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Die logischen Grundlagen
tur impliziert ist und nur von dieser her entwickelt werden kann. Denn ein
‘dramatisches Ich’ existiert als solches nicht. - Die Aufnahme des histori
schen Ich in den dichtungstheoretischen Zusammenhang ist dadurch be
gründet, daß es uns zum Erkenntnisinstrument, zum tertium comparationis
dient und für die Erhellung der Verhältnisse, um die es geht, von entschei
dender methodischer Bedeutung und Funktion ist: es ist das Instrument des
Vergleichs, dessen wir als Methode der Untersuchung bedürfen. Zum Ter
minus ‘historisches Ich’ sei hierbei erwähnt, daß der Begriff historisch noch
eine engere, eine Teilbedeutung des Ichbegriffes ist, mit dem wir in späteren
Zusammenhängen zu arbeiten haben werden. Wir haben den Begriff hier vor
läufig dem Beispiel angepaßt, dem historischen Dokument des Rilkebriefes,
dessen wir für die Strukturanalyse der epischen (und dramatischen) Dichtung
im nächsten Kapitel bedürfen. Für dieAnaly se und Bestimmung der Lyrik wird
dann eine Erweiterung des Begriffes historisches Ich nötig werden. -In einem
anderen und entscheidenderen Sinne vorläufig aber ist der Begriff ‘episches
Ich’. Diesen Terminus haben wir in diesem vorbereitenden Abschnitt in
Angleichung an die übliche Terminologie gesetzt. Seine Analyse, bzw. die
des durch ihn bestimmten Phänomens, wird zeigen, daß der übliche Termi
nus einer logisch falschen Auffassung der erzählenden Dichtung entsprun
gen ist und durch einen anderen ersetzt werden muß.
Der Zweck dieses Abschnittes war also ein vorbereitend präliminarer. Er
umreißt nur skizzierend das Problem, dessen Ergründung die Aufgabe die
ses Buches ist, indem er durch die gleichfalls vorläufige Bestimmung der
Aussage die Richtung angibt, in der wir uns orientieren müssen, um die
Struktur der Dichtung von der Struktur des allgemeinen Sprach- und damit
Denksystems abscheiden zu können. Dieser Abschnitt bedeutet also, cum
grano salis, zunächst einen weiteren Ausbau des Hegelschen Satzes, der die
prekäre Stellung der Dichtung vorsichtig anleuchtet, aber doch eben damit
schon die Richtung weist, in der sie in ihrer Prekärität dennoch mit Präzision
zu bestimmen ist. Denn wenn es auch zutrifft, daß sie die Kunst ist, bei wel
cher die Kunst sich aufzulösen in Gefahr ist, nämlich »ihren Übergang in
die Prosa des wissenschaftlichen Denkens« zu nehmen, so enthält sie doch
(was Hegel nicht erkannt hat) selbst die Elemente, die dieser Gefahr steuern.