Die epische Fiktion
ebenso wie die verschiedenen Formen, die die Erzählfunktion annehmen
kann, zur Gestalt des Ganzen der Dichtung zusammenfließen, nicht anders
wie die Farben eines Gemäldes zu der gemalten Gegenständlichkeit, die es
darstellt. Denn auch die Gespräche, die in einem Roman der Dichter seine
Personen führen läßt, sind das Erzählen des Romans, so gut wie die indi
rekte Rede, in der diese Gespräche wiedergegeben sein können.
Aber können wir nicht, so kann man wiederum einwenden, die reflekto
rischen Partien eines Romans, Betrachtungen des Dichters, aus ihm als nicht
zur Fiktion gehörig herauslösen, deutlich also das Erzählen von dem Er
zählten dadurch unterscheiden ? Wir zeigten am Wilhelm Meister-Beispiel,
daß auch Reflexionen ohne Markierung an redende bzw. denkende Roman
personen und den Bericht verteilt sein können und selbst wenn bestimmte
Stellen sich zu solcher Herauslösung eignen, so doch nicht auf andere Weise
als etwa die vielen ‘Sentenzen’, die aus den klassischen Dramen stammen.
Selbst wenn diese so ‘geläufig’ geworden sind, daß man oft genötigt ist, im
Büchmann nach ihrem Ursprungskontext zu suchen, so liegt das doch sozu
sagen nicht an ihnen selbst noch dem Dichter, der sie einmal seinem Teil
oder seinem Wallenstein in den Mund gelegt hat. Und der Dichter, der in
Bezug auf seinen Wilhelm sagt: »Der Mensch kann in keine gefährlichere
Lage versetzt werden, als wenn durch äußere Umstände eine große Verän
derung seines Zustandes bewirkt wird« ist als Erzähler keine mehr ‘bewer
tende, fühlende, schauende’ Person (K. Friedemann) als der Dramatiker, der
seinen Wallenstein sagen läßt: » Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,
Das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide.«
Doch kann vom Leseerlebnis her noch ein anderer, gegenteiliger Einwand
erhoben werden. Selbst wenn wir nicht immer etwa spezifisch reflektorische
Partien als solche der erzählenden und solche der Dialogpartien interpretie
rend trennen können - gibt es nicht, zumal in der modernen Romanliteratur,
doch Fälle, wo die Gestalten so stark durch die Art ihres Redens und Den
kens charakterisiert werden, daß diese sich auch in unseren Interpretationen
unmittelbar an sie knüpfen ? Wir brauchen z.B. aus Thomas Manns >Zauber-
berg< nur einige Zitate aus den Diskussionen zwischen Settembrini und
Naphta zu hören, um sofort zu wissen, welche Reden bzw. Gedanken dem
einen und welche dem andern unverwechselbar zugehören, ja auch daß sie
von einer dieser Romanfiguren und nicht von dem erzählenden Dichter ge
sagt sind. Und was hier gilt, gilt mehr oder weniger für alles die Gestalten
prägnant individualisierende Romanerzählen. Auch diese Erscheinung ist
jedoch nur eine Bestätigung des funktionalen Charakters des Erzählens. An
gesichts gerade solcher ‘Verkörperungen’ des gedanklichen Gehalts ent
schwindet in der interpretierenden Vorstellung die Tatsache, daß diese Ge
stalten und das was sie sagen, erzählt, durch eine erzählende Funktion er