Full text: Die Logik der Dichtung

Die epische Fiktion 
101 
Situationen sind solche Züge, vor allem in neueren Texten, außer durch die 
in jeder epischen Dichtung reichlich verwendeten Situationsverben, an der 
Anwendung der deiktischen Adverbien zu erkennen, wie: »Die Szenerie 
war wie gestern«, und etwa auch der detaillierten Beschreibung des Tuns 
und Lassens, der Bewegungen, kurz der belebten ‘Szenerie’. An solchen 
Schilderungen kann man das Zusammenschmelzen, die Identität von Er 
zählen und Erzähltem weniger gut demonstrieren, weil wir schon von vorn 
herein gar nichts anderes als diese Identität erleben, d. h. wir können nicht 
die interpretierend gestaltenden Momente von den mehr berichtend be 
schreibenden genau unterscheiden. Eben dies ist natürlich die Folge davon, 
daß das, was erzählt ist, fiktiv ist. Adjektive wie etwa in »sauberster« 
Toilette, die »inhaltslosen« Zeitungen u.ä. sind so mit der geschilderten 
Sache selbst verbundene Eigenschaften, daß sie nicht als besonders inter 
pretierend sich von der Nennung der Sache selbst abheben (wie das wie 
derum, in stärkerem oder geringerem Grade, in der Wirklichkeitsaussage 
der Fall wäre, wo diese Begriffe etwa einem Gegenurteil ausgesetzt werden 
können, die Zeitung von dem einen als inhaltslos, von dem anderen als 
inhaltsreich beurteilt werden kann). Aber diese kleine Textstelle enthält 
dennoch ein Moment, an dem wir auch hier den Prozeß selbst dieses Zu- 
sammenschmelzens erkennen können und das denn auch nicht zufällig viel 
vom besonderen Stil Fontanes verrät. Unwillkürlich nötigt uns der Satz 
»nur statt des Kakadu, der noch fehlte, sah man draußen die Honig, die, 
den Bologneser der Kommerzienrätin an einer Strippe führend, um das 
Bassin herumschritt« ein belustigtes Lächeln ab. Wir empfinden dies als 
humoristisch. Aber das ist eine andere Art humoristischen Stils als der Jean 
Paulsche. Er kommt nicht zustande durch ein Spiel der Erzählfunktion mit 
sich selbst und der Fiktion. Der Satz Fontanes ist durchaus ‘sachlich’: der 
Kakadu war noch nicht da, draußen ging die Honig mit dem Bologneser 
spazieren. Ein Wörtchen, eine kleine Satzfügung ist es, die uns lächeln 
macht, das Wörtchen »statt« und die Art, wie es den Kakadu mit der Ge 
sellschaftsdame in Verbindung bringt. Während etwa der Satz »statt des 
Kakadu sah man den Bologneser« kein Lächeln hervorrufen würde, ist es 
von komisch-humoristischer Wirkung, einen Menschen auf diese Weise mit 
einem Tier gleichgestellt zu sehen. Der Humor ist aber hier untergründig, 
denn letztlich bezieht er sich auf die Kommerzienrätin Treibei, in deren bour 
geoisen Augen Gesellschaftstier und Gesellschaftsdame auf gleicher dienen 
der Stufe stehen, wie denn auch im selben Satze die Honig auch nur wieder 
im Dienste eines Gesellschaftstieres der Rätin, des Bologneserhündchens, 
steht. Der interpretierende Humor ist hier also auf ein einziges kleines Wort, 
eine Präposition, reduziert und schmilzt ununterscheidbar mit der berich 
tenden Schilderung zusammen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.