschritten der Neuzeit entsprechend
erstellt werden und zur Aufnahme von etwa 450 Kranken dienen
können. Es ist gelungen, einen ganz idyllisch gelegenen Platz im
Ncckarthale durch Ankauf des früheren Frauenklosters Rottenmünster
zu erwerben. Mit diesem in nahezu quadratischer Form gebauten,
mit innerem Hof versehenen Klostergebäude ist eine schöne geräumige
Kirche verbunden und ein mit einer Mauer abgegrenzter anstoßender
Klostergarten. Es war anfangs beabsichtigt, die Anstalt dem vor
handenen Gebäude ganz anzupassen und nur für eine Anzahl von
ca. 200—250 Kranken einzurichten. Bald zeigten sich jedoch die
Schwierigkeiten, welche die Unterbringung männlicher und weiblicher
Kranken in einem und demselben Gebäude mit sich bringt, besonders
wenn dasselbe eine geschlossene Form bildet, und man entschloß sich
nach weiteren eingehenden Untersuchungen und Beratungen, das vor
handene Klostergebände nur zur Aufnahme der weiblichen Kranken
zu verwenden unv für die Männer ein besonderes Gebäude in an
gemessener Entfernung aufzuführen. Es wurde seiner Zeit an Herrn
Baudirektor v. Bock das Ansinnen gestellt, die Pläne für die ganze
Anstalt mit ihren Einrichtungen zu fertigen und derselbe hat sich
diesem Auftrage unterzogen und seine Kenntnisse und Erfahrungen,
die er sich im Gebiete der Jrrenhausbauten seit über 40 Jahren
dadurch erworben hat, daß sämtliche in dieser Zeit in den Württem
bergischen Staatsanstalten vorgekommenen Um- und Neubauten von
ihm bearbeitet und zum größten Teil unter seiner direkten Leitung
ausgeführt worden sind, der Kongregation für den vorliegenden Zweck
zur Verfügung gestellt. Es wird wohl kaum jemand in gleichem
Maße vergönnt gewesen sein wie ihm, in einem so langen Zeitraum
alle die verschiedenen Wandlungen in den Anschauungen über die
Unterbringung und Heilung der Geisteskranken zu erleben und mit
zumachen. v. Bock hatte dabei Gelegenheit, nicht nur einen großen
Teil der wichtigen deutschen Irrenanstalten, sondern auch verschiedene
ausländische, namentlich englische und französische, aus eigener An
schauung kennen zu lernen, und er hat es dabei nur immer in hohem
Maße bedauert, daß diese Gelegenheit nicht auch unseren Irrenärzten
zu teil wurde.
Was nun die gestellte Aufgabe der Anfertigung der Pläne für
die neue Anstalt betrifft, so handelte es sich zunächst darum, einen
organischen Plan zu finden, der den lokalen Verhältnissen sich anpaßt
und die verschiedenen erforderlichen Gebäude in die richtige Lage und
in die richtige Verbindung mit einander zu bringen gestattet. Die
Aufgabe war sehr schwierig zu lösen, da die lokalen und Terrain
verhältnisse verschiedene Hindernisse ergaben. Die letzteren konnten
beseitigt werden, dagegen hatte die Stellung der erforderlichen neuen
Gebäude, nämlich der Gebäude für die unruhigen weiblichen Kranken,
des Männerbaues und des Gebäudes für die unruhigen männlichen
Kranken zu dem Frauenbau ihre besonderen Schwierigkeiten.
Bei den vorliegenden Verhältnissen konnte von einer grnppen-
weisen Verteilung derselben, wie dies sonst in fast allen Fällen bei
neuen Anlagen geschehen ist, nicht die Rede sein. Es blieb nichts
übrig, als dieselben am oberen Teile des Gartens, zunächst der
Straße, in einer Reihe mit der Hauptfront nach Osten und Süden
zu stellen und unter sich durch einen geschlossenen Gang zu verbinden,
welcher sich zum alten Klostergebäude, dem Frauenbau, fortsetzt. Obgleich
in der süddeutschen Bauzeitung veröffentlichten Mitteilungen.)
die angegebene Stellung der Gebäude von der sonst zur Regel ge
wordenen grnppenweisen Stellung zu beiden Seiten einer Hauptachse
ganz auffallend abweicht, so hat sie doch sehr große, nicht genug zu
schätzende Vorteile durch die ganz außerordentliche Erleichterung des
Verkehrs mit den einzelnen Gebäuden für die Zwecke der Ueber-
wachung und Verpflegung. Man darf wohl sagen, es existiert gar
keine Anstalt, welche diese Vorteile in gleichem Maße zeigt.
Die Bauart der Irrenanstalten war bis jetzt entweder eine so
genannte geschlossene, d. h. von unmittelbar zusammenhängenden Ge
bäuden mit durchgehenden Korridors, oder es wurden für die einzelnen
Krankenabteilungeu besondere, für sich bestehende, mit Gärten um
gebene Gebäude von größerer oder geringerer Ausdehnung errichtet
und zwar für männliche und weibliche Kranke getrennt zu beiden
Seiten einer Hauptachse. In die Hauptachse selbst wurden die Ge
bäude für die Verwaltung und Aufnahme und für die ökonomischen
Bedürfnisse: Küche, Waschküche, Kessel- und Waschhaus, Sektions-
und Leichenhaus rc. gelegt. Die erstere Art bezeichnet man mit dem
Namen Korridorsystem, die zweite Art mit dem Namen Block
oder Pavillonsystem. Nun hat selbstverständlich jedes der beiden
Systeme seine besonderen Vorzüge und Nachteile. Bei dem Pavillon
system ist alles auseinander gezogen; es ist alles weitläufiger, mit mehr
Mühe, Zeit und Anstrengung verbunden, was notwendiger Weise,
wenn es auch von den betreffenden Aerzten nicht zugegeben wird,
zu weniger häufigem Besuch oder Ueberwachung der einzelnen Ab
teilungen führt, namentlich dann, wenn keine Verbindungsgänge oder
nicht gut geschützte vorhanden sind und wenn man den Unbilden der
Witterung ausgesetzt ist, also namentlich im Herbst und Winter und
bei Nacht. Die Vorzüge des Pavillonsystems liegen in der größeren
Absonderung der einzelnen Krankenabteilungen und in der bequemeren
direkten Verbindung der Räume mit den Gärten, auf welche ein
großer Wert gelegt wird.
Unsere staatlichen Anstalten gehören als adaptierte Anstalten
zu dem Korridorsystem und es zeigt eine Vergleichung der Pläne
von Schussenried, Winnenthal, Zwiefalten, Weißenau mit anderen,
insbesondere den zwei rheinischen Anstalten, ganz deutlich den Unter
schied der Systeme. In neuerer Zeit geht man nun noch weiter und
baut sogenannte Villen für die einzelnen Krankenabteilungen, wo
durch einerseits die angegebenen Vorzüge, andererseits die angedeuteten
Nachteile noch vermehrt werden. Man erhält hiebei auch für eine
mittelgroße Anstalt schon eine recht hübsche Zahl von Gebäuden, so
daß sie schon als eine kleine Ortschaft erscheint. Der beim Vortrag
aufgehängte Lageplan der Irrenanstalt Galkhausen kann als Beispiel
einer Villenkolonie angesehen werden. Es ist schwierig zu sagen,
welches der Systeme das bessere ist und es gehen die Ansichten der
Herren Psychiater hierüber sehr auseinander. Ein nicht zu unter
schätzender Punkt ist der Kostenpunkt. Je weiter das Auseinander
ziehen der Gebäude stattfindet, desto kostspieliger wird die Anstalt,
und es dürfte sich mit der Zeit hierdurch eine gewisse Regulierung
ergeben. Bis jetzt ist das Villensystem noch neu, so daß längere
Erfahrungen noch nicht vorliegen.
Es ist Thatsache, daß der Bau von Irrenanstalten durch die
aufs weiteste getriebene Fürsorge für das leibliche und geistige Be
finden der Kranken sehr teuer wird und es können deshalb nur Länder
in fortschreitender oder fortgeschrittener Kultur sich diese Ausgaben
gestatten, weshalb man wohl sagen darf, daß man die Irrenanstalten
als eine Art Kulturmesser betrachten darf. Der im alten Kloster