Die filmische Fiktion
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äußerte Mitteilung, die hörende Wahrnehmung gebunden und von ihr frag
mentarisch begrenzt ist.
Doch auch in einer zweiten Hinsicht erweist sich die Erzählfunktion des
bewegten Bildes durch seine physische Bedingtheit, den Modus der Wahr
nehmbarkeit, beschnitten. Und diese betrifft nicht nur die Menschengestal
tung, sondern auch die der dinglichen Welt selbst. Hier ein Beispiel:
Amenhotep - Nebmard’s Witwe thronte ihm gerade gegenüber auf hohem Stuhl mit
hohem Schemel, gegen das Licht, vor dem mittleren der tiefreichenden Bogenfenster, so daß
ihr ohnedies bronzefarben gegen das Gewand abstechender Teint durch die Verschattung
noch dunkler schien.
Diese in hohem Maße bildhafte Szenerie aus dem Josephroman Thomas
Manns kann ohne weiteres als ein eindrucksvolles farbenfilmisches Bild ge
dacht werden. Aber die episch aufgebaute Szenerie vermittelt dennoch ein
anderes Erlebnis als die als Bild gesehene. Der Faktor, der in der Roman
szene hinzukommt, ist der beziehend interpretierende. Die Interpretation
des Erzählens beschränkt sich hier auf durchaus gegenstandsnahe Mittel,
ohne Metaphorik oder andere Umschreibungen. Durch die leise verglei
chende Schilderung - »ohnedies bronzefarben, durch die Verschattung noch
dunkler« - wird auch selbst nur das Äußere der ägyptischen Königin Teje
aus der Momentsituation gelöst und ein totaleres Bild von ihr geschaffen.
Ja, die Situation selbst erscheint nicht in bildhafter Verfestigung, sondern
in ihrer gewissermaßen ursächlichen Struktur, und dies derart, daß auch die
rein sachliche Bezeichnung der Gegenstände - »gegen das Licht, tiefrei
chende Bogenfenster« - die Vorstellung des in dieser Weise Veranschaulich
ten lenken. Denn diese Veranschaulichung ist interpretierend erzeugt. Das
Filmbild würde diese Art der Veranschaulichung, ja der Veranschaulichung
überhaupt, entbehren. Denn veranschaulicht wird nur, was nicht geschaut
ist. Und dies bedeutet in unserem Beispiel, daß im Film der Beziehungs
reichtum der Romanschilderung nicht erscheinen würde: daß etwa die Ver
schattung des Gesichts dem Fenster dahinter zuzuschreiben, ja auch nur daß
dieses Fenster tiefreichend ist. Das Schauen des Zuschauers wird nicht ge
lenkt, ihm selbst bleibt es überlassen, ob er die Beziehung der Verschattung
des Gesichts zum Fenster dahinter herstellt oder nicht.
Damit ist der Punkt berührt, an dem sich auch im Bereiche der bloßen
Dingschilderung die epische und die filmische Erzählfunktion grundsätzlich
trennen, jede dem Ziele zustrebt, das ihr durch ihre je eigenen Möglichkeiten
gesetzt ist oder prinzipiell sein kann. Die epische Erzählfunktion erzeugt,wie
wir eingehend zu zeigen versuchten, die fiktive Welt interpretierend; diese
lebt und ‘ist’ durch das deutende Wort, das von der einfachsten sachnahesten
Dingschilderung bis in alle Arten und Grade der gedanklichen Interpretation