Abschluß um! Ausblick
totesmäßiger Wendung des Gedankens: solange die Dinge wissen, daß ich
lebe - nicht solange ich die Dinge erlebe lebe ich, ist der Tod nicht. Man
könnte sagen, daß die Symbolstruktur dieses Gedichts in dieser Gedanken
litotes besteht. Aber dieselbe Symbolik kann auch in nichtlyrischer Weise
gedacht und ausgesprochen werden, und nicht durch sie ist schon das lyri
sche Gedicht da. Es ist da durch diesen Gedanken zusammen mit der sprach
lichen Form von fünffüßigem Vers, Wechselreim und Wortung. Können
wir dies wie jedes lyrische Gedicht als Gesamtheit eine Metapher und als
solche eine symbolische Form nennen? Dies kann bejaht werden in dem
Sinne, in dem überhaupt das Gebiet der Lyrik im Aussagesystem seinen Ort
hat; indem die lyrische Aussage sich als eine Aussage setzt, die keine Funk
tion in einem objektiven Wirklichkeitszusammenhang haben will, setzt sie
sich als symbolische Form des Erlebens, das sie ‘bedeutet’, das wiederum zu
deuten die Aufgabe ist, die die lyrische Aussage dem Interpreten stellt, eine
Aufgabe, die nun, im Unterschied zur Interpretation einer fiktionalen Dich
tung, nur die dichterische Sprache selbst zu ihrer Verfügung hat.
Es ist nicht von ungefähr, daß wir bei der Bestimmung der Lyrik als einer
symbolischen Form nicht zu gleicher struktureller Genauigkeit gelangen
können wie hinsichtlich der fiktionalen Dichtung. Dort wo die Kunst im
Raume der Wirklichkeit selbst angesiedelt ist und nur durch eine innere
Wendung und Haltung die Scheidegrenze zwischen Kunst und Wirklichkeit
gezogen wird, kann sich keine geschlossene, keine völlig deutliche symbo
lische Struktur entwickeln. Es können lyrische Gebilde wohl eine deutlich
hervortretende Symbolik besitzen, wobei sie sich jener Sprach- und Denk
form bedienen, die an sich schon symbolisch geprägt ist, der Metapher. Aber
sie sind nicht weniger lyrische Gebilde, wenn sie sich in ‘eigentlicher’ Aus
sageform auf bauen; der ästhetische Gehalt, der diese Form dann zum Kunst
gebilde macht, kann nur an jedem einzelnen Gedicht in die Erscheinung
treten und geprüft werden.
Das Symbolproblem der Dichtung ist mit diesen Betrachtungen keines
wegs erschöpft. Es galt abschließend nur, auf die Probleme der Dichtungs
interpretation hinzuweisen, die sich aus den kategorial getrennten Orten er
geben, die die Fiktionsdichtung und die Lyrik im Sprachsystem besetzen. -
Aristoteles hat den Lyriker nicht als ‘Dichter’ bezeichnen wollen, weil er
kein ‘Macher’, kein Ttonynis und pipiyrfis sei. Spätere Zeiten haben den
(bedeutungsveränderten) Begriff der ‘Poesie’ der Lyrik Vorbehalten. Aber
sie haben nicht so scharf wie Aristoteles erkannt, daß und warum die Lyrik
in der Tat nicht im gleichen Sinne Dichtung ist wie die mimetischen, fik
tionalen Dichtungsarten. Und bleiben wir bei der Unterscheidung des Ari
stoteles, so können wir der ‘mimetischen Dichtung’ das Gedicht als ‘dichte
rische Aussage’ gegenüberstellen.