Die fiktionale oder mimetische Gattung
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before« oder »this being the most tragical event in our whole history we
have to treat it in a special chapter«, u.dgl. mehr. Hier zeigt sich mit aller
Deutlichkeit, daß diese Einmischung des Erzählers in die Erzählung dich
tungstheoretisch falsch charakterisiert ist, wenn man sie als subjektiven Stil
bezeichnet. Es handelt sich nicht um ein subjektives Interesse des Erzählers
an sich selbst, in seiner Eigenschaft etwa als Erzähler oder Verfasser, son
dern eher umgekehrt um eine besonders ‘objektive’ Haltung des Verfassers
zu seinem Werk, um das Bewußtsein des freien Spiels, das getrieben werden
kann mit der materielosen, stilisierten, fiktiven Wirklichkeit des Romans
mit seinen Kapitaleinteilungen, willkürlichen Verkürzungen, Zusammen
ziehungen und Erweiterungen.
Von diesen theoretischen und gestalterischen Problemen Fieldings her
können wir erkennen, daß eben dieser überlegene ästhetische Humor auch
die nicht ausdrücklich humoristischen Romane Jean Pauls prägt. Auch im
>Titan< wie im >Komet< oder >Wuz< ‘spielt’ der Erzähler mit sich selbst und
mit seinem Produkt, macht er es bewußt, daß diese Welt nur da ist kraft
seiner, kraft dessen daß sie erzählt ist. »Ich denke, die Ecke ist breit genug,
die ich hier aus der Whistonschen Kometenkarte von diesem Schwanzstern
für die Menschen abgeschnitten. Ausbedingen will ich, eh ich weiter rede,
mir dieses, daß ich Don Gaspard auch zuweilen den Ritter heißen dürfe,
ohne das goldene Vließ anzuhängen« (Titan, i. Jobeiperiode). Und so fehlt
denn weder im >Titan< noch im >Hespems< oder der »Unsichtbaren Löget
die vom humoristischen Stil der Epoche vorgegebene Erörterung der Ent-
stehungs-, Druck- und Buchschicksale des jeweiligen Romans, etwa das
umfangreiche »Antrittsprogramm des Titanst (9. Zykel am Ende der i.Jobel-
periode) oder die mannigfachen Erklärungen der Buch- und Kapitelbenen
nungen 46 .
46. Wir haben den Stil Jean Pauls als Beispiel für den humoristischen Stil und die Funktion und
Bedeutung der Ich-Einmischung gewählt, weil er einen ganz einzigartigen und extremen Fall in der
Literatur darstellt. Diese Ich-Einmischung des JeanPaulschen Stils macht, obwohl sie oft überwuchernd
ist, zwar nicht, wie oben hervorgehoben, seine Fiktionsromane zu Ichromanen, stellt aber einen ande
ren Grenzfall dar, den (ohne naturgemäß auf die von uns behandelte Problematik Bezug zu nehmen)
Max Kommerell in seinem Buche über Jean Paul, Ffm.’jj, fein bemerkt und charakterisiert hat. Er wirft
die Frage auf, ob man Jean Paul darum eine dramatische Begabung zuschreiben könne, weil er seine
Gestalten, vor allem durch ihre Rede, in so hohem Maße individualisiere., und beantwortet sie ver
neinend dahin, daß „die so rätselhaften Geburten Jean Pauls . . . sich schließlich gewunden zur großen
philosophischen Komödie der Ichheit bekennen. Die Gestalten, auch wo ihr Gegenspiel dramatisch
entworfen zu sein scheint, bleiben noch im Atemraum einer Hauptgestalt, als zauderten sie, das Dasein
ganz auf eigene Faust zu wagen, als fühlten sie sich zu sehr als Absprenglinge einer Zentralseele (S. 60).
Kommerell zieht an dieser Stelle nicht die Konsequenz, daß hier das epische Ich sich so stark dem lyri
schen Ich annähert, daß die Fiktionsform des Er-Romans dadurch in einer eigentümlichen Weise ge
brochen erscheint. Dennoch gilt auch noch für diese lyrische Verselbständigung der Erzählfunktion,
daß der Begriff des subjektiven Erzählens nicht adäquat ist. Denn das Erzählte selbst, die fiktive Welt,
ist trotz allem von dieser Subjektivität nicht ergriffen, die nur eine Eigenschaft der Erzählfunktion in
sich selbst, ihr Stil ist, der durch den Begriff lyrisch denn auch prägnanter zu charakterisieren ist als
durch den Begriff subjektiv.