Die lyrische oder existentielle Gattung
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Aussage zum Objektpol. Denn daß wir das lyrische Gedicht als das Erleb
nisfeld, und nur das Erlebnisfeld des Aussagesubjekts erfahren, kommt da
durch zustande, daß seine Aussage sich nicht auf den Objektpol richtet,
sondern ihr Objekt in die Erlebnissphäre des Subjekts hineinzieht und da
mit verwandelt.
Diese Verhältnisse wurden hier kurz zusammengefaßt, weil durch sie das
Kriterium angegeben ist, einer Reihe von literarischen Erscheinungen ihren
Ort im System der Dichtung genauer zu bestimmen, als es bisher von dem
bloß dichtungsimmanenten literaturtheoretischen Standpunkt aus möglich
war. Es ist dies auf der einen Seite die Großform der Icherzählung, auf der
anderen sind es Kleinformen, als deren hervortretendste die Ballade gelten
kann. Beide Dichtungsarten stehen außerhalb der beiden Hauptgattungen,
dennoch aber so, daß die Ballade und ihre Verwandten als eine Sonderform
der fiktionalen Gattung, die Icherzählung als eine Sonderform der existen
tiellen Gattung zu kennzeichnen ist. Beide sind sie aber erst dadurch recht
eigentlich Sonderformen, weil sie gewissermaßen aus äußeren ästhetischen
Gründen, d. h. Gründen ihrer äußeren Gestalt, ihre Gattungszugehörigkeit
verleugnet und in der jeweils anderen Gattung Heimatrecht erworben ha
ben: die Ballade in der lyrischen, die Icherzählung in der fiktionalen Gat
tung. Und wenn man gerade um dieses ihres äußeren Scheins willen diese
beiden Arten nicht in einem Zusammenhang zu verbinden pflegt, so eröffnet
sich ein solcher Zusammenhang, nämlich der dichtungslogische, wenn man
auf die verborgenen konstituierenden Strukturelemente dieser Dichtungs
formen zurückgeht.