Die epische Fiktion
suchung kommen, ihnen ein ‘Komm zur Sache’ zuzurufen ? Indem wir die
Frage so formulieren, bemerken wir, daß sie abwegig ist. Wiederum beleuch
tet sich dieser Sachverhalt, wenn wir zum Vergleiche die Wirklichkeitsaus
sage heranziehen. Nur in Bezug auf sie hat die Aufforderung, zur Sache zu
kommen, einen Sinn. Denn die Sache ist dort immer das unabhängig von
dem Berichte Vorhandene, das darum als solches von dem Berichte und dem
Berichtenden ‘unbeeinflußbar’ ist. Nehmen wir an, der erste Satz des Wil-
helm-Meister-Beispiels (i) »Wilhelms Gedanken wandten sich nun bald auf
seine eigenen Verhältnisse« sei ein Wirklichkeitsbericht derart, daß jemand
einem anderen von einer bestimmten Lebenslage der ihm bekannten Person
Wilhelm erzählt. Daß dessen Gedanken sich auf seine eigenen Verhältnisse
wandten, weiß er etwa durch eine Mitteilung Wilhelms. In diesem Falle
würden die folgenden Sätze Reflexionen des Berichtenden darstellen, die
sich nur auf ihn selbst beziehen, seine subjektive Betrachtungsart von Men
schen und Dingen zum Ausdruck bringen, die mit der hier in Frage stehen
den Person und Sache an sich gar nichts zu tun haben, und der Empfänger
des Berichtes könnte ihm zurufen: »Nun, es interessiert mich gar nicht, was
Du im allgemeinen über plötzliche Veränderungen denkst, die im Leben
eines Menschen eintreten können. Komm doch zur Sache, was war mit Wil
helm, und wie ordneten sich seine Verhältnisse!« Denn eine wirkliche Person
Wilhelm, die zu diesem oder jenem Zeitpunkt ihres Lebens so oder so sich
befand und handelte, ist nicht näher und tiefer beschrieben, auch wenn der
über sie Berichtende noch so tiefgehende philosophisch-psychologische Be
trachtungen an sie anknüpft. (Auch dann, wenn man etwa das Verhalten einer
wirklichen Person durch psychologische Interpretationen ihres Charakters,
ihrer sozialen Umstände usw., die ihr Verhalten bestimmt haben können,
zu verstehen und zu deuten sucht, sind diese Interpretationen immer die
subjektive Auffassung des Berichtenden und haben mit der Person, dem
Objekt der Aussage, selbst nichts zu tun.) Wir empfinden unmittelbar, daß
sich diese Bezugsverhältnisse ganz anders darstellen, wenn es sich um die
Romanperson Wilhelm Meister handelt. Wir sind nicht versucht, angesichts
einer Betrachtung wie »Der Mensch kann in keine gefährlichere Lage ver
setzt werden. . .« ein ‘Komm zur Sache’ zu rufen. Denn wir müßten uns
dann auch Rechenschaft darüber abgeben können, was denn nun hier ‘die
Sache’ sei. Und wie wir an Hand unserer Methode des Vergleiches zwischen
fiktionalem und historischem Erzählen schon in einer Reihe von Zusammen
hängen feststellen konnten: die Verhältnisse der Fiktion entziehen sich der
‘Angebbarkeit’. So wie sich die zeitlichen und räumlichen Verhältnisse der
Fiktion jeglicher Angebbarkeit entziehen, weil es sich nur um Begriffe zeit
licher und räumlicher Verhältnisse, nicht aber um solche selbst handelt, ent
zieht sich die Frage nach dem, was denn die Sache in einem Roman sei, jeder