Das System der Wirklichkeitsaussage und der Ort der Lyrik
io Hamburger, Logik
*4J
ten, den Schauplatz der Schilderung betraten. Und wir konnten zeigen, daß
damit schon von vornherein dieser Text von anderer Struktur war als jene,
und schon - das entscheidende Indizium - das Präteritum keine Vergangen
heitsfunktion mehr besaß. Es erwies sich, daß ein ‘episches Ich’ gar nicht
existierte, so wenig wie ein ‘dramatisches Ich’ anzutreffen ist, und der Ter
minus aus der Fiktionstheorie ausgemerzt und durch den der (subjektlosen)
Erzählfunktion ersetzt werden mußte. Wir hatten also mit einem Gebiete
der Sprache zu tun, in dem es trotz des oftmals täuschenden Scheins des
Erzählens der epischen Fiktion kein Aussagesubjekt, und damit auch kein
Aussageobjekt, gibt, so wenig wie es etwas Derartiges in der bildenden
Kunst gibt.
Sehen wir von dieser Zusammenfassung unserer Untersuchungsergeb
nisse, durch die wir zu dem nun zu behandelnden Gebiet den Eingang ge
winnen, zurück auf den bedeutsamen Hegelschen Satz, daß die Poesie die
jenige besondere Kunst sei, bei der die Kunst sich aufzulösen beginnt und
ihren Übergang in die Prosa des wissenschaftlichen Denkens nimmt, so
können wir durch die Aufweise der sprachtheoretischen Untersuchungen
nunmehr feststellen, wo und wieweit dieser Satz gültig ist und wo und wie
weit nicht. Und wenn es als befriedigend empfunden werden darf, Einsich
ten großer gründender Denker sich in den Phänomenen bestätigen zu sehen
(so wenig fruchtbar es ist, von ihnen dogmatisch auszugehen), so können
wir es als befriedigend bestätigendes Resultat ansehen, daß der Satz Hegels
eben dort seine Gültigkeit hat, wo Aristoteles die Grenze zwischen mime-
tischer und elegischer Kunst gesetzt, wo er das ttoieüv vom Ägysiv abgetrennt
hat. Hegels Satz gilt für den Bereich der Dichtung - des Gesamtgebildes,
das wir heute eben so bezeichnen - nicht oder noch nicht, wo dieser ein Be
reich des ttoieTv, der Mimesis, ist. Hier verhindert die unüberschreitbare
Grenze, die das fiktionale Erzählen von jeglicher Wirklichkeitsaussage, und
das heißt nichts anderes als vom Aussagesystem der Sprache abscheidet, daß
Dichtung in die »Prosa des wissenschaftlichen Denkens«, d.h. also ins Aus
sagesystem, übergehen kann. Hier wird »gemacht« im Sinne des Gestal
tern, des Bildens und Nachbildens, hier ist die gestaltenschaffende Werk
statt des Poietes oder des Mimetes, der sich der Sprache als Material und
Instrument der Gestaltung bedient, wie der Maler der Farben, der Bildhauer
des Steins. Die Dichtung steht hier ganz im Raume der bildenden Kunst, die
den Schein der Wirklichkeit erschafft. Daß dieser Schein, das Gesetz der
Fiktion in der Dichtung erst wirksam wird, wenn fiktive Personen erschaffen
werden, während eine gemalte Landschaft sich auch ohne Figuren als Mime
sis ausweist - dies hat seine Ursache eben in dem besonderen Material der
Dichtung, der Sprache, die außer im fiktionalen Bereiche das Medium des
Sagens (in allen seinen Modifikationen) ist. Ja, wir können das umgekehrt