Die logischen Grundlagen
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den Begriff der Expression angegeben werden, sondern geht erst aus einer
genauen Beobachtung der Sprachfunktionen hervor.
Ein solches Verfahren liegt in dem bekannten Buche Roman Ingardens
>Das literarische Kunstwerk< vor, das auf der Basis der Husserlschen Ur
teilslehre, also einer ontologisch-phänomenologischen Erkenntnistheorie,
die Seinsweise der Dichtung von der ‘Prosa’ der Wirklichkeitsaussage zu
scheiden sucht. Das Hegelsche Problem (auf das auch hier nicht Bezug ge
nommen wird) tritt hier prägnanter als bei Croce hervor, weil auch hier das
Vorstellungssystem, d.i. die transzendentale Beziehung des Vorstellens auf
die (‘seinsautonome’) Wirklichkeit die Basis des Urteilssystems ist. Dennoch
kommt auch Ingarden letztlich nicht über eine Etikettierung der hier vor
liegenden Denk- und Sprachphänomene hinaus; und wenn Croce Etiketten
mit zu weiten Begriffen hat, so ist bei Ingarden der unterscheidende Begriff
zu eng gefaßt - und zwar selbst dann, wenn der Begriff ‘literarisches Kunst
werk’ nur auf die epische und dramatische Dichtung angewandt wird (wie
es in dem Buche allzu stillschweigend vorausgesetzt wird, jedenfalls nur der
englischen Terminologie angeglichen ist). Es handelt sich um nicht anderes
als den Nachweis des Phänomens und des Erlebnisses der ‘Nicht-Wirklich
keit’ dieser Dichtungsarten. Doch zu diesem Nachweis bedient sich Ingar
den eines Erkenntnisinstrumentes, das zum mindesten sich als wenig kräftig
erweist, nämlich des Begriffes des ‘Quasi-Urteils’. Dieser Begriff geht aus
der phänomenologischen Lehre von den ‘intentionalen Gegenständen’ her
vor. Doch unterscheidet diese zwischen bloß ‘intentionalen’ und ‘rein inten
tionalen’ Gegenständen. ‘Rein intentional’ bedeutet die Vorstellung eines
(realen oder idealen) Gegenstandes als solche, genauer einen vorgestellten
Sachverhalt, der noch nicht zum Gegenstand eines ‘Urteils’ geworden ist.
Wird er zum Gegenstand eines Urteils, bedeutet das, daß er »in die reale
Seinssphäre ... hinaus versetzt« 23 , d. h. auf einen real existierenden Gegen
stand oder Sachverhalt bezogen wird. In diesem Falle liegt ein »echtes
Urteil« vor, dessen Aussage verifizierbar ist. Dann aber ist der durch das
Urteil bestimmte Sachverhalt »kein rein intentionaler mehr sondern besteht
tatsächlich als ein in einer dem Urteil gegenüber seinsunabhängigen Seins
sphäre verwurzelter Sachverhalt« 24 - wie die phänomenologische Defini
tion dessen lautet, was wir im Folgenden als Wirklichkeitsaussage bezeich
nen (und an seinem Orte bestimmen) werden. Die Sätze nun, aus denen eine
Dichtung (ein Roman oder Drama) besteht, sind keine echten Urteile, son
dern ‘Quasi-Urteile’, die dadurch definiert sind, daß sie keine Hinausver
setzung in eine reale Seinssphäre enthalten. Der dichterische Gegenstand
existiert nur in rein intentionaler Weise. Doch ist damit das Verhältnis von
23. Ringarden: Das literarische Kunstwerk. Halle ’31, 169
24. ebd. S. 169